§. 35. Die Leich-Predigten sind bey den Kö- niglichen und Hochfürstlichen Personen von Zeit der Reformation an unter den Evangelisch Lutheri- schen in Gebrauch gewesen, und sind deren man- chen Potentaten wohl zwantzig/ dreyßig und noch mehr gehalten worden. Der theure Churfürst Augustus zu Sachsen und seine Gemahlin haben 46 Leich-Predigten bekommen. Jn den vorigen Zeiten findet man bey den wenigsten Leich-Pre- digten Personalien, und scheinet es, daß dieselben nur erst im XV Seculo aufkommen.
§. 36. Nachdem nun die Prediger Hertz und Muth haben, oder allzu grosse Menschen-Furcht und Heucheley besitzen, oder nachdem sie sich Men- schen gefällig machen wollen, nach dem erzeigen sie sich in Ausbreitung des Lobes der verstorbenen Fürsten-mäßig oder unmäßig. Rechtschaffene Lehrer und Prediger beobachten auch hiebey die Pflichten, die sie als Diener Gottes, GOtt und ihren Gewissen schuldig, und zugleich die Pflichten, die sie als treue und devote Unterthanen ihren ver- storbenen Landes-Fürsten und ihrer gegenwärti- gen Landes-Herrschafft abzustatten haben. Der selige D. Martin Luther sagt in seiner Leich-Pre- digt, die er dem Chur-Fürsten zu Sachsen Johan- nes dem Beständigen gehalten: Wir wollen un- sern lieben Herrn nicht so gar rein machen, wie- wohl er ein sehr frommer freundlicher Herr gewe- sen ist, ohn allen Falsch, indem ich noch nie mein Lebenlang einigen Stoltz, Zorn noch Neid an ihm
gespüh-
I. Theil. XVIII. Capitul.
§. 35. Die Leich-Predigten ſind bey den Koͤ- niglichen und Hochfuͤrſtlichen Perſonen von Zeit der Reformation an unter den Evangeliſch Lutheri- ſchen in Gebrauch geweſen, und ſind deren man- chen Potentaten wohl zwantzig/ dreyßig und noch mehr gehalten worden. Der theure Churfuͤrſt Auguſtus zu Sachſen und ſeine Gemahlin haben 46 Leich-Predigten bekommen. Jn den vorigen Zeiten findet man bey den wenigſten Leich-Pre- digten Perſonalien, und ſcheinet es, daß dieſelben nur erſt im XV Seculo aufkommen.
§. 36. Nachdem nun die Prediger Hertz und Muth haben, oder allzu groſſe Menſchen-Furcht und Heucheley beſitzen, oder nachdem ſie ſich Men- ſchen gefaͤllig machen wollen, nach dem erzeigen ſie ſich in Ausbreitung des Lobes der verſtorbenen Fuͤrſten-maͤßig oder unmaͤßig. Rechtſchaffene Lehrer und Prediger beobachten auch hiebey die Pflichten, die ſie als Diener Gottes, GOtt und ihren Gewiſſen ſchuldig, und zugleich die Pflichten, die ſie als treue und devote Unterthanen ihren ver- ſtorbenen Landes-Fuͤrſten und ihrer gegenwaͤrti- gen Landes-Herrſchafft abzuſtatten haben. Der ſelige D. Martin Luther ſagt in ſeiner Leich-Pre- digt, die er dem Chur-Fuͤrſten zu Sachſen Johan- nes dem Beſtaͤndigen gehalten: Wir wollen un- ſern lieben Herrn nicht ſo gar rein machen, wie- wohl er ein ſehr frommer freundlicher Herr gewe- ſen iſt, ohn allen Falſch, indem ich noch nie mein Lebenlang einigen Stoltz, Zorn noch Neid an ihm
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I. Theil. XVIII. Capitul.
§. 35. Die Leich-Predigten ſind bey den Koͤ-
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der Reformation an unter den Evangeliſch Lutheri-
ſchen in Gebrauch geweſen, und ſind deren man-
chen Potentaten wohl zwantzig/ dreyßig und noch
mehr gehalten worden. Der theure Churfuͤrſt
Auguſtus zu Sachſen und ſeine Gemahlin haben
46 Leich-Predigten bekommen. Jn den vorigen
Zeiten findet man bey den wenigſten Leich-Pre-
digten Perſonalien, und ſcheinet es, daß dieſelben
nur erſt im XV Seculo aufkommen.
§. 36. Nachdem nun die Prediger Hertz und
Muth haben, oder allzu groſſe Menſchen-Furcht
und Heucheley beſitzen, oder nachdem ſie ſich Men-
ſchen gefaͤllig machen wollen, nach dem erzeigen ſie
ſich in Ausbreitung des Lobes der verſtorbenen
Fuͤrſten-maͤßig oder unmaͤßig. Rechtſchaffene
Lehrer und Prediger beobachten auch hiebey die
Pflichten, die ſie als Diener Gottes, GOtt und
ihren Gewiſſen ſchuldig, und zugleich die Pflichten,
die ſie als treue und devote Unterthanen ihren ver-
ſtorbenen Landes-Fuͤrſten und ihrer gegenwaͤrti-
gen Landes-Herrſchafft abzuſtatten haben. Der
ſelige D. Martin Luther ſagt in ſeiner Leich-Pre-
digt, die er dem Chur-Fuͤrſten zu Sachſen Johan-
nes dem Beſtaͤndigen gehalten: Wir wollen un-
ſern lieben Herrn nicht ſo gar rein machen, wie-
wohl er ein ſehr frommer freundlicher Herr gewe-
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Lebenlang einigen Stoltz, Zorn noch Neid an ihm
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin, 1729, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1729/346>, abgerufen am 22.11.2024.
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