Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sehnsucht. Endlich, nachdem die Schülerjahre vorüber waren, gestattete mein Vater mir die Reise in Franzens Begleitung. Vier Wochen lang wohnte ich mit ihm bei seinem Oheim, einem einfachen Bauer, und dieser Aufenthalt, diese Wiesen, Baumdickichte und Wasserarme erschienen meinen Neulingsaugen als das irdische Paradies. Selbst später noch, als ich die Alpen, Italien und Frankreich gesehen hatte, kehrte ich mit alter Liebe gern in den kühlen Spreewald zurück und fand dort immer neue Schönheiten. Seit dieser ersten Reise aber trennten sich meine und Franzens Lebenswege. Er wollte Schullehrer werden und bezog ein Seminar; ich selbst rüstete mich zur Universität. Mein Vater sah mich nicht gern dahin abreisen; er hätte gewünscht, mich schon jetzt in sein Geschäft aufzunehmen, da es künftig auf mich übergehen sollte. Indessen vermochte er nicht dem Wunsche seines einzigen Kindes zu widerstehen, zumal da die Stiefmutter auf meiner Seite war und ich ihm die Hoffnung keineswegs nahm, nach Vollendung meiner Studien ihm ein thätiger Gehülfe zu sein. Da ich durchaus nicht gezwungen war, mich an ein Fachstudium zu halten, lebte ich auf mehreren Akademieen ganz meinem dichterischen und künstlerischen Hange und durfte, von der Freigebigkeit meines Vaters unterstützt, mir auf Reisen auch die Welt in größeren Kreisen betrachten. In meinem zweiundzwanzigsten Jahre kehrte ich heim und beglückte den Vater durch Sehnsucht. Endlich, nachdem die Schülerjahre vorüber waren, gestattete mein Vater mir die Reise in Franzens Begleitung. Vier Wochen lang wohnte ich mit ihm bei seinem Oheim, einem einfachen Bauer, und dieser Aufenthalt, diese Wiesen, Baumdickichte und Wasserarme erschienen meinen Neulingsaugen als das irdische Paradies. Selbst später noch, als ich die Alpen, Italien und Frankreich gesehen hatte, kehrte ich mit alter Liebe gern in den kühlen Spreewald zurück und fand dort immer neue Schönheiten. Seit dieser ersten Reise aber trennten sich meine und Franzens Lebenswege. Er wollte Schullehrer werden und bezog ein Seminar; ich selbst rüstete mich zur Universität. Mein Vater sah mich nicht gern dahin abreisen; er hätte gewünscht, mich schon jetzt in sein Geschäft aufzunehmen, da es künftig auf mich übergehen sollte. Indessen vermochte er nicht dem Wunsche seines einzigen Kindes zu widerstehen, zumal da die Stiefmutter auf meiner Seite war und ich ihm die Hoffnung keineswegs nahm, nach Vollendung meiner Studien ihm ein thätiger Gehülfe zu sein. Da ich durchaus nicht gezwungen war, mich an ein Fachstudium zu halten, lebte ich auf mehreren Akademieen ganz meinem dichterischen und künstlerischen Hange und durfte, von der Freigebigkeit meines Vaters unterstützt, mir auf Reisen auch die Welt in größeren Kreisen betrachten. In meinem zweiundzwanzigsten Jahre kehrte ich heim und beglückte den Vater durch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0011"/> Sehnsucht. Endlich, nachdem die Schülerjahre vorüber waren, gestattete mein Vater mir die Reise in Franzens Begleitung. Vier Wochen lang wohnte ich mit ihm bei seinem Oheim, einem einfachen Bauer, und dieser Aufenthalt, diese Wiesen, Baumdickichte und Wasserarme erschienen meinen Neulingsaugen als das irdische Paradies. Selbst später noch, als ich die Alpen, Italien und Frankreich gesehen hatte, kehrte ich mit alter Liebe gern in den kühlen Spreewald zurück und fand dort immer neue Schönheiten.</p><lb/> <p>Seit dieser ersten Reise aber trennten sich meine und Franzens Lebenswege. Er wollte Schullehrer werden und bezog ein Seminar; ich selbst rüstete mich zur Universität. Mein Vater sah mich nicht gern dahin abreisen; er hätte gewünscht, mich schon jetzt in sein Geschäft aufzunehmen, da es künftig auf mich übergehen sollte. Indessen vermochte er nicht dem Wunsche seines einzigen Kindes zu widerstehen, zumal da die Stiefmutter auf meiner Seite war und ich ihm die Hoffnung keineswegs nahm, nach Vollendung meiner Studien ihm ein thätiger Gehülfe zu sein. Da ich durchaus nicht gezwungen war, mich an ein Fachstudium zu halten, lebte ich auf mehreren Akademieen ganz meinem dichterischen und künstlerischen Hange und durfte, von der Freigebigkeit meines Vaters unterstützt, mir auf Reisen auch die Welt in größeren Kreisen betrachten. In meinem zweiundzwanzigsten Jahre kehrte ich heim und beglückte den Vater durch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Sehnsucht. Endlich, nachdem die Schülerjahre vorüber waren, gestattete mein Vater mir die Reise in Franzens Begleitung. Vier Wochen lang wohnte ich mit ihm bei seinem Oheim, einem einfachen Bauer, und dieser Aufenthalt, diese Wiesen, Baumdickichte und Wasserarme erschienen meinen Neulingsaugen als das irdische Paradies. Selbst später noch, als ich die Alpen, Italien und Frankreich gesehen hatte, kehrte ich mit alter Liebe gern in den kühlen Spreewald zurück und fand dort immer neue Schönheiten.
Seit dieser ersten Reise aber trennten sich meine und Franzens Lebenswege. Er wollte Schullehrer werden und bezog ein Seminar; ich selbst rüstete mich zur Universität. Mein Vater sah mich nicht gern dahin abreisen; er hätte gewünscht, mich schon jetzt in sein Geschäft aufzunehmen, da es künftig auf mich übergehen sollte. Indessen vermochte er nicht dem Wunsche seines einzigen Kindes zu widerstehen, zumal da die Stiefmutter auf meiner Seite war und ich ihm die Hoffnung keineswegs nahm, nach Vollendung meiner Studien ihm ein thätiger Gehülfe zu sein. Da ich durchaus nicht gezwungen war, mich an ein Fachstudium zu halten, lebte ich auf mehreren Akademieen ganz meinem dichterischen und künstlerischen Hange und durfte, von der Freigebigkeit meines Vaters unterstützt, mir auf Reisen auch die Welt in größeren Kreisen betrachten. In meinem zweiundzwanzigsten Jahre kehrte ich heim und beglückte den Vater durch
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