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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Lehm verstopft. Aber immerhin groß und stattlich lag es unter dem breiten Strohdach da und konnte an Ordnung und Sauberkeit als ein Muster aufgestellt werden. Wie im Innern, so im Hofe und im Garten. Für den letzteren hatte Franz eine besondere Vorliebe, er pflegte ihn selbst und erzog eine Menge der schönsten Blumen. Die Reben waren sorgsam am Spalier aufgebunden, und breitblättrige Schlingpflanzen spannen sich bis zum Giebel hinauf.

Es war ein warmer Sommerabend. Ich setzte mich auf die Bank an einem anmuthigen, von Bäumen beschatteten Plätzchen, um ein wenig einsam zu sein. Immer deutlicher wurde es mir, daß Victor's Mitreise nicht nur ohne Nutzen für mich sei, sondern daß er mich sogar in meinen hiesigen Verhältnissen nur stören würde. Jetzt wäre eine Stunde gewesen, wo nach mancherlei Gespräch Franzens Herz sich mir vielleicht geöffnet hätte, und nun mußte der Reisegefährte ihn fesseln und mir entziehen. Eine Weile hatte ich gesessen, als plötzlich eine lange Gestalt vor mir auftauchte und sich langsam dem erhellten Fenster entgegen bewegte, um mit ausgerecktem Halse durch dasselbe ins Zimmer zu spähen. Ich erschrak und sprang auf. Durch das Geräusch schien die Gestalt mein, der ich im Finstern gesessen hatte, erst gewahr zu werden. Auch sie machte eine Bewegung, und als ich mich rasch ihr näherte, sprang sie zur Seite und war verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Einen Ruder-

Lehm verstopft. Aber immerhin groß und stattlich lag es unter dem breiten Strohdach da und konnte an Ordnung und Sauberkeit als ein Muster aufgestellt werden. Wie im Innern, so im Hofe und im Garten. Für den letzteren hatte Franz eine besondere Vorliebe, er pflegte ihn selbst und erzog eine Menge der schönsten Blumen. Die Reben waren sorgsam am Spalier aufgebunden, und breitblättrige Schlingpflanzen spannen sich bis zum Giebel hinauf.

Es war ein warmer Sommerabend. Ich setzte mich auf die Bank an einem anmuthigen, von Bäumen beschatteten Plätzchen, um ein wenig einsam zu sein. Immer deutlicher wurde es mir, daß Victor's Mitreise nicht nur ohne Nutzen für mich sei, sondern daß er mich sogar in meinen hiesigen Verhältnissen nur stören würde. Jetzt wäre eine Stunde gewesen, wo nach mancherlei Gespräch Franzens Herz sich mir vielleicht geöffnet hätte, und nun mußte der Reisegefährte ihn fesseln und mir entziehen. Eine Weile hatte ich gesessen, als plötzlich eine lange Gestalt vor mir auftauchte und sich langsam dem erhellten Fenster entgegen bewegte, um mit ausgerecktem Halse durch dasselbe ins Zimmer zu spähen. Ich erschrak und sprang auf. Durch das Geräusch schien die Gestalt mein, der ich im Finstern gesessen hatte, erst gewahr zu werden. Auch sie machte eine Bewegung, und als ich mich rasch ihr näherte, sprang sie zur Seite und war verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Einen Ruder-

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[0054] Lehm verstopft. Aber immerhin groß und stattlich lag es unter dem breiten Strohdach da und konnte an Ordnung und Sauberkeit als ein Muster aufgestellt werden. Wie im Innern, so im Hofe und im Garten. Für den letzteren hatte Franz eine besondere Vorliebe, er pflegte ihn selbst und erzog eine Menge der schönsten Blumen. Die Reben waren sorgsam am Spalier aufgebunden, und breitblättrige Schlingpflanzen spannen sich bis zum Giebel hinauf. Es war ein warmer Sommerabend. Ich setzte mich auf die Bank an einem anmuthigen, von Bäumen beschatteten Plätzchen, um ein wenig einsam zu sein. Immer deutlicher wurde es mir, daß Victor's Mitreise nicht nur ohne Nutzen für mich sei, sondern daß er mich sogar in meinen hiesigen Verhältnissen nur stören würde. Jetzt wäre eine Stunde gewesen, wo nach mancherlei Gespräch Franzens Herz sich mir vielleicht geöffnet hätte, und nun mußte der Reisegefährte ihn fesseln und mir entziehen. Eine Weile hatte ich gesessen, als plötzlich eine lange Gestalt vor mir auftauchte und sich langsam dem erhellten Fenster entgegen bewegte, um mit ausgerecktem Halse durch dasselbe ins Zimmer zu spähen. Ich erschrak und sprang auf. Durch das Geräusch schien die Gestalt mein, der ich im Finstern gesessen hatte, erst gewahr zu werden. Auch sie machte eine Bewegung, und als ich mich rasch ihr näherte, sprang sie zur Seite und war verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Einen Ruder-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/54>, abgerufen am 24.11.2024.