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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von Kanälen eingeschlossene Insel umfaßt ein größeres Stück Land, in dessen schwerem, dunklem Bodem mancherlei Garten-Erzeugnisse für den Markt gezogen werden. Die Besitzer der Kaupen sind reiche Bauern, sie bilden die bäuerliche Aristokratie des Spreewaldes. Zu den größten dieser isolirten Ansiedlungen gehört die Lindenkaupe, bestehend aus drei stattlichen Gehöften, welche nachbarlich bei einander liegen. Sie trägt ihren Namen von einer Anzahl prachtvoller Linden, die ihre breiten Aeste über die Strohdächer ausstrecken.

Der Weg dahin war nicht zu verfehlen, ich brauchte nur den Windungen eines schönen, breiten Wasserarmes zu folgen. So fuhr ich unter der grungewölbten Kuppel mächtig aufstrebender Erlen und Eichen hin, und nach einer Stunde erkannte ich Gebäude zwischen den Baumstämmen. Es war Koal's Gehöft. Das Wohnhaus stand mit seiner Front dem Kanal zugewendet, vor der Thür eine Reihe alter Linden. Schattige Kühle um das Haus her, die Wiesen und Gärten aber im glänzenden Sonnenschein. Die Ufer des Kanals wurden durch eine jener hoch hinauf geführten Brücken verbunden. Das leichte aus Stangen erbaute Gerüst war so luftig, daß ich es auf seinem Hintergründe von Waldesgrün kaum unterscheiden konnte. Eine Frauengestalt im scharlachenen Rocke, die hinüber schritt, schien mir durch die Luft zu schweben. -- Am Ufer saß eine Schaar spielender Kinder, in lachende Farben gekleidet. Sie blickten neugierig den Fremdling an, welcher her-

von Kanälen eingeschlossene Insel umfaßt ein größeres Stück Land, in dessen schwerem, dunklem Bodem mancherlei Garten-Erzeugnisse für den Markt gezogen werden. Die Besitzer der Kaupen sind reiche Bauern, sie bilden die bäuerliche Aristokratie des Spreewaldes. Zu den größten dieser isolirten Ansiedlungen gehört die Lindenkaupe, bestehend aus drei stattlichen Gehöften, welche nachbarlich bei einander liegen. Sie trägt ihren Namen von einer Anzahl prachtvoller Linden, die ihre breiten Aeste über die Strohdächer ausstrecken.

Der Weg dahin war nicht zu verfehlen, ich brauchte nur den Windungen eines schönen, breiten Wasserarmes zu folgen. So fuhr ich unter der grungewölbten Kuppel mächtig aufstrebender Erlen und Eichen hin, und nach einer Stunde erkannte ich Gebäude zwischen den Baumstämmen. Es war Koal's Gehöft. Das Wohnhaus stand mit seiner Front dem Kanal zugewendet, vor der Thür eine Reihe alter Linden. Schattige Kühle um das Haus her, die Wiesen und Gärten aber im glänzenden Sonnenschein. Die Ufer des Kanals wurden durch eine jener hoch hinauf geführten Brücken verbunden. Das leichte aus Stangen erbaute Gerüst war so luftig, daß ich es auf seinem Hintergründe von Waldesgrün kaum unterscheiden konnte. Eine Frauengestalt im scharlachenen Rocke, die hinüber schritt, schien mir durch die Luft zu schweben. — Am Ufer saß eine Schaar spielender Kinder, in lachende Farben gekleidet. Sie blickten neugierig den Fremdling an, welcher her-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/58>, abgerufen am 21.11.2024.