Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in grüngoldenem Krystall über mir, und um Mitternacht mußte der Mond kommen. Während ich dies überlegte, vernahm ich hinter mir Ruderschläge. Ich horchte auf und fuhr langsamer. Da war Hülfe. Eine Frauengestalt bog im Kahne langsam um die Uferwindung. Ich ließ sie heran kommen, um nach dem Wege nach Leipe zu fragen. Aber kaum hatte ich die Lippen geöffnet, als sie erschrocken ausrief: Herr Ernst! Wie kommen Sie hierher? -- Es war Marie. Sie ließ die Ruderstange fallen und schien fast das Gleichgewicht zu verlieren. Nun, das ist die angenehmste Führerin, die mir werden konnte! rief ich überrascht. Hoffentlich kennen Sie den Weg besser als ich. Ich half ihr wieder zu ihrem Ruder, erzählte, wie ich hierher gekommen sei, und sprach meine Verwunderung aus, sie auf diesem einsamen Wege zu finden. O, sagte Marie, ich hatte nur ein Geschäft drinnen -- eine Bestellung. Wir sind gewohnt, Stunden lang umher zu fahren, ohne einem Menschen auf unserem Wege zu begegnen. Auch Sie sind gar sehr ins Weite gerathen, Herr Ernst. Ich will Sie bis zu einem Kreuzwege begleiten, hernach können Sie nicht mehr fehlen. Marie schien mir in ihrem Wesen befangener als sonst, doch schob ich es auf die Situation, indem sie mit einem fremden Manne bei hereinsinkender Nacht dahin fahren mußte. Ich entschuldigte mich, ihre Hülfe in grüngoldenem Krystall über mir, und um Mitternacht mußte der Mond kommen. Während ich dies überlegte, vernahm ich hinter mir Ruderschläge. Ich horchte auf und fuhr langsamer. Da war Hülfe. Eine Frauengestalt bog im Kahne langsam um die Uferwindung. Ich ließ sie heran kommen, um nach dem Wege nach Leipe zu fragen. Aber kaum hatte ich die Lippen geöffnet, als sie erschrocken ausrief: Herr Ernst! Wie kommen Sie hierher? — Es war Marie. Sie ließ die Ruderstange fallen und schien fast das Gleichgewicht zu verlieren. Nun, das ist die angenehmste Führerin, die mir werden konnte! rief ich überrascht. Hoffentlich kennen Sie den Weg besser als ich. Ich half ihr wieder zu ihrem Ruder, erzählte, wie ich hierher gekommen sei, und sprach meine Verwunderung aus, sie auf diesem einsamen Wege zu finden. O, sagte Marie, ich hatte nur ein Geschäft drinnen — eine Bestellung. Wir sind gewohnt, Stunden lang umher zu fahren, ohne einem Menschen auf unserem Wege zu begegnen. Auch Sie sind gar sehr ins Weite gerathen, Herr Ernst. Ich will Sie bis zu einem Kreuzwege begleiten, hernach können Sie nicht mehr fehlen. Marie schien mir in ihrem Wesen befangener als sonst, doch schob ich es auf die Situation, indem sie mit einem fremden Manne bei hereinsinkender Nacht dahin fahren mußte. Ich entschuldigte mich, ihre Hülfe <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0079"/> in grüngoldenem Krystall über mir, und um Mitternacht mußte der Mond kommen.</p><lb/> <p>Während ich dies überlegte, vernahm ich hinter mir Ruderschläge. Ich horchte auf und fuhr langsamer. Da war Hülfe. Eine Frauengestalt bog im Kahne langsam um die Uferwindung. Ich ließ sie heran kommen, um nach dem Wege nach Leipe zu fragen. Aber kaum hatte ich die Lippen geöffnet, als sie erschrocken ausrief: Herr Ernst! Wie kommen Sie hierher? — Es war Marie. Sie ließ die Ruderstange fallen und schien fast das Gleichgewicht zu verlieren.</p><lb/> <p>Nun, das ist die angenehmste Führerin, die mir werden konnte! rief ich überrascht. Hoffentlich kennen Sie den Weg besser als ich. Ich half ihr wieder zu ihrem Ruder, erzählte, wie ich hierher gekommen sei, und sprach meine Verwunderung aus, sie auf diesem einsamen Wege zu finden.</p><lb/> <p>O, sagte Marie, ich hatte nur ein Geschäft drinnen — eine Bestellung. Wir sind gewohnt, Stunden lang umher zu fahren, ohne einem Menschen auf unserem Wege zu begegnen. Auch Sie sind gar sehr ins Weite gerathen, Herr Ernst. Ich will Sie bis zu einem Kreuzwege begleiten, hernach können Sie nicht mehr fehlen.</p><lb/> <p>Marie schien mir in ihrem Wesen befangener als sonst, doch schob ich es auf die Situation, indem sie mit einem fremden Manne bei hereinsinkender Nacht dahin fahren mußte. Ich entschuldigte mich, ihre Hülfe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
in grüngoldenem Krystall über mir, und um Mitternacht mußte der Mond kommen.
Während ich dies überlegte, vernahm ich hinter mir Ruderschläge. Ich horchte auf und fuhr langsamer. Da war Hülfe. Eine Frauengestalt bog im Kahne langsam um die Uferwindung. Ich ließ sie heran kommen, um nach dem Wege nach Leipe zu fragen. Aber kaum hatte ich die Lippen geöffnet, als sie erschrocken ausrief: Herr Ernst! Wie kommen Sie hierher? — Es war Marie. Sie ließ die Ruderstange fallen und schien fast das Gleichgewicht zu verlieren.
Nun, das ist die angenehmste Führerin, die mir werden konnte! rief ich überrascht. Hoffentlich kennen Sie den Weg besser als ich. Ich half ihr wieder zu ihrem Ruder, erzählte, wie ich hierher gekommen sei, und sprach meine Verwunderung aus, sie auf diesem einsamen Wege zu finden.
O, sagte Marie, ich hatte nur ein Geschäft drinnen — eine Bestellung. Wir sind gewohnt, Stunden lang umher zu fahren, ohne einem Menschen auf unserem Wege zu begegnen. Auch Sie sind gar sehr ins Weite gerathen, Herr Ernst. Ich will Sie bis zu einem Kreuzwege begleiten, hernach können Sie nicht mehr fehlen.
Marie schien mir in ihrem Wesen befangener als sonst, doch schob ich es auf die Situation, indem sie mit einem fremden Manne bei hereinsinkender Nacht dahin fahren mußte. Ich entschuldigte mich, ihre Hülfe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T10:15:33Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T10:15:33Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |