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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Charfreitag von der Kanzel verkündet worden,
unser Herrgott sei gestorben für die Sünden der Welt.

In ernster und in höchster Verwunderung meint
es der Alte, der doch zu jedem Abendgebete die
Worte sagt: "Gelitten unter Pontius Pilatus, ge-
kreuziget, gestorben."

Es ist Zungengebet. Das wahre Gebet betet
nur das Herz in seiner Noth, in seiner Freude,
aber die Leute werden sich desselben nicht bewußt.
In Untiefen begraben liegt noch das Ding, das wir
wahre Gottesehre oder Sittlichkeit heißen.

Die Leute eilen in der Osternacht oder am
Morgen in den freien Wald hinaus, zünden Feuer
an, lassen Schießpulver knallen und spähen in der
Luft nach dem päpstlichen Segen, der am Oster-
morgen von der Zinne der Peterskirche zu Rom
ausgestreut werde nach allen vier Winden.

Es ist immer das unbewußte Sehnen und
Ringen. Man merkt, es liegt etwas begraben in
den Herzen, was nicht todt ist. Wann aber wird
der Engel kommen, der den Stein hinwegwälzt?



Charfreitag von der Kanzel verkündet worden,
unſer Herrgott ſei geſtorben für die Sünden der Welt.

In ernſter und in höchſter Verwunderung meint
es der Alte, der doch zu jedem Abendgebete die
Worte ſagt: „Gelitten unter Pontius Pilatus, ge-
kreuziget, geſtorben.“

Es iſt Zungengebet. Das wahre Gebet betet
nur das Herz in ſeiner Noth, in ſeiner Freude,
aber die Leute werden ſich desſelben nicht bewußt.
In Untiefen begraben liegt noch das Ding, das wir
wahre Gottesehre oder Sittlichkeit heißen.

Die Leute eilen in der Oſternacht oder am
Morgen in den freien Wald hinaus, zünden Feuer
an, laſſen Schießpulver knallen und ſpähen in der
Luft nach dem päpſtlichen Segen, der am Oſter-
morgen von der Zinne der Peterskirche zu Rom
ausgeſtreut werde nach allen vier Winden.

Es iſt immer das unbewußte Sehnen und
Ringen. Man merkt, es liegt etwas begraben in
den Herzen, was nicht todt iſt. Wann aber wird
der Engel kommen, der den Stein hinwegwälzt?



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[213/0223] Charfreitag von der Kanzel verkündet worden, unſer Herrgott ſei geſtorben für die Sünden der Welt. In ernſter und in höchſter Verwunderung meint es der Alte, der doch zu jedem Abendgebete die Worte ſagt: „Gelitten unter Pontius Pilatus, ge- kreuziget, geſtorben.“ Es iſt Zungengebet. Das wahre Gebet betet nur das Herz in ſeiner Noth, in ſeiner Freude, aber die Leute werden ſich desſelben nicht bewußt. In Untiefen begraben liegt noch das Ding, das wir wahre Gottesehre oder Sittlichkeit heißen. Die Leute eilen in der Oſternacht oder am Morgen in den freien Wald hinaus, zünden Feuer an, laſſen Schießpulver knallen und ſpähen in der Luft nach dem päpſtlichen Segen, der am Oſter- morgen von der Zinne der Peterskirche zu Rom ausgeſtreut werde nach allen vier Winden. Es iſt immer das unbewußte Sehnen und Ringen. Man merkt, es liegt etwas begraben in den Herzen, was nicht todt iſt. Wann aber wird der Engel kommen, der den Stein hinwegwälzt?

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/223>, abgerufen am 27.11.2024.