Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.Vor dem Kreuze stehen wir still. Auf dem be- Unserer Gemeinde möge es das Erstere sein! Es ist gut, daß kein Mensch weiß, wer den Vor dem Kreuze ſtehen wir ſtill. Auf dem be- Unſerer Gemeinde möge es das Erſtere ſein! Es iſt gut, daß kein Menſch weiß, wer den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0249" n="239"/> <p>Vor dem Kreuze ſtehen wir ſtill. Auf dem be-<lb/> mooſten Felsklotz ragt es, wie es vor vier Jahren<lb/> geragt, wie es nach der Menſchen Sagen ſeit un-<lb/> vordenklichen Zeiten geſtanden. Wetterſtürme ſind<lb/> über ihn hingezogen und haben die Rinde gelöſt<lb/> von dem Holze; ſie ſind dem Kreuzbilde nicht wei-<lb/> ter gefährlich worden. Aber die milden Sonnentage<lb/> haben Spalten geſprengt an den Balken. — Das<lb/> Himmelsauge wölbt ſich in lichter Bläue über den<lb/> verlornen Weltwinkel. Die niedergehende Sonne<lb/> blitzt ſchräge hinter dem Gefelſe hervor und ſpinnt<lb/> in den uralten, kahläſtigen Baumrunen und beſcheint<lb/> den rechten Arm des Kreuzes. Ein braunes Würm-<lb/> chen kriecht über den Balken dem ſonnigen Arme<lb/> zu, doch kaum es den Arm erreicht, iſt die Glut<lb/> erloſchen. — Ein Kieferſchabkäfer lauft an dem<lb/> Stamme empor und eilt unter das letzte Rinden-<lb/> ſchüppchen, um etwan die Puppe einer Ameiſe zu<lb/> erhaſchen. — Dem iſt das beſtrahlte Kreuz ein<lb/> Gottesreich; dem iſt es ein Tummelplatz ſeines<lb/> Strebens und Genießens.</p><lb/> <p>Unſerer Gemeinde möge es das Erſtere ſein!</p><lb/> <p>Es iſt gut, daß kein Menſch weiß, wer den<lb/> Pfahl im Felſenthale gezimmert und aufgeſtellt hat.<lb/> Denn niemals ſollen ſich unter den Anbetenden<lb/> jene Hände falten, die das Bild der Gottheit ge-<lb/> ſchnitzt haben. Von dem Berge Sinai herab hat<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [239/0249]
Vor dem Kreuze ſtehen wir ſtill. Auf dem be-
mooſten Felsklotz ragt es, wie es vor vier Jahren
geragt, wie es nach der Menſchen Sagen ſeit un-
vordenklichen Zeiten geſtanden. Wetterſtürme ſind
über ihn hingezogen und haben die Rinde gelöſt
von dem Holze; ſie ſind dem Kreuzbilde nicht wei-
ter gefährlich worden. Aber die milden Sonnentage
haben Spalten geſprengt an den Balken. — Das
Himmelsauge wölbt ſich in lichter Bläue über den
verlornen Weltwinkel. Die niedergehende Sonne
blitzt ſchräge hinter dem Gefelſe hervor und ſpinnt
in den uralten, kahläſtigen Baumrunen und beſcheint
den rechten Arm des Kreuzes. Ein braunes Würm-
chen kriecht über den Balken dem ſonnigen Arme
zu, doch kaum es den Arm erreicht, iſt die Glut
erloſchen. — Ein Kieferſchabkäfer lauft an dem
Stamme empor und eilt unter das letzte Rinden-
ſchüppchen, um etwan die Puppe einer Ameiſe zu
erhaſchen. — Dem iſt das beſtrahlte Kreuz ein
Gottesreich; dem iſt es ein Tummelplatz ſeines
Strebens und Genießens.
Unſerer Gemeinde möge es das Erſtere ſein!
Es iſt gut, daß kein Menſch weiß, wer den
Pfahl im Felſenthale gezimmert und aufgeſtellt hat.
Denn niemals ſollen ſich unter den Anbetenden
jene Hände falten, die das Bild der Gottheit ge-
ſchnitzt haben. Von dem Berge Sinai herab hat
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