Ja, der Einspanig geheißen, weil er nie in Gesellschaft eines zweiten gesehen worden. Und jetztund sitzt das Zweispan auf dem Stamme: Die Frage und die Antwort.
"Wisset, was das ist, ein Herrenkind?" frägt der Mann plötzlich und starrt mir in's Gesicht. -- "In einem Palast geboren, in einer goldenen Wiege gewiegt werden. Der rauhe Erdboden ist verdeckt mit weichen Geweben; die brennenden Sonnenstrahlen und Wetterwolken des Himmels sind verhüllt mit schweren Seidenvorhängen; für jeden leisen Wunsch eine Dienerschaar; -- eine Gegen- wart voll Ebenmaaß und hundertfach gehüteten Glückes; eine Zukunft voll Genuß und hoher Würden: das heißt Herrenkindschaft. Auch ich bin ein Heerenkind gewesen, und als solches ärmer, wie ein Bettelknab'. Ich habe es aber zur Zeit nicht gewußt und erst als ich der Jahre zwölf oder vierzehn gezählt, ist mir die schreckliche Frage er- wacht: Mensch, wo hast du deine Mutter? -- Meine Mutter hat mir das Leben gegeben und das Sonnenlicht; -- ihr eigenes war's gewesen -- bei meiner Geburt ist sie gestorben.
Meinen Vater habe ich selten gesehen; er ist auf Jagden oder auf Reisen, oder in der großen Stadt Paris, oder in Bädern. Meine Liebe, für Vater und Mutter mir in's Herz gegeben, verschwende
Ja, der Einſpanig geheißen, weil er nie in Geſellſchaft eines zweiten geſehen worden. Und jetztund ſitzt das Zweiſpan auf dem Stamme: Die Frage und die Antwort.
„Wiſſet, was das iſt, ein Herrenkind?“ frägt der Mann plötzlich und ſtarrt mir in’s Geſicht. — „In einem Palaſt geboren, in einer goldenen Wiege gewiegt werden. Der rauhe Erdboden iſt verdeckt mit weichen Geweben; die brennenden Sonnenſtrahlen und Wetterwolken des Himmels ſind verhüllt mit ſchweren Seidenvorhängen; für jeden leiſen Wunſch eine Dienerſchaar; — eine Gegen- wart voll Ebenmaaß und hundertfach gehüteten Glückes; eine Zukunft voll Genuß und hoher Würden: das heißt Herrenkindſchaft. Auch ich bin ein Heerenkind geweſen, und als ſolches ärmer, wie ein Bettelknab’. Ich habe es aber zur Zeit nicht gewußt und erſt als ich der Jahre zwölf oder vierzehn gezählt, iſt mir die ſchreckliche Frage er- wacht: Menſch, wo haſt du deine Mutter? — Meine Mutter hat mir das Leben gegeben und das Sonnenlicht; — ihr eigenes war’s geweſen — bei meiner Geburt iſt ſie geſtorben.
Meinen Vater habe ich ſelten geſehen; er iſt auf Jagden oder auf Reiſen, oder in der großen Stadt Paris, oder in Bädern. Meine Liebe, für Vater und Mutter mir in’s Herz gegeben, verſchwende
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Ja, der Einſpanig geheißen, weil er nie in
Geſellſchaft eines zweiten geſehen worden. Und
jetztund ſitzt das Zweiſpan auf dem Stamme:
Die Frage und die Antwort.
„Wiſſet, was das iſt, ein Herrenkind?“ frägt
der Mann plötzlich und ſtarrt mir in’s Geſicht. —
„In einem Palaſt geboren, in einer goldenen
Wiege gewiegt werden. Der rauhe Erdboden iſt
verdeckt mit weichen Geweben; die brennenden
Sonnenſtrahlen und Wetterwolken des Himmels ſind
verhüllt mit ſchweren Seidenvorhängen; für jeden
leiſen Wunſch eine Dienerſchaar; — eine Gegen-
wart voll Ebenmaaß und hundertfach gehüteten
Glückes; eine Zukunft voll Genuß und hoher
Würden: das heißt Herrenkindſchaft. Auch ich bin
ein Heerenkind geweſen, und als ſolches ärmer,
wie ein Bettelknab’. Ich habe es aber zur Zeit
nicht gewußt und erſt als ich der Jahre zwölf oder
vierzehn gezählt, iſt mir die ſchreckliche Frage er-
wacht: Menſch, wo haſt du deine Mutter? —
Meine Mutter hat mir das Leben gegeben und
das Sonnenlicht; — ihr eigenes war’s geweſen —
bei meiner Geburt iſt ſie geſtorben.
Meinen Vater habe ich ſelten geſehen; er iſt
auf Jagden oder auf Reiſen, oder in der großen
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/276>, abgerufen am 25.11.2024.
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