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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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lung, aber auf einmal sehe ich mich versetzt in
eines der Länder, die gegen Abend liegen, und zwar
unter Veränderung des Ordensnamens, an den Hof
des Königs. Vielleicht ist es meine Abkunft, vielleicht
die feine Erziehung, die ich genossen, vielleicht auch
meine Gelehrsamkeit oder eine gewisse Klugheit, die
ich mir nach und nach angeeignet, oder es kann
meine Körpergestalt gewesen sein, die schön ge-
nannt war -- oder all das zusammen oder noch
ein Anderes, das mich befördert hat, ich weiß
es nicht.

Ich habe nach einiger Zeit ein einflußreiches
Amt in der Staatskanzlei erhalten. Und mein Wahl-
spruch ist gewesen: Sei ein geheimes Rad im
großen Werkskasten des Staates und leite das Volk
nach den Absichten Gottes. -- Die Absichten Gottes,
die sind freilich nur dem Statthalter zu Rom be-
kannt gewesen.

Geschmeidigkeit, Sanftmut, Heiterkeit und Duld-
samkeit sind die Tugenden, deren ich mich zu be-
fleißen gehabt habe. So bin ich der Freund des
Hofes geworden, der gerne gesehene Gesellschafter,
der gesuchte Rathgeber; und wenn ich in der Schloß-
kapelle meine Messe gelesen habe, so ist die ge-
sammte hohe Frauenwelt vor dem Altare auf den
Knieen gelegen. Endlich bin ich Beichtvater des
Königs geworden.


Rosegger: Waldschulmeister. 18

lung, aber auf einmal ſehe ich mich verſetzt in
eines der Länder, die gegen Abend liegen, und zwar
unter Veränderung des Ordensnamens, an den Hof
des Königs. Vielleicht iſt es meine Abkunft, vielleicht
die feine Erziehung, die ich genoſſen, vielleicht auch
meine Gelehrſamkeit oder eine gewiſſe Klugheit, die
ich mir nach und nach angeeignet, oder es kann
meine Körpergeſtalt geweſen ſein, die ſchön ge-
nannt war — oder all das zuſammen oder noch
ein Anderes, das mich befördert hat, ich weiß
es nicht.

Ich habe nach einiger Zeit ein einflußreiches
Amt in der Staatskanzlei erhalten. Und mein Wahl-
ſpruch iſt geweſen: Sei ein geheimes Rad im
großen Werkskaſten des Staates und leite das Volk
nach den Abſichten Gottes. — Die Abſichten Gottes,
die ſind freilich nur dem Statthalter zu Rom be-
kannt geweſen.

Geſchmeidigkeit, Sanftmut, Heiterkeit und Duld-
ſamkeit ſind die Tugenden, deren ich mich zu be-
fleißen gehabt habe. So bin ich der Freund des
Hofes geworden, der gerne geſehene Geſellſchafter,
der geſuchte Rathgeber; und wenn ich in der Schloß-
kapelle meine Meſſe geleſen habe, ſo iſt die ge-
ſammte hohe Frauenwelt vor dem Altare auf den
Knieen gelegen. Endlich bin ich Beichtvater des
Königs geworden.


Roſegger: Waldſchulmeiſter. 18
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[273/0283] lung, aber auf einmal ſehe ich mich verſetzt in eines der Länder, die gegen Abend liegen, und zwar unter Veränderung des Ordensnamens, an den Hof des Königs. Vielleicht iſt es meine Abkunft, vielleicht die feine Erziehung, die ich genoſſen, vielleicht auch meine Gelehrſamkeit oder eine gewiſſe Klugheit, die ich mir nach und nach angeeignet, oder es kann meine Körpergeſtalt geweſen ſein, die ſchön ge- nannt war — oder all das zuſammen oder noch ein Anderes, das mich befördert hat, ich weiß es nicht. Ich habe nach einiger Zeit ein einflußreiches Amt in der Staatskanzlei erhalten. Und mein Wahl- ſpruch iſt geweſen: Sei ein geheimes Rad im großen Werkskaſten des Staates und leite das Volk nach den Abſichten Gottes. — Die Abſichten Gottes, die ſind freilich nur dem Statthalter zu Rom be- kannt geweſen. Geſchmeidigkeit, Sanftmut, Heiterkeit und Duld- ſamkeit ſind die Tugenden, deren ich mich zu be- fleißen gehabt habe. So bin ich der Freund des Hofes geworden, der gerne geſehene Geſellſchafter, der geſuchte Rathgeber; und wenn ich in der Schloß- kapelle meine Meſſe geleſen habe, ſo iſt die ge- ſammte hohe Frauenwelt vor dem Altare auf den Knieen gelegen. Endlich bin ich Beichtvater des Königs geworden. Roſegger: Waldſchulmeiſter. 18

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/283>, abgerufen am 24.11.2024.