Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Um Gotteswillen, ja, ich will fasten, beten,
will Almosen geben zehnfach mehr, als was ich betrogen.

-- Alles fruchtlos. Vor dem Betrogenen müßt
ihr es sühnen, wenn Der es vergibt, so wird auch
Gott es streichen aus dem Buche des Lebens.

-- So soll ich jetzt fort und suchen, die
ganze Welt durchsuchen? schreit er fiebernd; ist
der Herr nicht am Kreuz gestorben, daß er die
Sünden der Welt auf sich nehm'? Mord und Todt-
schlag werden verziehen, und mir kann meine Ver-
irrung um Christi Bluteswillen nicht vergeben sein?

-- Markelt nicht mit dem gerechten Gott im
Himmel! rufe ich erbittert, daß sich da Einer auf-
lehnt gegen den Höchsten, jeder Tropfen des rosen-
farb'nen Christiblutes wird dem Lästerer zu einer
Flammenzunge des höllischen Feuers. Dreimal höher
ist der Himmel, seit er durch das Kreuzopfer ist
erkauft worden; und neunmal tiefer ist die Hölle,
seitdem die Menschen drei Nägel geschlagen durch
Christi Händ' und Füße.

Ueber diese meine Worte ist ein Aufstöhnen,
ein Fluchwort, und ich höre den Schall der Tritte
eines Davoneilenden. Dann bin ich in der nächtigen
Kirche allein.

Ich trete aus dem Beichtstuhle, kniee hin vor
den hochragenden Altar und bete lange für den
Verstockten. Und wie ich so emporblicke zu dem

— Um Gotteswillen, ja, ich will faſten, beten,
will Almoſen geben zehnfach mehr, als was ich betrogen.

— Alles fruchtlos. Vor dem Betrogenen müßt
ihr es ſühnen, wenn Der es vergibt, ſo wird auch
Gott es ſtreichen aus dem Buche des Lebens.

— So ſoll ich jetzt fort und ſuchen, die
ganze Welt durchſuchen? ſchreit er fiebernd; iſt
der Herr nicht am Kreuz geſtorben, daß er die
Sünden der Welt auf ſich nehm’? Mord und Todt-
ſchlag werden verziehen, und mir kann meine Ver-
irrung um Chriſti Bluteswillen nicht vergeben ſein?

— Markelt nicht mit dem gerechten Gott im
Himmel! rufe ich erbittert, daß ſich da Einer auf-
lehnt gegen den Höchſten, jeder Tropfen des roſen-
farb’nen Chriſtiblutes wird dem Läſterer zu einer
Flammenzunge des hölliſchen Feuers. Dreimal höher
iſt der Himmel, ſeit er durch das Kreuzopfer iſt
erkauft worden; und neunmal tiefer iſt die Hölle,
ſeitdem die Menſchen drei Nägel geſchlagen durch
Chriſti Händ’ und Füße.

Ueber dieſe meine Worte iſt ein Aufſtöhnen,
ein Fluchwort, und ich höre den Schall der Tritte
eines Davoneilenden. Dann bin ich in der nächtigen
Kirche allein.

Ich trete aus dem Beichtſtuhle, kniee hin vor
den hochragenden Altar und bete lange für den
Verſtockten. Und wie ich ſo emporblicke zu dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0293" n="283"/>
          <p>&#x2014; Um Gotteswillen, ja, ich will fa&#x017F;ten, beten,<lb/>
will Almo&#x017F;en geben zehnfach mehr, als was ich betrogen.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Alles fruchtlos. Vor dem Betrogenen müßt<lb/>
ihr es &#x017F;ühnen, wenn Der es vergibt, &#x017F;o wird auch<lb/>
Gott es &#x017F;treichen aus dem Buche des Lebens.</p><lb/>
          <p>&#x2014; So &#x017F;oll ich jetzt fort und &#x017F;uchen, die<lb/>
ganze Welt durch&#x017F;uchen? &#x017F;chreit er fiebernd; i&#x017F;t<lb/>
der Herr nicht am Kreuz ge&#x017F;torben, daß er die<lb/>
Sünden der Welt auf &#x017F;ich nehm&#x2019;? Mord und Todt-<lb/>
&#x017F;chlag werden verziehen, und mir kann meine Ver-<lb/>
irrung um Chri&#x017F;ti Bluteswillen nicht vergeben &#x017F;ein?</p><lb/>
          <p>&#x2014; Markelt nicht mit dem gerechten Gott im<lb/>
Himmel! rufe ich erbittert, daß &#x017F;ich da Einer auf-<lb/>
lehnt gegen den Höch&#x017F;ten, jeder Tropfen des ro&#x017F;en-<lb/>
farb&#x2019;nen Chri&#x017F;tiblutes wird dem Lä&#x017F;terer zu einer<lb/>
Flammenzunge des hölli&#x017F;chen Feuers. Dreimal höher<lb/>
i&#x017F;t der Himmel, &#x017F;eit er durch das Kreuzopfer i&#x017F;t<lb/>
erkauft worden; und neunmal tiefer i&#x017F;t die Hölle,<lb/>
&#x017F;eitdem die Men&#x017F;chen drei Nägel ge&#x017F;chlagen durch<lb/>
Chri&#x017F;ti Händ&#x2019; und Füße.</p><lb/>
          <p>Ueber die&#x017F;e meine Worte i&#x017F;t ein Auf&#x017F;töhnen,<lb/>
ein Fluchwort, und ich höre den Schall der Tritte<lb/>
eines Davoneilenden. Dann bin ich in der nächtigen<lb/>
Kirche allein.</p><lb/>
          <p>Ich trete aus dem Beicht&#x017F;tuhle, kniee hin vor<lb/>
den hochragenden Altar und bete lange für den<lb/>
Ver&#x017F;tockten. Und wie ich &#x017F;o emporblicke zu dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0293] — Um Gotteswillen, ja, ich will faſten, beten, will Almoſen geben zehnfach mehr, als was ich betrogen. — Alles fruchtlos. Vor dem Betrogenen müßt ihr es ſühnen, wenn Der es vergibt, ſo wird auch Gott es ſtreichen aus dem Buche des Lebens. — So ſoll ich jetzt fort und ſuchen, die ganze Welt durchſuchen? ſchreit er fiebernd; iſt der Herr nicht am Kreuz geſtorben, daß er die Sünden der Welt auf ſich nehm’? Mord und Todt- ſchlag werden verziehen, und mir kann meine Ver- irrung um Chriſti Bluteswillen nicht vergeben ſein? — Markelt nicht mit dem gerechten Gott im Himmel! rufe ich erbittert, daß ſich da Einer auf- lehnt gegen den Höchſten, jeder Tropfen des roſen- farb’nen Chriſtiblutes wird dem Läſterer zu einer Flammenzunge des hölliſchen Feuers. Dreimal höher iſt der Himmel, ſeit er durch das Kreuzopfer iſt erkauft worden; und neunmal tiefer iſt die Hölle, ſeitdem die Menſchen drei Nägel geſchlagen durch Chriſti Händ’ und Füße. Ueber dieſe meine Worte iſt ein Aufſtöhnen, ein Fluchwort, und ich höre den Schall der Tritte eines Davoneilenden. Dann bin ich in der nächtigen Kirche allein. Ich trete aus dem Beichtſtuhle, kniee hin vor den hochragenden Altar und bete lange für den Verſtockten. Und wie ich ſo emporblicke zu dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/293
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/293>, abgerufen am 23.11.2024.