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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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habe ich Schreckliches ausgestanden. Das Klappern
der Todtengerippe habe ich in meinem fiebernden
Zustande gehört; den Selbstmörder habe ich bau-
meln gesehen an der Kirchhofsmauer, und wie er
mich angrinst mit starrem Auge! -- Und aus den
Tiefen des Teiches steigt ein Weib empor mit dem
Kinde, und seine feuchten Locken werden zu Schlan-
gen und legen sich um meine Glieder. Und all die
unerlösten Seelen kommen, denen ich die Verdam-
mung gepredigt. Und inmitten steht das hohe Kreuz
und eine Stimme höre ich rufen: Du hast den
Heiland getödtet in den Herzen, du hast ihnen das
schwere Kreuz aufgebürdet, das Kreuz ohne Heiland.
-- Gottesmörder!"

Aechzend ist der Mann hingesunken auf das
Geäste des Baumes. Kaum habe ich es vermocht,
ihn wieder aufzurichten. Nebelfeuchtes Wildfarren-
kraut reiße ich ab und lege es auf seine glühende
Stirne.

"Erzählet ein andermal zu Ende," sage ich,
"und gehen wir heute in unsere Wohnungen, es
kommt wahrhaftig schon die Nacht."

Er hat sich aufgerichtet, ist mit den Zipfeln
seines Mantels über die Augen gefahren.

"Heute ist der Frieden in mir," sagt er
hierauf ruhig, "aber so oft ich an dieselbe
Stunde denke, glüht mein Blut wie Höllenflammen.

habe ich Schreckliches ausgeſtanden. Das Klappern
der Todtengerippe habe ich in meinem fiebernden
Zuſtande gehört; den Selbſtmörder habe ich bau-
meln geſehen an der Kirchhofsmauer, und wie er
mich angrinſt mit ſtarrem Auge! — Und aus den
Tiefen des Teiches ſteigt ein Weib empor mit dem
Kinde, und ſeine feuchten Locken werden zu Schlan-
gen und legen ſich um meine Glieder. Und all die
unerlöſten Seelen kommen, denen ich die Verdam-
mung gepredigt. Und inmitten ſteht das hohe Kreuz
und eine Stimme höre ich rufen: Du haſt den
Heiland getödtet in den Herzen, du haſt ihnen das
ſchwere Kreuz aufgebürdet, das Kreuz ohne Heiland.
— Gottesmörder!“

Aechzend iſt der Mann hingeſunken auf das
Geäſte des Baumes. Kaum habe ich es vermocht,
ihn wieder aufzurichten. Nebelfeuchtes Wildfarren-
kraut reiße ich ab und lege es auf ſeine glühende
Stirne.

„Erzählet ein andermal zu Ende,“ ſage ich,
„und gehen wir heute in unſere Wohnungen, es
kommt wahrhaftig ſchon die Nacht.“

Er hat ſich aufgerichtet, iſt mit den Zipfeln
ſeines Mantels über die Augen gefahren.

„Heute iſt der Frieden in mir,“ ſagt er
hierauf ruhig, „aber ſo oft ich an dieſelbe
Stunde denke, glüht mein Blut wie Höllenflammen.

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[288/0298] habe ich Schreckliches ausgeſtanden. Das Klappern der Todtengerippe habe ich in meinem fiebernden Zuſtande gehört; den Selbſtmörder habe ich bau- meln geſehen an der Kirchhofsmauer, und wie er mich angrinſt mit ſtarrem Auge! — Und aus den Tiefen des Teiches ſteigt ein Weib empor mit dem Kinde, und ſeine feuchten Locken werden zu Schlan- gen und legen ſich um meine Glieder. Und all die unerlöſten Seelen kommen, denen ich die Verdam- mung gepredigt. Und inmitten ſteht das hohe Kreuz und eine Stimme höre ich rufen: Du haſt den Heiland getödtet in den Herzen, du haſt ihnen das ſchwere Kreuz aufgebürdet, das Kreuz ohne Heiland. — Gottesmörder!“ Aechzend iſt der Mann hingeſunken auf das Geäſte des Baumes. Kaum habe ich es vermocht, ihn wieder aufzurichten. Nebelfeuchtes Wildfarren- kraut reiße ich ab und lege es auf ſeine glühende Stirne. „Erzählet ein andermal zu Ende,“ ſage ich, „und gehen wir heute in unſere Wohnungen, es kommt wahrhaftig ſchon die Nacht.“ Er hat ſich aufgerichtet, iſt mit den Zipfeln ſeines Mantels über die Augen gefahren. „Heute iſt der Frieden in mir,“ ſagt er hierauf ruhig, „aber ſo oft ich an dieſelbe Stunde denke, glüht mein Blut wie Höllenflammen.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/298>, abgerufen am 22.11.2024.