Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

habe ich mich eingerichtet. Im Felsenthale ist ein
hölzernes Kreuz gestanden, das seiner Tage auch
ein verlorner Waldmensch aufgerichtet haben mag.
Das ist mein Versöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne
Heiland, wie ich es sonst den bedrängten Seelen
vorgehalten, war mir nun selber geworden.

Und so, junger Freund, habe ich nun gelebt
in der Einsamkeit, habe mit den Wurznern und
Pechern gearbeitet. Und so ist Jahr um Jahr ver-
flossen. Von Entbehrung will ich nicht reden, schwerer
ist mir das Gefühl des Verlassenseins geworden,
und die Sehnsucht nach den Menschen hat mich oft
unsäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent-
sagung meine Sühne ist, hat mich getröstet. Oft
aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo
Menschen wohnen in lieber Geselligkeit. Ich habe
mich gelabt mit dem Bewußtsein ihrer Gewissens-
ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt
in das ewig einsame Felsenthal zu meiner Höhle
und zu dem stillen Kreuze auf dem Steingrunde.

Der Kampf in mir aber ist, statt geringer,
größer und schwerer geworden, und zuweilen kommt
mir der Gedanke: was ist das für ein Leben in
lahmer Thatlosigkeit, in der man Niemandem nützt,
sich selber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille sein?

Zurückkehren in den Orden, das wäre un-
möglich. In der offenen Welt leben unter dem

habe ich mich eingerichtet. Im Felſenthale iſt ein
hölzernes Kreuz geſtanden, das ſeiner Tage auch
ein verlorner Waldmenſch aufgerichtet haben mag.
Das iſt mein Verſöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne
Heiland, wie ich es ſonſt den bedrängten Seelen
vorgehalten, war mir nun ſelber geworden.

Und ſo, junger Freund, habe ich nun gelebt
in der Einſamkeit, habe mit den Wurznern und
Pechern gearbeitet. Und ſo iſt Jahr um Jahr ver-
floſſen. Von Entbehrung will ich nicht reden, ſchwerer
iſt mir das Gefühl des Verlaſſenſeins geworden,
und die Sehnſucht nach den Menſchen hat mich oft
unſäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent-
ſagung meine Sühne iſt, hat mich getröſtet. Oft
aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo
Menſchen wohnen in lieber Geſelligkeit. Ich habe
mich gelabt mit dem Bewußtſein ihrer Gewiſſens-
ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt
in das ewig einſame Felſenthal zu meiner Höhle
und zu dem ſtillen Kreuze auf dem Steingrunde.

Der Kampf in mir aber iſt, ſtatt geringer,
größer und ſchwerer geworden, und zuweilen kommt
mir der Gedanke: was iſt das für ein Leben in
lahmer Thatloſigkeit, in der man Niemandem nützt,
ſich ſelber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille ſein?

Zurückkehren in den Orden, das wäre un-
möglich. In der offenen Welt leben unter dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="293"/>
habe ich mich eingerichtet. Im Fel&#x017F;enthale i&#x017F;t ein<lb/>
hölzernes Kreuz ge&#x017F;tanden, das &#x017F;einer Tage auch<lb/>
ein verlorner Waldmen&#x017F;ch aufgerichtet haben mag.<lb/>
Das i&#x017F;t mein Ver&#x017F;öhnungsaltar. Ein Kreuz ohne<lb/>
Heiland, wie ich es &#x017F;on&#x017F;t den bedrängten Seelen<lb/>
vorgehalten, war mir nun &#x017F;elber geworden.</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;o, junger Freund, habe ich nun gelebt<lb/>
in der Ein&#x017F;amkeit, habe mit den Wurznern und<lb/>
Pechern gearbeitet. Und &#x017F;o i&#x017F;t Jahr um Jahr ver-<lb/>
flo&#x017F;&#x017F;en. Von Entbehrung will ich nicht reden, &#x017F;chwerer<lb/>
i&#x017F;t mir das Gefühl des Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;eins geworden,<lb/>
und die Sehn&#x017F;ucht nach den Men&#x017F;chen hat mich oft<lb/>
un&#x017F;äglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent-<lb/>
&#x017F;agung meine Sühne i&#x017F;t, hat mich getrö&#x017F;tet. Oft<lb/>
aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo<lb/>
Men&#x017F;chen wohnen in lieber Ge&#x017F;elligkeit. Ich habe<lb/>
mich gelabt mit dem Bewußt&#x017F;ein ihrer Gewi&#x017F;&#x017F;ens-<lb/>
ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt<lb/>
in das ewig ein&#x017F;ame Fel&#x017F;enthal zu meiner Höhle<lb/>
und zu dem &#x017F;tillen Kreuze auf dem Steingrunde.</p><lb/>
          <p>Der Kampf in mir aber i&#x017F;t, &#x017F;tatt geringer,<lb/>
größer und &#x017F;chwerer geworden, und zuweilen kommt<lb/>
mir der Gedanke: was i&#x017F;t das für ein Leben in<lb/>
lahmer Thatlo&#x017F;igkeit, in der man Niemandem nützt,<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille &#x017F;ein?</p><lb/>
          <p>Zurückkehren in den Orden, das wäre un-<lb/>
möglich. In der offenen Welt leben unter dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0303] habe ich mich eingerichtet. Im Felſenthale iſt ein hölzernes Kreuz geſtanden, das ſeiner Tage auch ein verlorner Waldmenſch aufgerichtet haben mag. Das iſt mein Verſöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne Heiland, wie ich es ſonſt den bedrängten Seelen vorgehalten, war mir nun ſelber geworden. Und ſo, junger Freund, habe ich nun gelebt in der Einſamkeit, habe mit den Wurznern und Pechern gearbeitet. Und ſo iſt Jahr um Jahr ver- floſſen. Von Entbehrung will ich nicht reden, ſchwerer iſt mir das Gefühl des Verlaſſenſeins geworden, und die Sehnſucht nach den Menſchen hat mich oft unſäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent- ſagung meine Sühne iſt, hat mich getröſtet. Oft aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo Menſchen wohnen in lieber Geſelligkeit. Ich habe mich gelabt mit dem Bewußtſein ihrer Gewiſſens- ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt in das ewig einſame Felſenthal zu meiner Höhle und zu dem ſtillen Kreuze auf dem Steingrunde. Der Kampf in mir aber iſt, ſtatt geringer, größer und ſchwerer geworden, und zuweilen kommt mir der Gedanke: was iſt das für ein Leben in lahmer Thatloſigkeit, in der man Niemandem nützt, ſich ſelber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille ſein? Zurückkehren in den Orden, das wäre un- möglich. In der offenen Welt leben unter dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/303
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/303>, abgerufen am 24.11.2024.