Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

wilden Früchten die Vöglein gefüttert und die Rehe.
Geweint habe ich über diesen meinen armseligen
Wirkungskreis und vor dem Kreuze habe ich ge-
betet: Herr, vergib! und nur einmal laß mich was
Gutes vollenden!

Und so habe ich, in der Absicht, etwas Rechtes
zu vollbringen, den Jungen aus dem Hinterwinkel
zu mir genommen. Ich hatte gehört, daß er von
seinem Vater die Tobsucht geerbt haben soll. Ich
habe bedacht, daß, wie der Mathes daran zu
Grunde gegangen, so auch der Lazarus daran zu
Grunde gehen müsse, könne durch eine entsprechende
Zucht dem Uebel nicht gesteuert werden. Auch habe
ich bedacht, daß ein schwaches, weichherziges Weib
nimmer im Stande ist, dem gefährdeten Kind die
strenge Leitung, die nöthig ist, angedeihen zu lassen.
Da habe ich eines Tages im Walde den Knaben
am Grabe seines Vaters getroffen. Er hat erbärm-
lich geweint und ist nicht von mir geflohen wie
andere Kinder. Und als ich ihn frage, was ihn
denn sosehr betrübe, da antwortet er, er hätte einen
Stein geschleudert nach seiner Mutter, und so wolle
er jetzt sterben.

Ich entgegne ihm, er möge getrost sein; ich
hätte auch einmal so einen Stein geschleudert gegen
Menschen, aber nun wäre ich in die Wildniß ge-
gangen, daß ich Buße thue und einen besseren

wilden Früchten die Vöglein gefüttert und die Rehe.
Geweint habe ich über dieſen meinen armſeligen
Wirkungskreis und vor dem Kreuze habe ich ge-
betet: Herr, vergib! und nur einmal laß mich was
Gutes vollenden!

Und ſo habe ich, in der Abſicht, etwas Rechtes
zu vollbringen, den Jungen aus dem Hinterwinkel
zu mir genommen. Ich hatte gehört, daß er von
ſeinem Vater die Tobſucht geerbt haben ſoll. Ich
habe bedacht, daß, wie der Mathes daran zu
Grunde gegangen, ſo auch der Lazarus daran zu
Grunde gehen müſſe, könne durch eine entſprechende
Zucht dem Uebel nicht geſteuert werden. Auch habe
ich bedacht, daß ein ſchwaches, weichherziges Weib
nimmer im Stande iſt, dem gefährdeten Kind die
ſtrenge Leitung, die nöthig iſt, angedeihen zu laſſen.
Da habe ich eines Tages im Walde den Knaben
am Grabe ſeines Vaters getroffen. Er hat erbärm-
lich geweint und iſt nicht von mir geflohen wie
andere Kinder. Und als ich ihn frage, was ihn
denn ſoſehr betrübe, da antwortet er, er hätte einen
Stein geſchleudert nach ſeiner Mutter, und ſo wolle
er jetzt ſterben.

Ich entgegne ihm, er möge getroſt ſein; ich
hätte auch einmal ſo einen Stein geſchleudert gegen
Menſchen, aber nun wäre ich in die Wildniß ge-
gangen, daß ich Buße thue und einen beſſeren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0305" n="295"/>
wilden Früchten die Vöglein gefüttert und die Rehe.<lb/>
Geweint habe ich über die&#x017F;en meinen arm&#x017F;eligen<lb/>
Wirkungskreis und vor dem Kreuze habe ich ge-<lb/>
betet: Herr, vergib! und nur einmal laß mich was<lb/>
Gutes vollenden!</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;o habe ich, in der Ab&#x017F;icht, etwas Rechtes<lb/>
zu vollbringen, den Jungen aus dem Hinterwinkel<lb/>
zu mir genommen. Ich hatte gehört, daß er von<lb/>
&#x017F;einem Vater die Tob&#x017F;ucht geerbt haben &#x017F;oll. Ich<lb/>
habe bedacht, daß, wie der Mathes daran zu<lb/>
Grunde gegangen, &#x017F;o auch der Lazarus daran zu<lb/>
Grunde gehen mü&#x017F;&#x017F;e, könne durch eine ent&#x017F;prechende<lb/>
Zucht dem Uebel nicht ge&#x017F;teuert werden. Auch habe<lb/>
ich bedacht, daß ein &#x017F;chwaches, weichherziges Weib<lb/>
nimmer im Stande i&#x017F;t, dem gefährdeten Kind die<lb/>
&#x017F;trenge Leitung, die nöthig i&#x017F;t, angedeihen zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Da habe ich eines Tages im Walde den Knaben<lb/>
am Grabe &#x017F;eines Vaters getroffen. Er hat erbärm-<lb/>
lich geweint und i&#x017F;t nicht von mir geflohen wie<lb/>
andere Kinder. Und als ich ihn frage, was ihn<lb/>
denn &#x017F;o&#x017F;ehr betrübe, da antwortet er, er hätte einen<lb/>
Stein ge&#x017F;chleudert nach &#x017F;einer Mutter, und &#x017F;o wolle<lb/>
er jetzt &#x017F;terben.</p><lb/>
          <p>Ich entgegne ihm, er möge getro&#x017F;t &#x017F;ein; ich<lb/>
hätte auch einmal &#x017F;o einen Stein ge&#x017F;chleudert gegen<lb/>
Men&#x017F;chen, aber nun wäre ich in die Wildniß ge-<lb/>
gangen, daß ich Buße thue und einen be&#x017F;&#x017F;eren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0305] wilden Früchten die Vöglein gefüttert und die Rehe. Geweint habe ich über dieſen meinen armſeligen Wirkungskreis und vor dem Kreuze habe ich ge- betet: Herr, vergib! und nur einmal laß mich was Gutes vollenden! Und ſo habe ich, in der Abſicht, etwas Rechtes zu vollbringen, den Jungen aus dem Hinterwinkel zu mir genommen. Ich hatte gehört, daß er von ſeinem Vater die Tobſucht geerbt haben ſoll. Ich habe bedacht, daß, wie der Mathes daran zu Grunde gegangen, ſo auch der Lazarus daran zu Grunde gehen müſſe, könne durch eine entſprechende Zucht dem Uebel nicht geſteuert werden. Auch habe ich bedacht, daß ein ſchwaches, weichherziges Weib nimmer im Stande iſt, dem gefährdeten Kind die ſtrenge Leitung, die nöthig iſt, angedeihen zu laſſen. Da habe ich eines Tages im Walde den Knaben am Grabe ſeines Vaters getroffen. Er hat erbärm- lich geweint und iſt nicht von mir geflohen wie andere Kinder. Und als ich ihn frage, was ihn denn ſoſehr betrübe, da antwortet er, er hätte einen Stein geſchleudert nach ſeiner Mutter, und ſo wolle er jetzt ſterben. Ich entgegne ihm, er möge getroſt ſein; ich hätte auch einmal ſo einen Stein geſchleudert gegen Menſchen, aber nun wäre ich in die Wildniß ge- gangen, daß ich Buße thue und einen beſſeren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/305
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/305>, abgerufen am 21.11.2024.