Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

weltumfassenden Hut hält er in den Händen. Dieser
Hut ist seine Hütte und sein Heim und seine ganze
Welt. Ein guter Hut, denkt er, ist das Beste im
Weltgetümmel, und der Erde Hut nennen sie den
Himmel.

"Was hocket ihr denn da, ihr Bärenhäuter!"
ruft der Rüppel laut und lustig, "draußen scheint
schon lang die Sonnen! -- Gelobt sei der Herr,
und ich bring' euch die wundersame Mähr, die sich
heut zugetragen hat drunten in der Betlehemstadt.
Hört ihr keine Schalmei und kein Freudengeschrei?
So luget zum Fenster hinaus, taghell beleuchtet ist
jedes Haus!"

Die Leute stecken ihre Köpfe richtig zu den
Fenstern; aber da ist nichts, als der finstere Wald
und der Sternenhimmel. -- Was sollten sie an-
sonsten denn noch sehen?

Der Alte guckt schmunzelnd nach links und
nach rechts, wie viel er wol Zuhörer habe. Sonach
stellt er sich mitten in die Stube hin, pocht mit
dem Stocke mehrmals auf den Fußboden und hebt
so an zu reden:

"Da steh ich allein draußen auf der Heid,
und schau schläfrig herum weit und breit, und treib
meine Schäflein zusamm; hab dabei gehabt ein
wutzerlfeist's Lamm. Und wie ich das anschau eine
Weil, da hör ich ein G'hetz und ein G'schall, grad

weltumfaſſenden Hut hält er in den Händen. Dieſer
Hut iſt ſeine Hütte und ſein Heim und ſeine ganze
Welt. Ein guter Hut, denkt er, iſt das Beſte im
Weltgetümmel, und der Erde Hut nennen ſie den
Himmel.

„Was hocket ihr denn da, ihr Bärenhäuter!“
ruft der Rüppel laut und luſtig, „draußen ſcheint
ſchon lang die Sonnen! — Gelobt ſei der Herr,
und ich bring’ euch die wunderſame Mähr, die ſich
heut zugetragen hat drunten in der Betlehemſtadt.
Hört ihr keine Schalmei und kein Freudengeſchrei?
So luget zum Fenſter hinaus, taghell beleuchtet iſt
jedes Haus!“

Die Leute ſtecken ihre Köpfe richtig zu den
Fenſtern; aber da iſt nichts, als der finſtere Wald
und der Sternenhimmel. — Was ſollten ſie an-
ſonſten denn noch ſehen?

Der Alte guckt ſchmunzelnd nach links und
nach rechts, wie viel er wol Zuhörer habe. Sonach
ſtellt er ſich mitten in die Stube hin, pocht mit
dem Stocke mehrmals auf den Fußboden und hebt
ſo an zu reden:

„Da ſteh ich allein draußen auf der Heid,
und ſchau ſchläfrig herum weit und breit, und treib
meine Schäflein zuſamm; hab dabei gehabt ein
wutzerlfeiſt’s Lamm. Und wie ich das anſchau eine
Weil, da hör ich ein G’hetz und ein G’ſchall, grad

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0345" n="335"/>
weltumfa&#x017F;&#x017F;enden Hut hält er in den Händen. Die&#x017F;er<lb/>
Hut i&#x017F;t &#x017F;eine Hütte und &#x017F;ein Heim und &#x017F;eine ganze<lb/>
Welt. Ein guter Hut, denkt er, i&#x017F;t das Be&#x017F;te im<lb/>
Weltgetümmel, und der Erde Hut nennen &#x017F;ie den<lb/>
Himmel.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was hocket ihr denn da, ihr Bärenhäuter!&#x201C;<lb/>
ruft der Rüppel laut und lu&#x017F;tig, &#x201E;draußen &#x017F;cheint<lb/>
&#x017F;chon lang die Sonnen! &#x2014; Gelobt &#x017F;ei der Herr,<lb/>
und ich bring&#x2019; euch die wunder&#x017F;ame Mähr, die &#x017F;ich<lb/>
heut zugetragen hat drunten in der Betlehem&#x017F;tadt.<lb/>
Hört ihr keine Schalmei und kein Freudenge&#x017F;chrei?<lb/>
So luget zum Fen&#x017F;ter hinaus, taghell beleuchtet i&#x017F;t<lb/>
jedes Haus!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die Leute &#x017F;tecken ihre Köpfe richtig zu den<lb/>
Fen&#x017F;tern; aber da i&#x017F;t nichts, als der fin&#x017F;tere Wald<lb/>
und der Sternenhimmel. &#x2014; Was &#x017F;ollten &#x017F;ie an-<lb/>
&#x017F;on&#x017F;ten denn noch &#x017F;ehen?</p><lb/>
          <p>Der Alte guckt &#x017F;chmunzelnd nach links und<lb/>
nach rechts, wie viel er wol Zuhörer habe. Sonach<lb/>
&#x017F;tellt er &#x017F;ich mitten in die Stube hin, pocht mit<lb/>
dem Stocke mehrmals auf den Fußboden und hebt<lb/>
&#x017F;o an zu reden:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Da &#x017F;teh ich allein draußen auf der Heid,<lb/>
und &#x017F;chau &#x017F;chläfrig herum weit und breit, und treib<lb/>
meine Schäflein zu&#x017F;amm; hab dabei gehabt ein<lb/>
wutzerlfei&#x017F;t&#x2019;s Lamm. Und wie ich das an&#x017F;chau eine<lb/>
Weil, da hör ich ein G&#x2019;hetz und ein G&#x2019;&#x017F;chall, grad<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0345] weltumfaſſenden Hut hält er in den Händen. Dieſer Hut iſt ſeine Hütte und ſein Heim und ſeine ganze Welt. Ein guter Hut, denkt er, iſt das Beſte im Weltgetümmel, und der Erde Hut nennen ſie den Himmel. „Was hocket ihr denn da, ihr Bärenhäuter!“ ruft der Rüppel laut und luſtig, „draußen ſcheint ſchon lang die Sonnen! — Gelobt ſei der Herr, und ich bring’ euch die wunderſame Mähr, die ſich heut zugetragen hat drunten in der Betlehemſtadt. Hört ihr keine Schalmei und kein Freudengeſchrei? So luget zum Fenſter hinaus, taghell beleuchtet iſt jedes Haus!“ Die Leute ſtecken ihre Köpfe richtig zu den Fenſtern; aber da iſt nichts, als der finſtere Wald und der Sternenhimmel. — Was ſollten ſie an- ſonſten denn noch ſehen? Der Alte guckt ſchmunzelnd nach links und nach rechts, wie viel er wol Zuhörer habe. Sonach ſtellt er ſich mitten in die Stube hin, pocht mit dem Stocke mehrmals auf den Fußboden und hebt ſo an zu reden: „Da ſteh ich allein draußen auf der Heid, und ſchau ſchläfrig herum weit und breit, und treib meine Schäflein zuſamm; hab dabei gehabt ein wutzerlfeiſt’s Lamm. Und wie ich das anſchau eine Weil, da hör ich ein G’hetz und ein G’ſchall, grad

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/345
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/345>, abgerufen am 28.07.2024.