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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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thät's auch -- thäten mich tragen meine alten
Bein."

Wieder schweigt der Rüppel. Da aber Keiner
die Anspielung auf ein Trinkgeld verstanden hat, so
fährt er fort: "Der Herr Jesus geht spazieren im
Wald, thät' sich ausruhen von bitteren Leiden; ein
Hirtenknab' steht auf stiller Haid, der thät' weiße
Schäflein weiden. Thät' weiden die Schäflein und
weinen dabei, gar bitterlich, bitterlich weinen. Da
fragt ihn Herr Jesus: was weinst du mein Kind,
es thut ja die Sonnen scheinen! -- Ja freilich,
sie scheint auf den Rasen grün, der mir meinen
Vater thut decken; und der Heiland ist gestern am
Kreuze gestorben, wer wird mir den Vater wecken?
-- Da spricht der liebe Herr Jesus: Mein Kind!
siehst du die Felsen beben? Der Herr ist erstanden,
wird wecken dereinst die Todten zum ewigen
Leben."

Der alte Mann schweigt und starrt in die
Flamme. Sein Haar und Bart ist im Scheine des
nächtlichen Feuers roth wie Alpenglühen.

Und der Schein des Feuers fällt in rothen
Bändern hin durch das Gestämme auf die frischen
Gräber des nahen Kirchhofes.

Eine schwere Stille ruht über der Versamm-
lung, als erwarte sie schon diese Osternacht die
Auferstehung der Todten.


thät’s auch — thäten mich tragen meine alten
Bein.“

Wieder ſchweigt der Rüppel. Da aber Keiner
die Anſpielung auf ein Trinkgeld verſtanden hat, ſo
fährt er fort: „Der Herr Jeſus geht ſpazieren im
Wald, thät’ ſich ausruhen von bitteren Leiden; ein
Hirtenknab’ ſteht auf ſtiller Haid, der thät’ weiße
Schäflein weiden. Thät’ weiden die Schäflein und
weinen dabei, gar bitterlich, bitterlich weinen. Da
fragt ihn Herr Jeſus: was weinſt du mein Kind,
es thut ja die Sonnen ſcheinen! — Ja freilich,
ſie ſcheint auf den Raſen grün, der mir meinen
Vater thut decken; und der Heiland iſt geſtern am
Kreuze geſtorben, wer wird mir den Vater wecken?
— Da ſpricht der liebe Herr Jeſus: Mein Kind!
ſiehſt du die Felſen beben? Der Herr iſt erſtanden,
wird wecken dereinſt die Todten zum ewigen
Leben.“

Der alte Mann ſchweigt und ſtarrt in die
Flamme. Sein Haar und Bart iſt im Scheine des
nächtlichen Feuers roth wie Alpenglühen.

Und der Schein des Feuers fällt in rothen
Bändern hin durch das Geſtämme auf die friſchen
Gräber des nahen Kirchhofes.

Eine ſchwere Stille ruht über der Verſamm-
lung, als erwarte ſie ſchon dieſe Oſternacht die
Auferſtehung der Todten.


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[378/0388] thät’s auch — thäten mich tragen meine alten Bein.“ Wieder ſchweigt der Rüppel. Da aber Keiner die Anſpielung auf ein Trinkgeld verſtanden hat, ſo fährt er fort: „Der Herr Jeſus geht ſpazieren im Wald, thät’ ſich ausruhen von bitteren Leiden; ein Hirtenknab’ ſteht auf ſtiller Haid, der thät’ weiße Schäflein weiden. Thät’ weiden die Schäflein und weinen dabei, gar bitterlich, bitterlich weinen. Da fragt ihn Herr Jeſus: was weinſt du mein Kind, es thut ja die Sonnen ſcheinen! — Ja freilich, ſie ſcheint auf den Raſen grün, der mir meinen Vater thut decken; und der Heiland iſt geſtern am Kreuze geſtorben, wer wird mir den Vater wecken? — Da ſpricht der liebe Herr Jeſus: Mein Kind! ſiehſt du die Felſen beben? Der Herr iſt erſtanden, wird wecken dereinſt die Todten zum ewigen Leben.“ Der alte Mann ſchweigt und ſtarrt in die Flamme. Sein Haar und Bart iſt im Scheine des nächtlichen Feuers roth wie Alpenglühen. Und der Schein des Feuers fällt in rothen Bändern hin durch das Geſtämme auf die friſchen Gräber des nahen Kirchhofes. Eine ſchwere Stille ruht über der Verſamm- lung, als erwarte ſie ſchon dieſe Oſternacht die Auferſtehung der Todten.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/388>, abgerufen am 21.11.2024.