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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Wir verzehren, was wir bei uns haben und
trinken Wasser. Als das Mahl vorüber ist, lehnt
sich der Herr aufathmend an die Mooswand und
haucht: "Das ist gut! das ist gut!"

Und nach einer Weile richtet er sein Auge
auf mich und sagt: "Freund, ich danke Ihnen,
daß sie bei mir sind. Ich bin krank. Aber hier
werde ich genesen. Das ist ja das Wasser, von
dem der angeschossene Hirsch trinkt? -- Ich hab'
es toll getrieben -- sehr toll! Ist kein Spielzeug,
der Mensch. Schließlich bin ich zum Glücke den
Aerzten entkommen. Ich mag in keinem Metallsarg
liegen, er riecht nach Prunk, nach Gold und Sei-
den, nach erkünstelten Thränen -- pfui!"

Zu meinem Troste ist er bald eingeschlum-
mert. Ich habe die ganze Nacht gewacht und auf
Mittel gesonnen, den armen, kranken Mann unter
Menschen zu bringen. Wir sind weit ab; wollen
wir nach Winkelsteg, so müssen wir über das
Gebirge.

Am andern Morgen, als ich bereits ein neues
Feuer angemacht habe und als schon die Sonnen-
strahlen durch die Fugen blicken, erwacht der Mann,
übersieht anfangs wie staunend seine Lage und
sagt: "Guten Morgen, Andreas!"

Hierauf hebt er sogleich an, sich reisefertig zu
machen.


Rosegger: Waldschulmeister. 26

Wir verzehren, was wir bei uns haben und
trinken Waſſer. Als das Mahl vorüber iſt, lehnt
ſich der Herr aufathmend an die Mooswand und
haucht: „Das iſt gut! das iſt gut!“

Und nach einer Weile richtet er ſein Auge
auf mich und ſagt: „Freund, ich danke Ihnen,
daß ſie bei mir ſind. Ich bin krank. Aber hier
werde ich geneſen. Das iſt ja das Waſſer, von
dem der angeſchoſſene Hirſch trinkt? — Ich hab’
es toll getrieben — ſehr toll! Iſt kein Spielzeug,
der Menſch. Schließlich bin ich zum Glücke den
Aerzten entkommen. Ich mag in keinem Metallſarg
liegen, er riecht nach Prunk, nach Gold und Sei-
den, nach erkünſtelten Thränen — pfui!“

Zu meinem Troſte iſt er bald eingeſchlum-
mert. Ich habe die ganze Nacht gewacht und auf
Mittel geſonnen, den armen, kranken Mann unter
Menſchen zu bringen. Wir ſind weit ab; wollen
wir nach Winkelſteg, ſo müſſen wir über das
Gebirge.

Am andern Morgen, als ich bereits ein neues
Feuer angemacht habe und als ſchon die Sonnen-
ſtrahlen durch die Fugen blicken, erwacht der Mann,
überſieht anfangs wie ſtaunend ſeine Lage und
ſagt: „Guten Morgen, Andreas!“

Hierauf hebt er ſogleich an, ſich reiſefertig zu
machen.


Roſegger: Waldſchulmeiſter. 26
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[401/0411] Wir verzehren, was wir bei uns haben und trinken Waſſer. Als das Mahl vorüber iſt, lehnt ſich der Herr aufathmend an die Mooswand und haucht: „Das iſt gut! das iſt gut!“ Und nach einer Weile richtet er ſein Auge auf mich und ſagt: „Freund, ich danke Ihnen, daß ſie bei mir ſind. Ich bin krank. Aber hier werde ich geneſen. Das iſt ja das Waſſer, von dem der angeſchoſſene Hirſch trinkt? — Ich hab’ es toll getrieben — ſehr toll! Iſt kein Spielzeug, der Menſch. Schließlich bin ich zum Glücke den Aerzten entkommen. Ich mag in keinem Metallſarg liegen, er riecht nach Prunk, nach Gold und Sei- den, nach erkünſtelten Thränen — pfui!“ Zu meinem Troſte iſt er bald eingeſchlum- mert. Ich habe die ganze Nacht gewacht und auf Mittel geſonnen, den armen, kranken Mann unter Menſchen zu bringen. Wir ſind weit ab; wollen wir nach Winkelſteg, ſo müſſen wir über das Gebirge. Am andern Morgen, als ich bereits ein neues Feuer angemacht habe und als ſchon die Sonnen- ſtrahlen durch die Fugen blicken, erwacht der Mann, überſieht anfangs wie ſtaunend ſeine Lage und ſagt: „Guten Morgen, Andreas!“ Hierauf hebt er ſogleich an, ſich reiſefertig zu machen. Roſegger: Waldſchulmeiſter. 26

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/411>, abgerufen am 21.11.2024.