wildscheue Wesen! Kaum erwacht und von unseren Händen bekleidet, hat ihm die Angst Kraft geliehen, ist es aufgesprungen und hingeflohen am Wald- hange.
Der Herr hält sich den Kopf mit beiden Händen. "Andreas!" ruft er, "mein Uebel kehrt wieder; ich habe Erscheinungen, eine Fee habe ich gesehen!"
"Das ist keine Fee," gebe ich ihm zur Ant- wort, "das ist die Tochter jenes Holzers, der dem gnädigen Herrn die Kräuter geschickt hat."
Die Waldlilie ist es gewesen.
Einige Tage später.
Heute ist der Herr mit dem Schimmel des Graßsteiger davongefahren.
Aus der Besteigung des Zahnes ist nichts ge- worden. Als uns am See die Waldlilie entschwun- den gewesen, hat Hermann gesagt: "Mein Schicksal ist erfüllt; ich steige nicht auf den Berg. Führen Sie mich in Ihr Winkelsteg, Andreas."
Und in Winkelsteg ist er drei Tage verblieben, hat unsere Einrichtungen betrachtet und zum Theile belobt, hat sehr viel von unserem Wasser getrunken. Die Leute haben es nicht glauben wollen, daß das der Waldherr sei; ein Weiblein hat gemeint, der Waldherr müsse einen goldenen Rock tragen, und
wildſcheue Weſen! Kaum erwacht und von unſeren Händen bekleidet, hat ihm die Angſt Kraft geliehen, iſt es aufgeſprungen und hingeflohen am Wald- hange.
Der Herr hält ſich den Kopf mit beiden Händen. „Andreas!“ ruft er, „mein Uebel kehrt wieder; ich habe Erſcheinungen, eine Fee habe ich geſehen!“
„Das iſt keine Fee,“ gebe ich ihm zur Ant- wort, „das iſt die Tochter jenes Holzers, der dem gnädigen Herrn die Kräuter geſchickt hat.“
Die Waldlilie iſt es geweſen.
Einige Tage ſpäter.
Heute iſt der Herr mit dem Schimmel des Graßſteiger davongefahren.
Aus der Beſteigung des Zahnes iſt nichts ge- worden. Als uns am See die Waldlilie entſchwun- den geweſen, hat Hermann geſagt: „Mein Schickſal iſt erfüllt; ich ſteige nicht auf den Berg. Führen Sie mich in Ihr Winkelſteg, Andreas.“
Und in Winkelſteg iſt er drei Tage verblieben, hat unſere Einrichtungen betrachtet und zum Theile belobt, hat ſehr viel von unſerem Waſſer getrunken. Die Leute haben es nicht glauben wollen, daß das der Waldherr ſei; ein Weiblein hat gemeint, der Waldherr müſſe einen goldenen Rock tragen, und
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wildſcheue Weſen! Kaum erwacht und von unſeren
Händen bekleidet, hat ihm die Angſt Kraft geliehen,
iſt es aufgeſprungen und hingeflohen am Wald-
hange.
Der Herr hält ſich den Kopf mit beiden Händen.
„Andreas!“ ruft er, „mein Uebel kehrt wieder; ich
habe Erſcheinungen, eine Fee habe ich geſehen!“
„Das iſt keine Fee,“ gebe ich ihm zur Ant-
wort, „das iſt die Tochter jenes Holzers, der dem
gnädigen Herrn die Kräuter geſchickt hat.“
Die Waldlilie iſt es geweſen.
Einige Tage ſpäter.
Heute iſt der Herr mit dem Schimmel des
Graßſteiger davongefahren.
Aus der Beſteigung des Zahnes iſt nichts ge-
worden. Als uns am See die Waldlilie entſchwun-
den geweſen, hat Hermann geſagt: „Mein Schickſal
iſt erfüllt; ich ſteige nicht auf den Berg. Führen
Sie mich in Ihr Winkelſteg, Andreas.“
Und in Winkelſteg iſt er drei Tage verblieben,
hat unſere Einrichtungen betrachtet und zum Theile
belobt, hat ſehr viel von unſerem Waſſer getrunken.
Die Leute haben es nicht glauben wollen, daß das
der Waldherr ſei; ein Weiblein hat gemeint, der
Waldherr müſſe einen goldenen Rock tragen, und
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/416>, abgerufen am 21.11.2024.
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