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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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wie es nur aus treuer Erfüllung des Lebens ent-
steht: der Frieden der Seele.

Die Wachtel der Uhr schlug achtmal. Ich ver-
schloß die Blätter sorgsam in die Lade und ging
hinab gegen das Wirtshaus. Es dunkelte schon;
eine frostige Trübe lag allerwärts und eine scharfe
Luft strich durch den feinrieselnden Regen.

Der Lazarus stand vor der Hausthür, wendete
sein Gesicht nach allen Himmelsgegenden und sagte:
"'s wird anders werden." Er sagte es zu sich
selbst. Er hatte gewiß keine Ahnung, daß der junge,
fremde Mensch, der ihm nun nahte, seine ganze
Geschichte wisse.

Der Wirt war an demselben Abend recht red-
selig, aber ich war schweigsam und begab mich bald
wieder in mein Schulhaus zur Ruhe.

Wie sah ich nun Alles ganz anders an, als
vor zwei Tagen. Völlig daheim war ich in diesem
Alpendörfchen, in welchem ich gleichsam in dem
Schulmeister jung gewesen und alt geworden.

Und der Mann, der die Gemeinde gegründet
und großgezogen mit seinem Lebensmark, sollte
fremd sein und vergessen?

Nein, er ist überall zu verspüren. Unsichtbar
steigt er in Winkelsteg herum Tag und Nacht,
zu jeder Stund'! -- hatte der Kohlenbrenner
gesagt.


Rosegger: Waldschulmeister. 28

wie es nur aus treuer Erfüllung des Lebens ent-
ſteht: der Frieden der Seele.

Die Wachtel der Uhr ſchlug achtmal. Ich ver-
ſchloß die Blätter ſorgſam in die Lade und ging
hinab gegen das Wirtshaus. Es dunkelte ſchon;
eine froſtige Trübe lag allerwärts und eine ſcharfe
Luft ſtrich durch den feinrieſelnden Regen.

Der Lazarus ſtand vor der Hausthür, wendete
ſein Geſicht nach allen Himmelsgegenden und ſagte:
„’s wird anders werden.“ Er ſagte es zu ſich
ſelbſt. Er hatte gewiß keine Ahnung, daß der junge,
fremde Menſch, der ihm nun nahte, ſeine ganze
Geſchichte wiſſe.

Der Wirt war an demſelben Abend recht red-
ſelig, aber ich war ſchweigſam und begab mich bald
wieder in mein Schulhaus zur Ruhe.

Wie ſah ich nun Alles ganz anders an, als
vor zwei Tagen. Völlig daheim war ich in dieſem
Alpendörfchen, in welchem ich gleichſam in dem
Schulmeiſter jung geweſen und alt geworden.

Und der Mann, der die Gemeinde gegründet
und großgezogen mit ſeinem Lebensmark, ſollte
fremd ſein und vergeſſen?

Nein, er iſt überall zu verſpüren. Unſichtbar
ſteigt er in Winkelſteg herum Tag und Nacht,
zu jeder Stund’! — hatte der Kohlenbrenner
geſagt.


Roſegger: Waldſchulmeiſter. 28
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[433/0443] wie es nur aus treuer Erfüllung des Lebens ent- ſteht: der Frieden der Seele. Die Wachtel der Uhr ſchlug achtmal. Ich ver- ſchloß die Blätter ſorgſam in die Lade und ging hinab gegen das Wirtshaus. Es dunkelte ſchon; eine froſtige Trübe lag allerwärts und eine ſcharfe Luft ſtrich durch den feinrieſelnden Regen. Der Lazarus ſtand vor der Hausthür, wendete ſein Geſicht nach allen Himmelsgegenden und ſagte: „’s wird anders werden.“ Er ſagte es zu ſich ſelbſt. Er hatte gewiß keine Ahnung, daß der junge, fremde Menſch, der ihm nun nahte, ſeine ganze Geſchichte wiſſe. Der Wirt war an demſelben Abend recht red- ſelig, aber ich war ſchweigſam und begab mich bald wieder in mein Schulhaus zur Ruhe. Wie ſah ich nun Alles ganz anders an, als vor zwei Tagen. Völlig daheim war ich in dieſem Alpendörfchen, in welchem ich gleichſam in dem Schulmeiſter jung geweſen und alt geworden. Und der Mann, der die Gemeinde gegründet und großgezogen mit ſeinem Lebensmark, ſollte fremd ſein und vergeſſen? Nein, er iſt überall zu verſpüren. Unſichtbar ſteigt er in Winkelſteg herum Tag und Nacht, zu jeder Stund’! — hatte der Kohlenbrenner geſagt. Roſegger: Waldſchulmeiſter. 28

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/443>, abgerufen am 21.11.2024.