Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

darüber hinaus, schnurgerade hingezogen lag ein
schimmerndes Band -- das Meer!

Mir war zu Muthe, als müßte ich fortrasen
hinab von Fels zu Fels und hin über Berg und
Thal, den Schulmeister zu suchen, ihm zuzurufen:
"Kommet und sehet das Meer!"

In lauter Begeisterung und in stiller Ver-
sunkenheit habe ich wol lange hinausgestarrt. Dann
stiegen wir einige Schritte niederwärts unter den
Steinvorsprung, an welchem der Mann vor fünfzig
Jahren gesessen war und geträumt hatte.

Hier schien die Sonne gar mild und von
einigen Steinklötzen war der Schnee bereits weg-
geschmolzen. Wir setzten uns auf solche trockene
Klötze und hielten Mahlzeit. Der Peter spielte
mit seinem Stock im Schnee; er zeichnete Buch-
staben hin; ich meinte, er wolle mir etwa seine
Gedanken und Empfindungen anfschreiben. Aber er
zerstörte die Zeichen wieder und es war nur loses
Spiel.

Mein Auge schweifte hinaus, flog von einem
Berg zum andern, bis zu den fernsten, italischen
Höhen. Es glitt hin auf den sonnigen Fluthen, es
trank vom Meere. Ueber den Wassern sah ich das
Lichtwogen der mittägigen Sonne. Ein blauer
Schatten senkte sich vor meinem Auge, Sternchen
stiegen auf und nieder . . . .


darüber hinaus, ſchnurgerade hingezogen lag ein
ſchimmerndes Band — das Meer!

Mir war zu Muthe, als müßte ich fortraſen
hinab von Fels zu Fels und hin über Berg und
Thal, den Schulmeiſter zu ſuchen, ihm zuzurufen:
„Kommet und ſehet das Meer!“

In lauter Begeiſterung und in ſtiller Ver-
ſunkenheit habe ich wol lange hinausgeſtarrt. Dann
ſtiegen wir einige Schritte niederwärts unter den
Steinvorſprung, an welchem der Mann vor fünfzig
Jahren geſeſſen war und geträumt hatte.

Hier ſchien die Sonne gar mild und von
einigen Steinklötzen war der Schnee bereits weg-
geſchmolzen. Wir ſetzten uns auf ſolche trockene
Klötze und hielten Mahlzeit. Der Peter ſpielte
mit ſeinem Stock im Schnee; er zeichnete Buch-
ſtaben hin; ich meinte, er wolle mir etwa ſeine
Gedanken und Empfindungen anfſchreiben. Aber er
zerſtörte die Zeichen wieder und es war nur loſes
Spiel.

Mein Auge ſchweifte hinaus, flog von einem
Berg zum andern, bis zu den fernſten, italiſchen
Höhen. Es glitt hin auf den ſonnigen Fluthen, es
trank vom Meere. Ueber den Waſſern ſah ich das
Lichtwogen der mittägigen Sonne. Ein blauer
Schatten ſenkte ſich vor meinem Auge, Sternchen
ſtiegen auf und nieder . . . .


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0448" n="438"/>
darüber hinaus, &#x017F;chnurgerade hingezogen lag ein<lb/>
&#x017F;chimmerndes Band &#x2014; das Meer!</p><lb/>
          <p>Mir war zu Muthe, als müßte ich fortra&#x017F;en<lb/>
hinab von Fels zu Fels und hin über Berg und<lb/>
Thal, den Schulmei&#x017F;ter zu &#x017F;uchen, ihm zuzurufen:<lb/>
&#x201E;Kommet und &#x017F;ehet das Meer!&#x201C;</p><lb/>
          <p>In lauter Begei&#x017F;terung und in &#x017F;tiller Ver-<lb/>
&#x017F;unkenheit habe ich wol lange hinausge&#x017F;tarrt. Dann<lb/>
&#x017F;tiegen wir einige Schritte niederwärts unter den<lb/>
Steinvor&#x017F;prung, an welchem der Mann vor fünfzig<lb/>
Jahren ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en war und geträumt hatte.</p><lb/>
          <p>Hier &#x017F;chien die Sonne gar mild und von<lb/>
einigen Steinklötzen war der Schnee bereits weg-<lb/>
ge&#x017F;chmolzen. Wir &#x017F;etzten uns auf &#x017F;olche trockene<lb/>
Klötze und hielten Mahlzeit. Der Peter &#x017F;pielte<lb/>
mit &#x017F;einem Stock im Schnee; er zeichnete Buch-<lb/>
&#x017F;taben hin; ich meinte, er wolle mir etwa &#x017F;eine<lb/>
Gedanken und Empfindungen anf&#x017F;chreiben. Aber er<lb/>
zer&#x017F;törte die Zeichen wieder und es war nur lo&#x017F;es<lb/>
Spiel.</p><lb/>
          <p>Mein Auge &#x017F;chweifte hinaus, flog von einem<lb/>
Berg zum andern, bis zu den fern&#x017F;ten, itali&#x017F;chen<lb/>
Höhen. Es glitt hin auf den &#x017F;onnigen Fluthen, es<lb/>
trank vom Meere. Ueber den Wa&#x017F;&#x017F;ern &#x017F;ah ich das<lb/>
Lichtwogen der mittägigen Sonne. Ein blauer<lb/>
Schatten &#x017F;enkte &#x017F;ich vor meinem Auge, Sternchen<lb/>
&#x017F;tiegen auf und nieder . . . .</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0448] darüber hinaus, ſchnurgerade hingezogen lag ein ſchimmerndes Band — das Meer! Mir war zu Muthe, als müßte ich fortraſen hinab von Fels zu Fels und hin über Berg und Thal, den Schulmeiſter zu ſuchen, ihm zuzurufen: „Kommet und ſehet das Meer!“ In lauter Begeiſterung und in ſtiller Ver- ſunkenheit habe ich wol lange hinausgeſtarrt. Dann ſtiegen wir einige Schritte niederwärts unter den Steinvorſprung, an welchem der Mann vor fünfzig Jahren geſeſſen war und geträumt hatte. Hier ſchien die Sonne gar mild und von einigen Steinklötzen war der Schnee bereits weg- geſchmolzen. Wir ſetzten uns auf ſolche trockene Klötze und hielten Mahlzeit. Der Peter ſpielte mit ſeinem Stock im Schnee; er zeichnete Buch- ſtaben hin; ich meinte, er wolle mir etwa ſeine Gedanken und Empfindungen anfſchreiben. Aber er zerſtörte die Zeichen wieder und es war nur loſes Spiel. Mein Auge ſchweifte hinaus, flog von einem Berg zum andern, bis zu den fernſten, italiſchen Höhen. Es glitt hin auf den ſonnigen Fluthen, es trank vom Meere. Ueber den Waſſern ſah ich das Lichtwogen der mittägigen Sonne. Ein blauer Schatten ſenkte ſich vor meinem Auge, Sternchen ſtiegen auf und nieder . . . .

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/448
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/448>, abgerufen am 21.11.2024.