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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Ein Jahr vor dieser obigen Begebenheit hat
mir mein Freund Heinrich die Unterrichtsstelle ver-
mittelt, und zwar in dem vornehmen Hause des
Freiherrn von Schrankenheim. Meine Aufgabe ist
nicht groß, einen Knaben habe ich zu unterrichten
und für die Lehrgegenstände der Hochschule vor-
zubereiten. In diesem Hause ist es mir gut ergan-
gen und ich habe nicht mehr nöthig gehabt, mein
Mittagsbrot an verschiedenen Tischen zu erbetteln.
Mein Schüler Hermann, ein prächtiger, lernbegie-
riger Bursche hat mich lieb gehabt. So auch seine
Schwester, ein außerordentlich schönes Mädchen --
ich bin von Herzen ihr Freund gewesen.

Aber, wie die Zeit so hingeht, da wird mir
zuweilen kindisch zu Muthe, wird mir fortweg
schwüler und unbehaglicher in dem reichen Hause.
Ein wenig ungeschickt und linkisch bin ich immer
gewesen -- jetzund wird's noch ärger. Ich habe
keinen festen Boden unter den Füßen und zuweilen
kein rechtes Vertrauen zu mir selber. Die Leute
im Hause wissen es Alle, das ich ein blutarmer
Junge bin, und sie vergessen es keinen Augenblick;
sie zeigen sich gar mitleidig und selbst die
Dienerschaft will mir oftmals kleine Geschenke zu-
stecken.

Gerade allein mein Zögling hat Feingefühl,
ist lustig und zutraulich zu mir; und das Mäd-

Ein Jahr vor dieſer obigen Begebenheit hat
mir mein Freund Heinrich die Unterrichtsſtelle ver-
mittelt, und zwar in dem vornehmen Hauſe des
Freiherrn von Schrankenheim. Meine Aufgabe iſt
nicht groß, einen Knaben habe ich zu unterrichten
und für die Lehrgegenſtände der Hochſchule vor-
zubereiten. In dieſem Hauſe iſt es mir gut ergan-
gen und ich habe nicht mehr nöthig gehabt, mein
Mittagsbrot an verſchiedenen Tiſchen zu erbetteln.
Mein Schüler Hermann, ein prächtiger, lernbegie-
riger Burſche hat mich lieb gehabt. So auch ſeine
Schweſter, ein außerordentlich ſchönes Mädchen —
ich bin von Herzen ihr Freund geweſen.

Aber, wie die Zeit ſo hingeht, da wird mir
zuweilen kindiſch zu Muthe, wird mir fortweg
ſchwüler und unbehaglicher in dem reichen Hauſe.
Ein wenig ungeſchickt und linkiſch bin ich immer
geweſen — jetzund wird’s noch ärger. Ich habe
keinen feſten Boden unter den Füßen und zuweilen
kein rechtes Vertrauen zu mir ſelber. Die Leute
im Hauſe wiſſen es Alle, das ich ein blutarmer
Junge bin, und ſie vergeſſen es keinen Augenblick;
ſie zeigen ſich gar mitleidig und ſelbſt die
Dienerſchaft will mir oftmals kleine Geſchenke zu-
ſtecken.

Gerade allein mein Zögling hat Feingefühl,
iſt luſtig und zutraulich zu mir; und das Mäd-

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[45/0055] Ein Jahr vor dieſer obigen Begebenheit hat mir mein Freund Heinrich die Unterrichtsſtelle ver- mittelt, und zwar in dem vornehmen Hauſe des Freiherrn von Schrankenheim. Meine Aufgabe iſt nicht groß, einen Knaben habe ich zu unterrichten und für die Lehrgegenſtände der Hochſchule vor- zubereiten. In dieſem Hauſe iſt es mir gut ergan- gen und ich habe nicht mehr nöthig gehabt, mein Mittagsbrot an verſchiedenen Tiſchen zu erbetteln. Mein Schüler Hermann, ein prächtiger, lernbegie- riger Burſche hat mich lieb gehabt. So auch ſeine Schweſter, ein außerordentlich ſchönes Mädchen — ich bin von Herzen ihr Freund geweſen. Aber, wie die Zeit ſo hingeht, da wird mir zuweilen kindiſch zu Muthe, wird mir fortweg ſchwüler und unbehaglicher in dem reichen Hauſe. Ein wenig ungeſchickt und linkiſch bin ich immer geweſen — jetzund wird’s noch ärger. Ich habe keinen feſten Boden unter den Füßen und zuweilen kein rechtes Vertrauen zu mir ſelber. Die Leute im Hauſe wiſſen es Alle, das ich ein blutarmer Junge bin, und ſie vergeſſen es keinen Augenblick; ſie zeigen ſich gar mitleidig und ſelbſt die Dienerſchaft will mir oftmals kleine Geſchenke zu- ſtecken. Gerade allein mein Zögling hat Feingefühl, iſt luſtig und zutraulich zu mir; und das Mäd-

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/55>, abgerufen am 27.11.2024.