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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Thurm käme -- so müßte sie klingen. -- Auf dem
Erdgrunde liegen die scharfgeschnittenen Schatten-
gestalten und darüber hin spinnen sich die Saiten
des Lichtes. Und die Finger des Waldhauches
spielen in diesen Saiten.

Ich trete hinaus in die Lichtung. Ein zittern-
der Lufthauch rieselt mir entgegen, schmeichelt mit
den Locken, küßt die Wangen, daß sie röthen. Hell-
grünes Haidegebüsch mit den rothen Blüthenglöck-
chen der Beeren hier, und dunkelglänzendes Preisel-
beerkraut, der immergrüne Lorbeer unserer Alpen,
für den würdigen Dichter des Waldes, so einer
zur Welt geboren wird. Die Waldbiene surrt
herum auf den Sträuchen und jedes Blatt ist für
sie ein gedeckter Tisch.

Und über dieser dämmernden, duftenden Flur
erhebt sich ein schwarzer Strunk, mit dem gehobe-
nen Arm seines kahlen Astes trotzig dem Himmel
drohend, weil dieser durch einen nächtlichen Blitz-
strahl ihm das Haupt gespalten. Und es erhebt sich
dort graues, zerklüftetes Gestein, in dessen Spalten
sich behende die Eidechse birgt und die schimmernde
Natter, und an dessen Fuße die breiten, durchbro-
chenen Blätter der Farrenkräuter, und die blauen,
allfort grußschwankenden Hütchen der Enziane wu-
chern. Weithin, wo sich die Quelle befreit und aus
ihrem dunkelschattigen Grunde schimmert, wachsen

Rosegger: Waldschulmeifter. 6

Thurm käme — ſo müßte ſie klingen. — Auf dem
Erdgrunde liegen die ſcharfgeſchnittenen Schatten-
geſtalten und darüber hin ſpinnen ſich die Saiten
des Lichtes. Und die Finger des Waldhauches
ſpielen in dieſen Saiten.

Ich trete hinaus in die Lichtung. Ein zittern-
der Lufthauch rieſelt mir entgegen, ſchmeichelt mit
den Locken, küßt die Wangen, daß ſie röthen. Hell-
grünes Haidegebüſch mit den rothen Blüthenglöck-
chen der Beeren hier, und dunkelglänzendes Preiſel-
beerkraut, der immergrüne Lorbeer unſerer Alpen,
für den würdigen Dichter des Waldes, ſo einer
zur Welt geboren wird. Die Waldbiene ſurrt
herum auf den Sträuchen und jedes Blatt iſt für
ſie ein gedeckter Tiſch.

Und über dieſer dämmernden, duftenden Flur
erhebt ſich ein ſchwarzer Strunk, mit dem gehobe-
nen Arm ſeines kahlen Aſtes trotzig dem Himmel
drohend, weil dieſer durch einen nächtlichen Blitz-
ſtrahl ihm das Haupt geſpalten. Und es erhebt ſich
dort graues, zerklüftetes Geſtein, in deſſen Spalten
ſich behende die Eidechſe birgt und die ſchimmernde
Natter, und an deſſen Fuße die breiten, durchbro-
chenen Blätter der Farrenkräuter, und die blauen,
allfort grußſchwankenden Hütchen der Enziane wu-
chern. Weithin, wo ſich die Quelle befreit und aus
ihrem dunkelſchattigen Grunde ſchimmert, wachſen

Roſegger: Waldſchulmeifter. 6
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[81/0091] Thurm käme — ſo müßte ſie klingen. — Auf dem Erdgrunde liegen die ſcharfgeſchnittenen Schatten- geſtalten und darüber hin ſpinnen ſich die Saiten des Lichtes. Und die Finger des Waldhauches ſpielen in dieſen Saiten. Ich trete hinaus in die Lichtung. Ein zittern- der Lufthauch rieſelt mir entgegen, ſchmeichelt mit den Locken, küßt die Wangen, daß ſie röthen. Hell- grünes Haidegebüſch mit den rothen Blüthenglöck- chen der Beeren hier, und dunkelglänzendes Preiſel- beerkraut, der immergrüne Lorbeer unſerer Alpen, für den würdigen Dichter des Waldes, ſo einer zur Welt geboren wird. Die Waldbiene ſurrt herum auf den Sträuchen und jedes Blatt iſt für ſie ein gedeckter Tiſch. Und über dieſer dämmernden, duftenden Flur erhebt ſich ein ſchwarzer Strunk, mit dem gehobe- nen Arm ſeines kahlen Aſtes trotzig dem Himmel drohend, weil dieſer durch einen nächtlichen Blitz- ſtrahl ihm das Haupt geſpalten. Und es erhebt ſich dort graues, zerklüftetes Geſtein, in deſſen Spalten ſich behende die Eidechſe birgt und die ſchimmernde Natter, und an deſſen Fuße die breiten, durchbro- chenen Blätter der Farrenkräuter, und die blauen, allfort grußſchwankenden Hütchen der Enziane wu- chern. Weithin, wo ſich die Quelle befreit und aus ihrem dunkelſchattigen Grunde ſchimmert, wachſen Roſegger: Waldſchulmeifter. 6

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/91>, abgerufen am 27.11.2024.