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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Der grelle Contrast dagegen steigert die Spannung
durch Mittel, welche die an sich vorhandene richtige Entgegen¬
setzung nach Seiten herumwenden, die einem noch andern
Interesse den Zugang eröffnen und uns dadurch von der sub¬
stantiellen Beziehung ablenken, statt dieselbe, wie es die Ab¬
sicht ist, zu verstärken. Mole ruit sua, kann man von seinem
Effect sagen. Wenn Brutus dem Cäsar den Tod schwört,
weil er die Republik als die nothwendige Form des Römischen
Staats erhalten will, so erscheint uns hierin die ganze, große
politische Krisis der Zeit. Brutus muß seine Neigung zu
Cäsar, seine persönliche Sympathie opfern, seiner Pflicht
gegen das Vaterland treu zu bleiben; -- wie der erste Brutus
der Republik ihr seine Söhne opfern mußte, als sie mit den
Tarquiniern sich eingelassen hatten. Wenn Voltaire aber
den Brutus zu Cäsars Sohn macht, so wird er zu einem
tugendhaften Ungeheuer; eine solche Verletzung der Pietät ist
an sich so greuelhaft, daß sie allein schon hinreicht, unser
Blut erstarren zu lassen. Nun sind zwei Elemente vorhanden,
die uns in Anspruch nehmen, die Römische Staatstugend und
die Pietät. Bei Shakespeare fehlt nicht diejenige Pietät in
Brutus, die ihm den Entschluß zu Cäsars Mord erschweren
muß; allein sie hindert in Brutus nicht nothwendig den Ver¬
schwörer und der Hauptaccent bleibt auf das Politische gelegt.

Der grelle Contrast kann ästhetisch unter gewissen Be¬
dingungen auch schön werden; er wird aber häßlich, wenn er
nicht von der Einheit des an sich Gleichen getragen wird.
Ein solches Transcendiren der homogenen Basis soll ihn
pikant machen; das Pikante ist Scribe's und Sue's
alle wahre Kunst corrumpirende Virtuosität. Die große Oper
zu Paris wird nur noch von dem Streben beherrscht, durch
Synthese heterogener Gegensätze neu zu sein Das

Der grelle Contraſt dagegen ſteigert die Spannung
durch Mittel, welche die an ſich vorhandene richtige Entgegen¬
ſetzung nach Seiten herumwenden, die einem noch andern
Intereſſe den Zugang eröffnen und uns dadurch von der ſub¬
ſtantiellen Beziehung ablenken, ſtatt dieſelbe, wie es die Ab¬
ſicht iſt, zu verſtärken. Mole ruit sua, kann man von ſeinem
Effect ſagen. Wenn Brutus dem Cäſar den Tod ſchwört,
weil er die Republik als die nothwendige Form des Römiſchen
Staats erhalten will, ſo erſcheint uns hierin die ganze, große
politiſche Kriſis der Zeit. Brutus muß ſeine Neigung zu
Cäſar, ſeine perſönliche Sympathie opfern, ſeiner Pflicht
gegen das Vaterland treu zu bleiben; — wie der erſte Brutus
der Republik ihr ſeine Söhne opfern mußte, als ſie mit den
Tarquiniern ſich eingelaſſen hatten. Wenn Voltaire aber
den Brutus zu Cäſars Sohn macht, ſo wird er zu einem
tugendhaften Ungeheuer; eine ſolche Verletzung der Pietät iſt
an ſich ſo greuelhaft, daß ſie allein ſchon hinreicht, unſer
Blut erſtarren zu laſſen. Nun ſind zwei Elemente vorhanden,
die uns in Anſpruch nehmen, die Römiſche Staatstugend und
die Pietät. Bei Shakeſpeare fehlt nicht diejenige Pietät in
Brutus, die ihm den Entſchluß zu Cäſars Mord erſchweren
muß; allein ſie hindert in Brutus nicht nothwendig den Ver¬
ſchwörer und der Hauptaccent bleibt auf das Politiſche gelegt.

Der grelle Contraſt kann äſthetiſch unter gewiſſen Be¬
dingungen auch ſchön werden; er wird aber häßlich, wenn er
nicht von der Einheit des an ſich Gleichen getragen wird.
Ein ſolches Transcendiren der homogenen Baſis ſoll ihn
pikant machen; das Pikante iſt Scribe's und Sue's
alle wahre Kunſt corrumpirende Virtuoſität. Die große Oper
zu Paris wird nur noch von dem Streben beherrſcht, durch
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[94/0116] Der grelle Contraſt dagegen ſteigert die Spannung durch Mittel, welche die an ſich vorhandene richtige Entgegen¬ ſetzung nach Seiten herumwenden, die einem noch andern Intereſſe den Zugang eröffnen und uns dadurch von der ſub¬ ſtantiellen Beziehung ablenken, ſtatt dieſelbe, wie es die Ab¬ ſicht iſt, zu verſtärken. Mole ruit sua, kann man von ſeinem Effect ſagen. Wenn Brutus dem Cäſar den Tod ſchwört, weil er die Republik als die nothwendige Form des Römiſchen Staats erhalten will, ſo erſcheint uns hierin die ganze, große politiſche Kriſis der Zeit. Brutus muß ſeine Neigung zu Cäſar, ſeine perſönliche Sympathie opfern, ſeiner Pflicht gegen das Vaterland treu zu bleiben; — wie der erſte Brutus der Republik ihr ſeine Söhne opfern mußte, als ſie mit den Tarquiniern ſich eingelaſſen hatten. Wenn Voltaire aber den Brutus zu Cäſars Sohn macht, ſo wird er zu einem tugendhaften Ungeheuer; eine ſolche Verletzung der Pietät iſt an ſich ſo greuelhaft, daß ſie allein ſchon hinreicht, unſer Blut erſtarren zu laſſen. Nun ſind zwei Elemente vorhanden, die uns in Anſpruch nehmen, die Römiſche Staatstugend und die Pietät. Bei Shakeſpeare fehlt nicht diejenige Pietät in Brutus, die ihm den Entſchluß zu Cäſars Mord erſchweren muß; allein ſie hindert in Brutus nicht nothwendig den Ver¬ ſchwörer und der Hauptaccent bleibt auf das Politiſche gelegt. Der grelle Contraſt kann äſthetiſch unter gewiſſen Be¬ dingungen auch ſchön werden; er wird aber häßlich, wenn er nicht von der Einheit des an ſich Gleichen getragen wird. Ein ſolches Transcendiren der homogenen Baſis ſoll ihn pikant machen; das Pikante iſt Scribe's und Sue's alle wahre Kunſt corrumpirende Virtuoſität. Die große Oper zu Paris wird nur noch von dem Streben beherrſcht, durch Syntheſe heterogener Gegenſätze neu zu ſein Das

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/116>, abgerufen am 27.11.2024.