haben in Deutschland an dem Streit über Hebbel's Maria Magdalena ein sehr denkwürdiges Beispiel davon gehabt, wie sehr falsche Contraste für das Maximum der Schönheit gehalten werden können. Traurig genug ist diese dramatisirte Geschichte gewiß. Vorfallen kann sie leider auch alle Tage und unsere Zeitungen sind ja überreich an diesen putres¬ cirenden Stoffen. Aber diese Geschichte ist nicht tragisch, wofür Hebbel sie, nach seinem Vorwort, hält und wofür seine fanatischen Anhänger sie auch halten; das Traurige des Vorganges ist zum tragischen Contrast gemacht und mit dem Anspruch an eine solche Dignität gefälscht, woraus sich überhaupt die blendende Eigenthümlichkeit der Hebbelschen Dramatik ergibt. Ein schroffer Mann, der alte Tischler Anton, verweigert einem Gerichtsdiener, mit ihm anzustoßen, sagt ihm Grobheiten und der Gerichtsdiener denuncirt seinen Sohn als Dieb. Der Sohn wird in's Gefängniß geworfen; der Vater glaubt an seine Schuld; die Mutter stirbt aus Entsetzen. Die Tochter Clara hat einen jungen Mann ge¬ liebt, der sie auf der Universität vergessen zu haben scheint. Sie läßt sich mit Leonhard, einem gemeinen, berechnenden Verstandesmenschen ein. Mit Bewußtsein, um sich zur Treue gegen ihn zu zwingen, opfert sie ihm ihre Jung¬ fräulichkeit auf und wird schwanger. Leonhard aber, weil er durch eine andere Heirath sein äußeres Glück fördern kann, verläßt sie. Inzwischen entdeckt sich die Unschuld des Sohnes -- der nach Amerika als Matrose auswandert. Der frühere Geliebte Clara's kehrt zurück, liebt sie noch, möchte sie heirathen -- aber leider ist sie schwanger.
"Darüber kann kein Mann hinweg!"
So ruft er selber aus. Umsonst flehet Clara Leonhard an, sie zu heirathen; er weist sie, da sie nicht im Rausch
haben in Deutſchland an dem Streit über Hebbel's Maria Magdalena ein ſehr denkwürdiges Beiſpiel davon gehabt, wie ſehr falſche Contraſte für das Maximum der Schönheit gehalten werden können. Traurig genug iſt dieſe dramatiſirte Geſchichte gewiß. Vorfallen kann ſie leider auch alle Tage und unſere Zeitungen ſind ja überreich an dieſen putres¬ cirenden Stoffen. Aber dieſe Geſchichte iſt nicht tragiſch, wofür Hebbel ſie, nach ſeinem Vorwort, hält und wofür ſeine fanatiſchen Anhänger ſie auch halten; das Traurige des Vorganges iſt zum tragiſchen Contraſt gemacht und mit dem Anſpruch an eine ſolche Dignität gefälſcht, woraus ſich überhaupt die blendende Eigenthümlichkeit der Hebbelſchen Dramatik ergibt. Ein ſchroffer Mann, der alte Tiſchler Anton, verweigert einem Gerichtsdiener, mit ihm anzuſtoßen, ſagt ihm Grobheiten und der Gerichtsdiener denuncirt ſeinen Sohn als Dieb. Der Sohn wird in's Gefängniß geworfen; der Vater glaubt an ſeine Schuld; die Mutter ſtirbt aus Entſetzen. Die Tochter Clara hat einen jungen Mann ge¬ liebt, der ſie auf der Univerſität vergeſſen zu haben ſcheint. Sie läßt ſich mit Leonhard, einem gemeinen, berechnenden Verſtandesmenſchen ein. Mit Bewußtſein, um ſich zur Treue gegen ihn zu zwingen, opfert ſie ihm ihre Jung¬ fräulichkeit auf und wird ſchwanger. Leonhard aber, weil er durch eine andere Heirath ſein äußeres Glück fördern kann, verläßt ſie. Inzwiſchen entdeckt ſich die Unſchuld des Sohnes — der nach Amerika als Matroſe auswandert. Der frühere Geliebte Clara's kehrt zurück, liebt ſie noch, möchte ſie heirathen — aber leider iſt ſie ſchwanger.
„Darüber kann kein Mann hinweg!“
So ruft er ſelber aus. Umſonſt flehet Clara Leonhard an, ſie zu heirathen; er weiſt ſie, da ſie nicht im Rauſch
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haben in Deutſchland an dem Streit über Hebbel's Maria
Magdalena ein ſehr denkwürdiges Beiſpiel davon gehabt,
wie ſehr falſche Contraſte für das Maximum der Schönheit
gehalten werden können. Traurig genug iſt dieſe dramatiſirte
Geſchichte gewiß. Vorfallen kann ſie leider auch alle Tage
und unſere Zeitungen ſind ja überreich an dieſen putres¬
cirenden Stoffen. Aber dieſe Geſchichte iſt nicht tragiſch,
wofür Hebbel ſie, nach ſeinem Vorwort, hält und wofür
ſeine fanatiſchen Anhänger ſie auch halten; das Traurige
des Vorganges iſt zum tragiſchen Contraſt gemacht und
mit dem Anſpruch an eine ſolche Dignität gefälſcht, woraus
ſich überhaupt die blendende Eigenthümlichkeit der Hebbelſchen
Dramatik ergibt. Ein ſchroffer Mann, der alte Tiſchler
Anton, verweigert einem Gerichtsdiener, mit ihm anzuſtoßen,
ſagt ihm Grobheiten und der Gerichtsdiener denuncirt ſeinen
Sohn als Dieb. Der Sohn wird in's Gefängniß geworfen;
der Vater glaubt an ſeine Schuld; die Mutter ſtirbt aus
Entſetzen. Die Tochter Clara hat einen jungen Mann ge¬
liebt, der ſie auf der Univerſität vergeſſen zu haben ſcheint.
Sie läßt ſich mit Leonhard, einem gemeinen, berechnenden
Verſtandesmenſchen ein. Mit Bewußtſein, um ſich zur
Treue gegen ihn zu zwingen, opfert ſie ihm ihre Jung¬
fräulichkeit auf und wird ſchwanger. Leonhard aber, weil
er durch eine andere Heirath ſein äußeres Glück fördern
kann, verläßt ſie. Inzwiſchen entdeckt ſich die Unſchuld des
Sohnes — der nach Amerika als Matroſe auswandert.
Der frühere Geliebte Clara's kehrt zurück, liebt ſie noch,
möchte ſie heirathen — aber leider iſt ſie ſchwanger.
„Darüber kann kein Mann hinweg!“
So ruft er ſelber aus. Umſonſt flehet Clara Leonhard
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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