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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Gewöhnlichkeit in den Minneliedern des Mittelalters, die
Schiller zu dem Sarkasmus veranlaßte, daß in ihnen nichts
enthalten sei, als der Frühling, der komme, der Winter,
welcher gehe, und die Langeweile, welche bleibe; wenn die
Sperlinge, meinte er, einen Musenalmanach schreiben könnten,
würde ungefähr dasselbe herauskommen. So sind tausende
von Sonetten der Petrarchisten, Hunderte von Tyrannen¬
tragödien der ältern Französischen Bühne, so die Fabrikwaare
unserer Kindermährchenalbernheiten, so das Heer unserer Ent¬
sagungsromane, so in der jetzigen Deutschen Malerei das zahl¬
reiche Geschlecht der trauernden Königspaare, Juden, Mütter,
(Hauser's Bethlehemitischer Kindermord) (40), Toggen¬
burge u. s. w. zu Gewöhnlichkeiten geworden. Die Nach¬
ahmer halten sich oft für classische Künstler, weil sie nämlich
auf ein Haar dasselbe hervorzubringen scheinen, was aner¬
kannte Auctoritäten auch producirt haben. Allein eben die
außerordentliche Aehnlichkeit mit ihren Vorbildern ist das
Langweilige an ihnen, was das Publicum, das sie ungerecht
schelten, von ihren Werken entfernt. Hätten sie dasselbe,
was sie bieten, als ein Neues aus sich hervorgebracht, so
würden sie mit Recht Anspruch auf Beifall machen können;
nunmehr aber dürfen sie uns nicht verargen, wenn wir ihre
hübsch gemeißelten, bunt colorirten, richtig contrapunctirten,
nett stylisirten Werke trivial finden. Ein ächter Künstler,
der dem Ideal mit heiligem Ernst nachstrebt, wird freilich
auch Eine Idee in immer andern Wendungen darstellen.
Weil er jedoch darin dem Ideal immer näher zu kommen
sucht, so wird er uns doch nicht ermüden. Jede seiner
Schöpfungen wird sein Urbild nach einer neuen Seite hin
offenbaren. Für Petrarcha waren die Sonette und Can¬
zonen, in denen er seine Leidenschaft für Laura nach allen

Gewöhnlichkeit in den Minneliedern des Mittelalters, die
Schiller zu dem Sarkasmus veranlaßte, daß in ihnen nichts
enthalten ſei, als der Frühling, der komme, der Winter,
welcher gehe, und die Langeweile, welche bleibe; wenn die
Sperlinge, meinte er, einen Muſenalmanach ſchreiben könnten,
würde ungefähr daſſelbe herauskommen. So ſind tauſende
von Sonetten der Petrarchiſten, Hunderte von Tyrannen¬
tragödien der ältern Franzöſiſchen Bühne, ſo die Fabrikwaare
unſerer Kindermährchenalbernheiten, ſo das Heer unſerer Ent¬
ſagungsromane, ſo in der jetzigen Deutſchen Malerei das zahl¬
reiche Geſchlecht der trauernden Königspaare, Juden, Mütter,
(Hauſer's Bethlehemitiſcher Kindermord) (40), Toggen¬
burge u. ſ. w. zu Gewöhnlichkeiten geworden. Die Nach¬
ahmer halten ſich oft für claſſiſche Künſtler, weil ſie nämlich
auf ein Haar daſſelbe hervorzubringen ſcheinen, was aner¬
kannte Auctoritäten auch producirt haben. Allein eben die
außerordentliche Aehnlichkeit mit ihren Vorbildern iſt das
Langweilige an ihnen, was das Publicum, das ſie ungerecht
ſchelten, von ihren Werken entfernt. Hätten ſie daſſelbe,
was ſie bieten, als ein Neues aus ſich hervorgebracht, ſo
würden ſie mit Recht Anſpruch auf Beifall machen können;
nunmehr aber dürfen ſie uns nicht verargen, wenn wir ihre
hübſch gemeißelten, bunt colorirten, richtig contrapunctirten,
nett ſtyliſirten Werke trivial finden. Ein ächter Künſtler,
der dem Ideal mit heiligem Ernſt nachſtrebt, wird freilich
auch Eine Idee in immer andern Wendungen darſtellen.
Weil er jedoch darin dem Ideal immer näher zu kommen
ſucht, ſo wird er uns doch nicht ermüden. Jede ſeiner
Schöpfungen wird ſein Urbild nach einer neuen Seite hin
offenbaren. Für Petrarcha waren die Sonette und Can¬
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[206/0228] Gewöhnlichkeit in den Minneliedern des Mittelalters, die Schiller zu dem Sarkasmus veranlaßte, daß in ihnen nichts enthalten ſei, als der Frühling, der komme, der Winter, welcher gehe, und die Langeweile, welche bleibe; wenn die Sperlinge, meinte er, einen Muſenalmanach ſchreiben könnten, würde ungefähr daſſelbe herauskommen. So ſind tauſende von Sonetten der Petrarchiſten, Hunderte von Tyrannen¬ tragödien der ältern Franzöſiſchen Bühne, ſo die Fabrikwaare unſerer Kindermährchenalbernheiten, ſo das Heer unſerer Ent¬ ſagungsromane, ſo in der jetzigen Deutſchen Malerei das zahl¬ reiche Geſchlecht der trauernden Königspaare, Juden, Mütter, (Hauſer's Bethlehemitiſcher Kindermord) (40), Toggen¬ burge u. ſ. w. zu Gewöhnlichkeiten geworden. Die Nach¬ ahmer halten ſich oft für claſſiſche Künſtler, weil ſie nämlich auf ein Haar daſſelbe hervorzubringen ſcheinen, was aner¬ kannte Auctoritäten auch producirt haben. Allein eben die außerordentliche Aehnlichkeit mit ihren Vorbildern iſt das Langweilige an ihnen, was das Publicum, das ſie ungerecht ſchelten, von ihren Werken entfernt. Hätten ſie daſſelbe, was ſie bieten, als ein Neues aus ſich hervorgebracht, ſo würden ſie mit Recht Anſpruch auf Beifall machen können; nunmehr aber dürfen ſie uns nicht verargen, wenn wir ihre hübſch gemeißelten, bunt colorirten, richtig contrapunctirten, nett ſtyliſirten Werke trivial finden. Ein ächter Künſtler, der dem Ideal mit heiligem Ernſt nachſtrebt, wird freilich auch Eine Idee in immer andern Wendungen darſtellen. Weil er jedoch darin dem Ideal immer näher zu kommen ſucht, ſo wird er uns doch nicht ermüden. Jede ſeiner Schöpfungen wird ſein Urbild nach einer neuen Seite hin offenbaren. Für Petrarcha waren die Sonette und Can¬ zonen, in denen er ſeine Leidenſchaft für Laura nach allen

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/228>, abgerufen am 25.11.2024.