vorzukehren versteht. Seine berühmte Springergesell¬ schaft wartet des strömenden Regens halber heute umsonst auf Besuch. Das Licht bei den Wachsfiguren, unter denen wir selbst einige Olympische Gottheiten bemerken, brennt umsonst herunter. Die Vorstände der Gesellschaft, um eine verschmitzt erfahrene Alte versammelt, überzeugen sich gründ¬ lich von dem leeren Boden der Casse. Der Erklärer der Wachsfiguren, die Gerte unter dem Arm, schaut verdrießlich auf die düstere Straße hinaus, auf welcher die regenschirm¬ beschirmten Menschen schattenartig vorüberhuschen. Man sieht es den Leuten an, daß sie, lebenserfahren, an Täu¬ schung gewöhnt, hungergeübt, zwar so bald die Laune nicht verlieren, daß jedoch die Zustände augenblicklich höchst trost¬ los sind. Aber da vorn auf dem Estrich, welch liebliche Er¬ scheinung? Ein junges Mädchen in knabenhaftem Anzug sitzt mit einer Violine beschäftigt unberührt von all dem Elend um es herum. Es wird dies Elend theilen; es wird schlecht und wenig essen und trinken; es wird in seinen dünnen Kleidern frieren; aber es wird die Kunst lieben um der Kunst willen. Diese schwarzen Haare, diese sehnsüchtigen Züge, diese feurigen Blicke verbürgen uns das Genie und reißen uns aus aller Gewöhnlichkeit heraus. Unter den Düsseldorfer Malern verdient Hasenclevers Komik her¬ vorgehoben zu werden; seine Tanzstunde, sein Maleratelier, seine Theegesellschaft, sein Jobs als Nachtwächter, welch' köstliche Bilder!
Die Alten stellten der Megalographie als der Ma¬ lerei der Götter und Heroen die Rhyparographie, auch Rhypographie, oder auch, wie Th. Welker meint, Rho¬ pographie, entgegen, weil das Schmuzige auch mit dem Gewöhnlichen und Niedrigen zusammenhängt. W. Gring¬
vorzukehren verſteht. Seine berühmte Springergeſell¬ ſchaft wartet des ſtrömenden Regens halber heute umſonſt auf Beſuch. Das Licht bei den Wachsfiguren, unter denen wir ſelbſt einige Olympiſche Gottheiten bemerken, brennt umſonſt herunter. Die Vorſtände der Geſellſchaft, um eine verſchmitzt erfahrene Alte verſammelt, überzeugen ſich gründ¬ lich von dem leeren Boden der Caſſe. Der Erklärer der Wachsfiguren, die Gerte unter dem Arm, ſchaut verdrießlich auf die düſtere Straße hinaus, auf welcher die regenſchirm¬ beſchirmten Menſchen ſchattenartig vorüberhuſchen. Man ſieht es den Leuten an, daß ſie, lebenserfahren, an Täu¬ ſchung gewöhnt, hungergeübt, zwar ſo bald die Laune nicht verlieren, daß jedoch die Zuſtände augenblicklich höchſt troſt¬ los ſind. Aber da vorn auf dem Eſtrich, welch liebliche Er¬ ſcheinung? Ein junges Mädchen in knabenhaftem Anzug ſitzt mit einer Violine beſchäftigt unberührt von all dem Elend um es herum. Es wird dies Elend theilen; es wird ſchlecht und wenig eſſen und trinken; es wird in ſeinen dünnen Kleidern frieren; aber es wird die Kunſt lieben um der Kunſt willen. Dieſe ſchwarzen Haare, dieſe ſehnſüchtigen Züge, dieſe feurigen Blicke verbürgen uns das Genie und reißen uns aus aller Gewöhnlichkeit heraus. Unter den Düſſeldorfer Malern verdient Haſenclevers Komik her¬ vorgehoben zu werden; ſeine Tanzſtunde, ſein Maleratelier, ſeine Theegeſellſchaft, ſein Jobs als Nachtwächter, welch' köſtliche Bilder!
Die Alten ſtellten der Megalographie als der Ma¬ lerei der Götter und Heroen die Rhyparographie, auch Rhypographie, oder auch, wie Th. Welker meint, Rho¬ pographie, entgegen, weil das Schmuzige auch mit dem Gewöhnlichen und Niedrigen zuſammenhängt. W. Gring¬
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vorzukehren verſteht. Seine berühmte Springergeſell¬
ſchaft wartet des ſtrömenden Regens halber heute umſonſt
auf Beſuch. Das Licht bei den Wachsfiguren, unter denen
wir ſelbſt einige Olympiſche Gottheiten bemerken, brennt
umſonſt herunter. Die Vorſtände der Geſellſchaft, um eine
verſchmitzt erfahrene Alte verſammelt, überzeugen ſich gründ¬
lich von dem leeren Boden der Caſſe. Der Erklärer der
Wachsfiguren, die Gerte unter dem Arm, ſchaut verdrießlich
auf die düſtere Straße hinaus, auf welcher die regenſchirm¬
beſchirmten Menſchen ſchattenartig vorüberhuſchen. Man
ſieht es den Leuten an, daß ſie, lebenserfahren, an Täu¬
ſchung gewöhnt, hungergeübt, zwar ſo bald die Laune nicht
verlieren, daß jedoch die Zuſtände augenblicklich höchſt troſt¬
los ſind. Aber da vorn auf dem Eſtrich, welch liebliche Er¬
ſcheinung? Ein junges Mädchen in knabenhaftem Anzug
ſitzt mit einer Violine beſchäftigt unberührt von all dem
Elend um es herum. Es wird dies Elend theilen; es wird
ſchlecht und wenig eſſen und trinken; es wird in ſeinen
dünnen Kleidern frieren; aber es wird die Kunſt lieben um
der Kunſt willen. Dieſe ſchwarzen Haare, dieſe ſehnſüchtigen
Züge, dieſe feurigen Blicke verbürgen uns das Genie und
reißen uns aus aller Gewöhnlichkeit heraus. Unter den
Düſſeldorfer Malern verdient Haſenclevers Komik her¬
vorgehoben zu werden; ſeine Tanzſtunde, ſein Maleratelier,
ſeine Theegeſellſchaft, ſein Jobs als Nachtwächter, welch'
köſtliche Bilder!
Die Alten ſtellten der Megalographie als der Ma¬
lerei der Götter und Heroen die Rhyparographie, auch
Rhypographie, oder auch, wie Th. Welker meint, Rho¬
pographie, entgegen, weil das Schmuzige auch mit dem
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/235>, abgerufen am 26.11.2024.
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