sie aber so tief zu sinken, daß sie aus der Prostitution ein Gewerbe machte, ein Gewerbe nicht bloß für sich, sondern in der scheußlichsten Weise, als Vorsteherin eines Bordells? Dieser Ausgang ist mehr als bizarr. Emmeline zeigt bis dahin Eigensinn und Laune, aber nicht diese empörende Ge¬ meinheit. -- Von dem Bizarren ist das Barocke schwer zu unterscheiden. Man könnte aber wohl sagen, daß es darin bestehe, dem Gewöhnlichen, dem Zufälligen und Willkürlichen durch die Außerordentlichkeit der Form eine Bedeutung zu geben. Man leitet das Wort von einer bekannten Schlu߬ form ab, welche den Namen barocco hat; nach Andern soll es so viel als schief bedeuten und von den vertieften Rahmen gebraucht sein, die mit schräger Fläche zum Bild oder Spiegel sich absenken und noch jetzt Barockrahmen heißen. Sollte es aber nicht von baro herkommen, im Lateinischen ein dummer Mensch, im Italienischen ein falscher Spieler, Schurke? Sollte nicht das Barocke den Begriff des falschen Spiels auf das Spiel mit dem Zufälligen übertragen haben? Es liegt in ihm eine gewisse Keckheit und Schroffheit der sich selbst überbietenden Willkür, die oft in's Komische, aber auch ins Grausame und Düstere überspringen kann, wie wir dies in den Strafen der Völker finden, die oft eben so brutal als barock waren -- und leider noch sind. Jener Syrische Pascha fand sogar ein offenbar sehr barockes Ver¬ gnügen darin, die Gesichter von Verbrechern höchst eigen¬ händig mit einem Messer künstlerisch zu bearbeiten, um Nasen, Ohren und Lippen die ihm genehme Gestalt zu geben. Eugene Sue hat das Barocke zuweilen mit vielem Geist, immer jedoch nach der grauenhaften Seite hin, darzustellen verstanden. In der Mathilde, seinem vollendetsten Roman, hat er die tiefe Bosheit des Fräulein von Maran durch
ſie aber ſo tief zu ſinken, daß ſie aus der Proſtitution ein Gewerbe machte, ein Gewerbe nicht bloß für ſich, ſondern in der ſcheußlichſten Weiſe, als Vorſteherin eines Bordells? Dieſer Ausgang iſt mehr als bizarr. Emmeline zeigt bis dahin Eigenſinn und Laune, aber nicht dieſe empörende Ge¬ meinheit. — Von dem Bizarren iſt das Barocke ſchwer zu unterſcheiden. Man könnte aber wohl ſagen, daß es darin beſtehe, dem Gewöhnlichen, dem Zufälligen und Willkürlichen durch die Außerordentlichkeit der Form eine Bedeutung zu geben. Man leitet das Wort von einer bekannten Schlu߬ form ab, welche den Namen barocco hat; nach Andern ſoll es ſo viel als ſchief bedeuten und von den vertieften Rahmen gebraucht ſein, die mit ſchräger Fläche zum Bild oder Spiegel ſich abſenken und noch jetzt Barockrahmen heißen. Sollte es aber nicht von baro herkommen, im Lateiniſchen ein dummer Menſch, im Italieniſchen ein falſcher Spieler, Schurke? Sollte nicht das Barocke den Begriff des falſchen Spiels auf das Spiel mit dem Zufälligen übertragen haben? Es liegt in ihm eine gewiſſe Keckheit und Schroffheit der ſich ſelbſt überbietenden Willkür, die oft in's Komiſche, aber auch ins Grauſame und Düſtere überſpringen kann, wie wir dies in den Strafen der Völker finden, die oft eben ſo brutal als barock waren — und leider noch ſind. Jener Syriſche Paſcha fand ſogar ein offenbar ſehr barockes Ver¬ gnügen darin, die Geſichter von Verbrechern höchſt eigen¬ händig mit einem Meſſer künſtleriſch zu bearbeiten, um Naſen, Ohren und Lippen die ihm genehme Geſtalt zu geben. Eugene Sue hat das Barocke zuweilen mit vielem Geiſt, immer jedoch nach der grauenhaften Seite hin, darzuſtellen verſtanden. In der Mathilde, ſeinem vollendetſten Roman, hat er die tiefe Bosheit des Fräulein von Maran durch
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Dieſer Ausgang iſt mehr als bizarr. Emmeline zeigt bis
dahin Eigenſinn und Laune, aber nicht dieſe empörende Ge¬
meinheit. — Von dem Bizarren iſt das Barocke ſchwer zu
unterſcheiden. Man könnte aber wohl ſagen, daß es darin
beſtehe, dem Gewöhnlichen, dem Zufälligen und Willkürlichen
durch die Außerordentlichkeit der Form eine Bedeutung zu
geben. Man leitet das Wort von einer bekannten Schlu߬
form ab, welche den Namen barocco hat; nach Andern ſoll
es ſo viel als ſchief bedeuten und von den vertieften Rahmen
gebraucht ſein, die mit ſchräger Fläche zum Bild oder Spiegel
ſich abſenken und noch jetzt Barockrahmen heißen. Sollte
es aber nicht von baro herkommen, im Lateiniſchen ein
dummer Menſch, im Italieniſchen ein falſcher Spieler,
Schurke? Sollte nicht das Barocke den Begriff des falſchen
Spiels auf das Spiel mit dem Zufälligen übertragen haben?
Es liegt in ihm eine gewiſſe Keckheit und Schroffheit der
ſich ſelbſt überbietenden Willkür, die oft in's Komiſche, aber
auch ins Grauſame und Düſtere überſpringen kann, wie wir
dies in den Strafen der Völker finden, die oft eben ſo
brutal als barock waren — und leider noch ſind. Jener
Syriſche Paſcha fand ſogar ein offenbar ſehr barockes Ver¬
gnügen darin, die Geſichter von Verbrechern höchſt eigen¬
händig mit einem Meſſer künſtleriſch zu bearbeiten, um
Naſen, Ohren und Lippen die ihm genehme Geſtalt zu geben.
Eugene Sue hat das Barocke zuweilen mit vielem Geiſt,
immer jedoch nach der grauenhaften Seite hin, darzuſtellen
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/242>, abgerufen am 26.11.2024.
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