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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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freien, dennoch das größte Elend, die äußerste Schmach
erduldet und darin auch umkommt, so ist es, weil der Glaube
von ihm als Christen fordert, Liebe, Freiheit, Leben für
Nichts gegen seine Herrlichkeit zu achten. In dieser Dialektik
hat die Brutalität der Entehrung, des Mordes, der Mi߬
handlung, des Märtyrertodes ihre Methode. -- Von dieser
feinern Brutalität des psychologischen Zwanges sind auch
manche unserer neuern Tragödien inficirt, wie z. B. Halm's
Griseldis
(55). Die Vergleichung derselben mit der Be¬
handlung des ähnlichen Thema's in Shakespeare's Cymbeline
kann uns begreifen lassen, daß weder von Seiten Parzivals
noch von Seiten der Griseldis hier wahrhafte Liebe ein tra¬
gisches Pathos aufkommen läßt, denn Parzival könnte sonst
unmöglich in der Peinigung seines Weibes bis zu so grauen¬
hafter Brutalität fortgehen und Griseldis in der Hingebung
für ihn sich nicht bis zu so entwürdigender Erniedrigung
sinken lassen. Der Reiz der gebildetsten Sprache und die
Steigerung der Proben, denen der übermüthige Parzival die
Treue seiner Frau unterwirft, reißen uns hin, ohne uns
zu erheben.

Wenn die Rohheit der Gewalt die Unschuld mißhan¬
delt, so wird die Brutalität ihres Zwanges um so häßlicher,
je mehr die Unschuld entweder die des Kindes ist, das noch
nicht in die überall mit Schuld befleckte Verwirrung der
Geschichte sich eingelebt hat, das noch nicht durch eigene
That schuldig geworden ist; oder jemehr die Unschuld die
selbstbewußte Hohheit der Sittlichkeit ist, die sich von dem
allgemeinen Verderben befreiet hat. Dorthin gehört z. B.
der Bethlemitische Kindermord, den die Maler so
gern gemalt haben, den Marini besungen hat. Aehnliches
kann in der Form feinerer Barbarei sich darstellen, wie

freien, dennoch das größte Elend, die äußerſte Schmach
erduldet und darin auch umkommt, ſo iſt es, weil der Glaube
von ihm als Chriſten fordert, Liebe, Freiheit, Leben für
Nichts gegen ſeine Herrlichkeit zu achten. In dieſer Dialektik
hat die Brutalität der Entehrung, des Mordes, der Mi߬
handlung, des Märtyrertodes ihre Methode. — Von dieſer
feinern Brutalität des pſychologiſchen Zwanges ſind auch
manche unſerer neuern Tragödien inficirt, wie z. B. Halm's
Griſeldis
(55). Die Vergleichung derſelben mit der Be¬
handlung des ähnlichen Thema's in Shakeſpeare's Cymbeline
kann uns begreifen laſſen, daß weder von Seiten Parzivals
noch von Seiten der Griſeldis hier wahrhafte Liebe ein tra¬
giſches Pathos aufkommen läßt, denn Parzival könnte ſonſt
unmöglich in der Peinigung ſeines Weibes bis zu ſo grauen¬
hafter Brutalität fortgehen und Griſeldis in der Hingebung
für ihn ſich nicht bis zu ſo entwürdigender Erniedrigung
ſinken laſſen. Der Reiz der gebildetſten Sprache und die
Steigerung der Proben, denen der übermüthige Parzival die
Treue ſeiner Frau unterwirft, reißen uns hin, ohne uns
zu erheben.

Wenn die Rohheit der Gewalt die Unſchuld mißhan¬
delt, ſo wird die Brutalität ihres Zwanges um ſo häßlicher,
je mehr die Unſchuld entweder die des Kindes iſt, das noch
nicht in die überall mit Schuld befleckte Verwirrung der
Geſchichte ſich eingelebt hat, das noch nicht durch eigene
That ſchuldig geworden iſt; oder jemehr die Unſchuld die
ſelbſtbewußte Hohheit der Sittlichkeit iſt, die ſich von dem
allgemeinen Verderben befreiet hat. Dorthin gehört z. B.
der Bethlemitiſche Kindermord, den die Maler ſo
gern gemalt haben, den Marini beſungen hat. Aehnliches
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[254/0276] freien, dennoch das größte Elend, die äußerſte Schmach erduldet und darin auch umkommt, ſo iſt es, weil der Glaube von ihm als Chriſten fordert, Liebe, Freiheit, Leben für Nichts gegen ſeine Herrlichkeit zu achten. In dieſer Dialektik hat die Brutalität der Entehrung, des Mordes, der Mi߬ handlung, des Märtyrertodes ihre Methode. — Von dieſer feinern Brutalität des pſychologiſchen Zwanges ſind auch manche unſerer neuern Tragödien inficirt, wie z. B. Halm's Griſeldis (55). Die Vergleichung derſelben mit der Be¬ handlung des ähnlichen Thema's in Shakeſpeare's Cymbeline kann uns begreifen laſſen, daß weder von Seiten Parzivals noch von Seiten der Griſeldis hier wahrhafte Liebe ein tra¬ giſches Pathos aufkommen läßt, denn Parzival könnte ſonſt unmöglich in der Peinigung ſeines Weibes bis zu ſo grauen¬ hafter Brutalität fortgehen und Griſeldis in der Hingebung für ihn ſich nicht bis zu ſo entwürdigender Erniedrigung ſinken laſſen. Der Reiz der gebildetſten Sprache und die Steigerung der Proben, denen der übermüthige Parzival die Treue ſeiner Frau unterwirft, reißen uns hin, ohne uns zu erheben. Wenn die Rohheit der Gewalt die Unſchuld mißhan¬ delt, ſo wird die Brutalität ihres Zwanges um ſo häßlicher, je mehr die Unſchuld entweder die des Kindes iſt, das noch nicht in die überall mit Schuld befleckte Verwirrung der Geſchichte ſich eingelebt hat, das noch nicht durch eigene That ſchuldig geworden iſt; oder jemehr die Unſchuld die ſelbſtbewußte Hohheit der Sittlichkeit iſt, die ſich von dem allgemeinen Verderben befreiet hat. Dorthin gehört z. B. der Bethlemitiſche Kindermord, den die Maler ſo gern gemalt haben, den Marini beſungen hat. Aehnliches kann in der Form feinerer Barbarei ſich darſtellen, wie

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/276>, abgerufen am 22.11.2024.