der Pegasos und Athene fügte das schlangenumlockte der Aegis ein, denn sie, die kriegerische Göttin des Gedankens, war es ja eigentlich gewesen, welche die einzig sterbliche der Gorgotöchter getödtet hatte. Wir haben oben, in anderm Betracht, die Meduse zu den Formen gerechnet, mit welchen die Griechen das Furchtbare selbst zur edelsten Schönheit fortzubilden so glücklich waren. Dies gewaltige Haupt mit den kraftvollen, krampfdurchbebten Lippen, mit dem impe¬ ratorischen Kinn, mit der an des Zeus Stirn erinnernden, nur etwas niedrigeren Stirn, mit den großen, gebrochen rollenden Augen, mit dem dunkeln Nattergelock, strahlt auch getödtet noch Tod und Verderben. Das spätere Medusen¬ ideal hat mit der Kraft der Züge eine eigenthümliche Wehmuth wunderbar verschmolzen. In einem Medusenbilde, welches Ternite in seinen Wandgemälden, Heft II., getreu in Farben wiedergegeben hat, sind die grauen, grünen, gelb¬ fahlen Töne des sterbenden Antlitzes von der ergreifendsten Wirkung; bei der vollkommensten psychologischen Wahrheit, bei der erhabenen Größe der ganzen Conception, ist doch das Gräßliche bis zum Entzücken gemildert. -- Die christ¬ liche Kunst ging noch weiter, da ihre ganze Weltanschauung das wahre Leben als durch das rechte Sterben vermittelt auffaßt. Der gestorbene aber zum ewigen Leben wieder auf¬ erstehende Gottmensch wurde ihr Mittelpunct. Der Leichnam Christi muß daher bei aller Wahrheit des Todes doch noch den unsterblichen Geist, der ihn beseelte und ihn wieder be¬ seelen wird, durchschimmern lassen. Diese geschlossenen Augen werden sich wieder öffnen, diese bleichen, schlaffen Lippen werden sich wieder regen, diese starren Hände werden wieder segnen und das Brod des Lebens brechen. Diese Möglichkeit muß nun vom Bildhauer oder Maler nicht als
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der Pegaſos und Athene fügte das ſchlangenumlockte der Aegis ein, denn ſie, die kriegeriſche Göttin des Gedankens, war es ja eigentlich geweſen, welche die einzig ſterbliche der Gorgotöchter getödtet hatte. Wir haben oben, in anderm Betracht, die Meduſe zu den Formen gerechnet, mit welchen die Griechen das Furchtbare ſelbſt zur edelſten Schönheit fortzubilden ſo glücklich waren. Dies gewaltige Haupt mit den kraftvollen, krampfdurchbebten Lippen, mit dem impe¬ ratoriſchen Kinn, mit der an des Zeus Stirn erinnernden, nur etwas niedrigeren Stirn, mit den großen, gebrochen rollenden Augen, mit dem dunkeln Nattergelock, ſtrahlt auch getödtet noch Tod und Verderben. Das ſpätere Meduſen¬ ideal hat mit der Kraft der Züge eine eigenthümliche Wehmuth wunderbar verſchmolzen. In einem Meduſenbilde, welches Ternite in ſeinen Wandgemälden, Heft II., getreu in Farben wiedergegeben hat, ſind die grauen, grünen, gelb¬ fahlen Töne des ſterbenden Antlitzes von der ergreifendſten Wirkung; bei der vollkommenſten pſychologiſchen Wahrheit, bei der erhabenen Größe der ganzen Conception, iſt doch das Gräßliche bis zum Entzücken gemildert. — Die chriſt¬ liche Kunſt ging noch weiter, da ihre ganze Weltanſchauung das wahre Leben als durch das rechte Sterben vermittelt auffaßt. Der geſtorbene aber zum ewigen Leben wieder auf¬ erſtehende Gottmenſch wurde ihr Mittelpunct. Der Leichnam Chriſti muß daher bei aller Wahrheit des Todes doch noch den unſterblichen Geiſt, der ihn beſeelte und ihn wieder be¬ ſeelen wird, durchſchimmern laſſen. Dieſe geſchloſſenen Augen werden ſich wieder öffnen, dieſe bleichen, ſchlaffen Lippen werden ſich wieder regen, dieſe ſtarren Hände werden wieder ſegnen und das Brod des Lebens brechen. Dieſe Möglichkeit muß nun vom Bildhauer oder Maler nicht als
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der Pegaſos und Athene fügte das ſchlangenumlockte der
Aegis ein, denn ſie, die kriegeriſche Göttin des Gedankens,
war es ja eigentlich geweſen, welche die einzig ſterbliche der
Gorgotöchter getödtet hatte. Wir haben oben, in anderm
Betracht, die Meduſe zu den Formen gerechnet, mit welchen
die Griechen das Furchtbare ſelbſt zur edelſten Schönheit
fortzubilden ſo glücklich waren. Dies gewaltige Haupt mit
den kraftvollen, krampfdurchbebten Lippen, mit dem impe¬
ratoriſchen Kinn, mit der an des Zeus Stirn erinnernden,
nur etwas niedrigeren Stirn, mit den großen, gebrochen
rollenden Augen, mit dem dunkeln Nattergelock, ſtrahlt auch
getödtet noch Tod und Verderben. Das ſpätere Meduſen¬
ideal hat mit der Kraft der Züge eine eigenthümliche Wehmuth
wunderbar verſchmolzen. In einem Meduſenbilde, welches
Ternite in ſeinen Wandgemälden, Heft II., getreu in
Farben wiedergegeben hat, ſind die grauen, grünen, gelb¬
fahlen Töne des ſterbenden Antlitzes von der ergreifendſten
Wirkung; bei der vollkommenſten pſychologiſchen Wahrheit,
bei der erhabenen Größe der ganzen Conception, iſt doch
das Gräßliche bis zum Entzücken gemildert. — Die chriſt¬
liche Kunſt ging noch weiter, da ihre ganze Weltanſchauung
das wahre Leben als durch das rechte Sterben vermittelt
auffaßt. Der geſtorbene aber zum ewigen Leben wieder auf¬
erſtehende Gottmenſch wurde ihr Mittelpunct. Der Leichnam
Chriſti muß daher bei aller Wahrheit des Todes doch noch
den unſterblichen Geiſt, der ihn beſeelte und ihn wieder be¬
ſeelen wird, durchſchimmern laſſen. Dieſe geſchloſſenen
Augen werden ſich wieder öffnen, dieſe bleichen, ſchlaffen
Lippen werden ſich wieder regen, dieſe ſtarren Hände werden
wieder ſegnen und das Brod des Lebens brechen. Dieſe
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/313>, abgerufen am 21.11.2024.
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