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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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nische Dienst in einer Maschinenfabrik, die nur von Seufzern
durchbrochene Stille eines Lazarethsaals!

Das häßlich Todte besteht in dem Mangel an Selbst¬
bestimmung, die in einer Mannigfaltigkeit von Unterschieden
sich enfaltet. Es schließt daher mehr oder weniger die Vor¬
aussetzung des Lebens in sich, der es durch seine Unterschied¬
losigkeit widerspricht. Und zwar kann dies in verschiedener
Weise geschehen. Einmal kann die Anlage an sich vortrefflich,
die Ausführung aber matt und leer sein; -- wie dies der
Fall zu sein pflegt, wenn ein größerer Genius ein Wert be¬
gonnen hat, es nicht durchführt und ein geringeres Talent
die Vollendung übernimmt. Hier hat der Plan des Ganzen
keine Schuld, aber die Darstellung erreicht nicht die Höhe
seiner Intention und läßt uns kalt, wie Schillers Deme¬
trius
und seine Durchführung von Maltitz u. s. w. --
Oder die Anlage ist frostig und es soll nun der äußerliche
Reichthum der Ausführung die innere Armuth verstecken.
Der Zwiespalt zwischen der ursprünglichen Todtheit und dem
Luxus der eroterischen Ausstattung hilft nur, den Eindruck
des Leeren zu steigern, wie in der Berninischen Verbildung
des von Palladio ausgegangenen Baustyls eine üppig aufge¬
bauschte Ornamentik doch den Mangel an Seele in der
eigentlichen architektonischen Erfindung nicht zu verbergen
vermochte. Oder man erinnere sich jenes Heeres endloser
Epen, welche in Hexametern, Stanzen oder Nibelungen¬
strophen die ideenlosesten Begebenheiten in unausstehlicher
Breite hervorlallen, wie Kunze's Heinrich der Löwe (64),
wie Bodmers Noachide, in welcher ein Komet auf gött¬
lichen Befehl der Erde sich so weit nähert, das Steigen der
Gewässer auf ihr hervorzubringen. Welche Fülle von Wasser,
welche Fülle von Unglück aller Art, welche Fülle schlechter

niſche Dienſt in einer Maſchinenfabrik, die nur von Seufzern
durchbrochene Stille eines Lazarethſaals!

Das häßlich Todte beſteht in dem Mangel an Selbſt¬
beſtimmung, die in einer Mannigfaltigkeit von Unterſchieden
ſich enfaltet. Es ſchließt daher mehr oder weniger die Vor¬
ausſetzung des Lebens in ſich, der es durch ſeine Unterſchied¬
loſigkeit widerſpricht. Und zwar kann dies in verſchiedener
Weiſe geſchehen. Einmal kann die Anlage an ſich vortrefflich,
die Ausführung aber matt und leer ſein; — wie dies der
Fall zu ſein pflegt, wenn ein größerer Genius ein Wert be¬
gonnen hat, es nicht durchführt und ein geringeres Talent
die Vollendung übernimmt. Hier hat der Plan des Ganzen
keine Schuld, aber die Darſtellung erreicht nicht die Höhe
ſeiner Intention und läßt uns kalt, wie Schillers Deme¬
trius
und ſeine Durchführung von Maltitz u. ſ. w. —
Oder die Anlage iſt froſtig und es ſoll nun der äußerliche
Reichthum der Ausführung die innere Armuth verſtecken.
Der Zwieſpalt zwiſchen der urſprünglichen Todtheit und dem
Luxus der eroteriſchen Ausſtattung hilft nur, den Eindruck
des Leeren zu ſteigern, wie in der Berniniſchen Verbildung
des von Palladio ausgegangenen Bauſtyls eine üppig aufge¬
bauſchte Ornamentik doch den Mangel an Seele in der
eigentlichen architektoniſchen Erfindung nicht zu verbergen
vermochte. Oder man erinnere ſich jenes Heeres endloſer
Epen, welche in Hexametern, Stanzen oder Nibelungen¬
ſtrophen die ideenloſeſten Begebenheiten in unausſtehlicher
Breite hervorlallen, wie Kunze's Heinrich der Löwe (64),
wie Bodmers Noachide, in welcher ein Komet auf gött¬
lichen Befehl der Erde ſich ſo weit nähert, das Steigen der
Gewäſſer auf ihr hervorzubringen. Welche Fülle von Waſſer,
welche Fülle von Unglück aller Art, welche Fülle ſchlechter

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[294/0316] niſche Dienſt in einer Maſchinenfabrik, die nur von Seufzern durchbrochene Stille eines Lazarethſaals! Das häßlich Todte beſteht in dem Mangel an Selbſt¬ beſtimmung, die in einer Mannigfaltigkeit von Unterſchieden ſich enfaltet. Es ſchließt daher mehr oder weniger die Vor¬ ausſetzung des Lebens in ſich, der es durch ſeine Unterſchied¬ loſigkeit widerſpricht. Und zwar kann dies in verſchiedener Weiſe geſchehen. Einmal kann die Anlage an ſich vortrefflich, die Ausführung aber matt und leer ſein; — wie dies der Fall zu ſein pflegt, wenn ein größerer Genius ein Wert be¬ gonnen hat, es nicht durchführt und ein geringeres Talent die Vollendung übernimmt. Hier hat der Plan des Ganzen keine Schuld, aber die Darſtellung erreicht nicht die Höhe ſeiner Intention und läßt uns kalt, wie Schillers Deme¬ trius und ſeine Durchführung von Maltitz u. ſ. w. — Oder die Anlage iſt froſtig und es ſoll nun der äußerliche Reichthum der Ausführung die innere Armuth verſtecken. Der Zwieſpalt zwiſchen der urſprünglichen Todtheit und dem Luxus der eroteriſchen Ausſtattung hilft nur, den Eindruck des Leeren zu ſteigern, wie in der Berniniſchen Verbildung des von Palladio ausgegangenen Bauſtyls eine üppig aufge¬ bauſchte Ornamentik doch den Mangel an Seele in der eigentlichen architektoniſchen Erfindung nicht zu verbergen vermochte. Oder man erinnere ſich jenes Heeres endloſer Epen, welche in Hexametern, Stanzen oder Nibelungen¬ ſtrophen die ideenloſeſten Begebenheiten in unausſtehlicher Breite hervorlallen, wie Kunze's Heinrich der Löwe (64), wie Bodmers Noachide, in welcher ein Komet auf gött¬ lichen Befehl der Erde ſich ſo weit nähert, das Steigen der Gewäſſer auf ihr hervorzubringen. Welche Fülle von Waſſer, welche Fülle von Unglück aller Art, welche Fülle ſchlechter

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/316>, abgerufen am 22.11.2024.