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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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erinnert und hier statt seiner eine flüssige, undurchsichtige, etwa
noch mit todten, verwesenden Fischen untermischte Erdauf¬
lösung, eine gleichsam verwesende Erde sich darbietet. Man
sehe die Darstellung eines solchen Schlammausbruches in A.
v. Humboldts Vues des Cordilleres. So ist auch das
Sumpfwasser in Stadtgräben, worin sich die Immunditien
aus den Rinnsteinen sammeln, worin Pflanzen- und Thier¬
reste aller Art mit Lumpen und sonstigen Culturverwesungs¬
abschnitzeln zu einem scheußlichen Amalgam sich zusammenfinden,
höchst ekelhaft. Könnte man eine große Stadt, wie Paris,
einmal umkehren, so daß das Unterste zu oberst käme und
nun nicht blos die Jauche der Cloaken, sondern auch die
lichtscheuen Thiere zum Vorschein gebracht würden, die
Mäuse, Ratten, Kröten, Würmer, die von der Verwesung
leben, so würde dies ein entsetzlich ekelhaftes Bild sein. Daß
der Geruch in dieser Hinsicht eine vorzügliche Empfindlichkeit
besitzt, ist gewiß. Der üble Geruch der Excremente läßt sie
in ihrer puren Natürlichkeit noch widriger, als in ihrer bloßen
Gestalt erscheinen. Ein Koprolith z. B., der versteinerte
Koth vorsündfluthlicher Thiere, hat nichts Ekelhaftes mehr an
sich und wir haben ihn in unsern mineralogischen Sammlungen
ruhig neben andern Petrefacten liegen. Unter den herrlichen
Bildern des Campo Santo Pisano sehen wir auch eine
stolze Jagdgesellschaft, die bei einem offenen, den Leichnam
zeigenden Grabe vorüberreitet und sich die Nase mit der Hand
zuhält; wir sehen dies wohl, aber wir riechen es nicht. Der
Schweiß der Arbeit, der von der Stirne rinnt, von der
Brust perlet, ist zwar sehr ehrenwerth, allein ästhetisch ist
er nicht. Wird nun der Schweiß gar in das Vergnügen
hineingemischt, so ist das schlechthin ekelhaft, wie wenn Heine
z. B. einem jungen Ehepaar zur Vermählung zusingt:

erinnert und hier ſtatt ſeiner eine flüſſige, undurchſichtige, etwa
noch mit todten, verweſenden Fiſchen untermiſchte Erdauf¬
löſung, eine gleichſam verweſende Erde ſich darbietet. Man
ſehe die Darſtellung eines ſolchen Schlammausbruches in A.
v. Humboldts Vues des Cordillères. So iſt auch das
Sumpfwaſſer in Stadtgräben, worin ſich die Immunditien
aus den Rinnſteinen ſammeln, worin Pflanzen- und Thier¬
reſte aller Art mit Lumpen und ſonſtigen Culturverweſungs¬
abſchnitzeln zu einem ſcheußlichen Amalgam ſich zuſammenfinden,
höchſt ekelhaft. Könnte man eine große Stadt, wie Paris,
einmal umkehren, ſo daß das Unterſte zu oberſt käme und
nun nicht blos die Jauche der Cloaken, ſondern auch die
lichtſcheuen Thiere zum Vorſchein gebracht würden, die
Mäuſe, Ratten, Kröten, Würmer, die von der Verweſung
leben, ſo würde dies ein entſetzlich ekelhaftes Bild ſein. Daß
der Geruch in dieſer Hinſicht eine vorzügliche Empfindlichkeit
beſitzt, iſt gewiß. Der üble Geruch der Excremente läßt ſie
in ihrer puren Natürlichkeit noch widriger, als in ihrer bloßen
Geſtalt erſcheinen. Ein Koprolith z. B., der verſteinerte
Koth vorſündfluthlicher Thiere, hat nichts Ekelhaftes mehr an
ſich und wir haben ihn in unſern mineralogiſchen Sammlungen
ruhig neben andern Petrefacten liegen. Unter den herrlichen
Bildern des Campo Santo Piſano ſehen wir auch eine
ſtolze Jagdgeſellſchaft, die bei einem offenen, den Leichnam
zeigenden Grabe vorüberreitet und ſich die Naſe mit der Hand
zuhält; wir ſehen dies wohl, aber wir riechen es nicht. Der
Schweiß der Arbeit, der von der Stirne rinnt, von der
Bruſt perlet, iſt zwar ſehr ehrenwerth, allein äſthetiſch iſt
er nicht. Wird nun der Schweiß gar in das Vergnügen
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z. B. einem jungen Ehepaar zur Vermählung zuſingt:

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[314/0336] erinnert und hier ſtatt ſeiner eine flüſſige, undurchſichtige, etwa noch mit todten, verweſenden Fiſchen untermiſchte Erdauf¬ löſung, eine gleichſam verweſende Erde ſich darbietet. Man ſehe die Darſtellung eines ſolchen Schlammausbruches in A. v. Humboldts Vues des Cordillères. So iſt auch das Sumpfwaſſer in Stadtgräben, worin ſich die Immunditien aus den Rinnſteinen ſammeln, worin Pflanzen- und Thier¬ reſte aller Art mit Lumpen und ſonſtigen Culturverweſungs¬ abſchnitzeln zu einem ſcheußlichen Amalgam ſich zuſammenfinden, höchſt ekelhaft. Könnte man eine große Stadt, wie Paris, einmal umkehren, ſo daß das Unterſte zu oberſt käme und nun nicht blos die Jauche der Cloaken, ſondern auch die lichtſcheuen Thiere zum Vorſchein gebracht würden, die Mäuſe, Ratten, Kröten, Würmer, die von der Verweſung leben, ſo würde dies ein entſetzlich ekelhaftes Bild ſein. Daß der Geruch in dieſer Hinſicht eine vorzügliche Empfindlichkeit beſitzt, iſt gewiß. Der üble Geruch der Excremente läßt ſie in ihrer puren Natürlichkeit noch widriger, als in ihrer bloßen Geſtalt erſcheinen. Ein Koprolith z. B., der verſteinerte Koth vorſündfluthlicher Thiere, hat nichts Ekelhaftes mehr an ſich und wir haben ihn in unſern mineralogiſchen Sammlungen ruhig neben andern Petrefacten liegen. Unter den herrlichen Bildern des Campo Santo Piſano ſehen wir auch eine ſtolze Jagdgeſellſchaft, die bei einem offenen, den Leichnam zeigenden Grabe vorüberreitet und ſich die Naſe mit der Hand zuhält; wir ſehen dies wohl, aber wir riechen es nicht. Der Schweiß der Arbeit, der von der Stirne rinnt, von der Bruſt perlet, iſt zwar ſehr ehrenwerth, allein äſthetiſch iſt er nicht. Wird nun der Schweiß gar in das Vergnügen hineingemiſcht, ſo iſt das ſchlechthin ekelhaft, wie wenn Heine z. B. einem jungen Ehepaar zur Vermählung zuſingt:

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/336>, abgerufen am 21.11.2024.