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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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bereit hält. Wunderschön und bedeutend sind diese Umge¬
bungen gruppirt und disponirt, und doch machen sie, wie auf
den vorigen Tafeln, blos den Rahmen zu dem eigentlichen
Bilde, zu der Gestalt, die hier wie überall entscheidend
hervortritt. Gewaltsam erscheint sie hier, in einer Mä¬
nadischen Bewegung, welche wohl die letzte sein mochte,
womit eine solche Bakchische Darstellung beschlossen wurde,
weil darüber hinaus Verzerrung liegt. Die Künstlerin
scheint mitten durch den Kunstenthusiasmus, welcher sie auch
hier begeistert, den Unterschied zu fühlen des gegenwärtigen
Zustandes gegen jenen, den sie so eben verlassen hat.
Stellung und Ausdruck sind tragisch, und sie könnte hier
eben so gut eine Verzweifelnde als eine vom Gott mächtig
Begeisterte vorstellen. Wie sie auf dem ersten Bilde die
Zuschauer durch ein absichtliches Wegwenden zu necken schien,
so ist sie hier wirklich abwesend; ihre Bewunderer stehen
vor ihr, klatschen ihr entgegen, aber sie achtet ihrer nicht,
aller Außenwelt entrückt, ganz in sich selbst hineingeworfen.
Und so schließt sie ihre Darstellung mit den zwar stummen,
aber pantomimisch genugsam deutlichen, wahrhaft heidnisch
tragischen Gesinnungen, welche sie mit dem Achill der
Odyssee theilt, daß es besser sei, unter den Lebendigen
als Magd einer Künstlerin den Shwal nachzutragen, als
unter den Todten für die Vortrefflichste zu gelten (77)."

Der Schatten ist, wie sein Name schon besagt, ohne
Greifiichkeit. Er ist zwar sichtbar und hörbar, allein un¬
faßlich und daher von den materiellen Schranken unbeirrt.
Er kommt und geht -- überall und ist, der Zeit nach,
kaum an das ihm günstige Dunkel der Nacht gebunden.
Die in's Düstere malende Vorstellung wird in ihm das
Grabhafte abspiegeln, wie die Balladen besonders die Ge¬

bereit hält. Wunderſchön und bedeutend ſind dieſe Umge¬
bungen gruppirt und disponirt, und doch machen ſie, wie auf
den vorigen Tafeln, blos den Rahmen zu dem eigentlichen
Bilde, zu der Geſtalt, die hier wie überall entſcheidend
hervortritt. Gewaltſam erſcheint ſie hier, in einer Mä¬
nadiſchen Bewegung, welche wohl die letzte ſein mochte,
womit eine ſolche Bakchiſche Darſtellung beſchloſſen wurde,
weil darüber hinaus Verzerrung liegt. Die Künſtlerin
ſcheint mitten durch den Kunſtenthuſiasmus, welcher ſie auch
hier begeiſtert, den Unterſchied zu fühlen des gegenwärtigen
Zuſtandes gegen jenen, den ſie ſo eben verlaſſen hat.
Stellung und Ausdruck ſind tragiſch, und ſie könnte hier
eben ſo gut eine Verzweifelnde als eine vom Gott mächtig
Begeiſterte vorſtellen. Wie ſie auf dem erſten Bilde die
Zuſchauer durch ein abſichtliches Wegwenden zu necken ſchien,
ſo iſt ſie hier wirklich abweſend; ihre Bewunderer ſtehen
vor ihr, klatſchen ihr entgegen, aber ſie achtet ihrer nicht,
aller Außenwelt entrückt, ganz in ſich ſelbſt hineingeworfen.
Und ſo ſchließt ſie ihre Darſtellung mit den zwar ſtummen,
aber pantomimiſch genugſam deutlichen, wahrhaft heidniſch
tragiſchen Geſinnungen, welche ſie mit dem Achill der
Odyſſee theilt, daß es beſſer ſei, unter den Lebendigen
als Magd einer Künſtlerin den Shwal nachzutragen, als
unter den Todten für die Vortrefflichſte zu gelten (77).“

Der Schatten iſt, wie ſein Name ſchon beſagt, ohne
Greifiichkeit. Er iſt zwar ſichtbar und hörbar, allein un¬
faßlich und daher von den materiellen Schranken unbeirrt.
Er kommt und geht — überall und iſt, der Zeit nach,
kaum an das ihm günſtige Dunkel der Nacht gebunden.
Die in's Düſtere malende Vorſtellung wird in ihm das
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[342/0364] bereit hält. Wunderſchön und bedeutend ſind dieſe Umge¬ bungen gruppirt und disponirt, und doch machen ſie, wie auf den vorigen Tafeln, blos den Rahmen zu dem eigentlichen Bilde, zu der Geſtalt, die hier wie überall entſcheidend hervortritt. Gewaltſam erſcheint ſie hier, in einer Mä¬ nadiſchen Bewegung, welche wohl die letzte ſein mochte, womit eine ſolche Bakchiſche Darſtellung beſchloſſen wurde, weil darüber hinaus Verzerrung liegt. Die Künſtlerin ſcheint mitten durch den Kunſtenthuſiasmus, welcher ſie auch hier begeiſtert, den Unterſchied zu fühlen des gegenwärtigen Zuſtandes gegen jenen, den ſie ſo eben verlaſſen hat. Stellung und Ausdruck ſind tragiſch, und ſie könnte hier eben ſo gut eine Verzweifelnde als eine vom Gott mächtig Begeiſterte vorſtellen. Wie ſie auf dem erſten Bilde die Zuſchauer durch ein abſichtliches Wegwenden zu necken ſchien, ſo iſt ſie hier wirklich abweſend; ihre Bewunderer ſtehen vor ihr, klatſchen ihr entgegen, aber ſie achtet ihrer nicht, aller Außenwelt entrückt, ganz in ſich ſelbſt hineingeworfen. Und ſo ſchließt ſie ihre Darſtellung mit den zwar ſtummen, aber pantomimiſch genugſam deutlichen, wahrhaft heidniſch tragiſchen Geſinnungen, welche ſie mit dem Achill der Odyſſee theilt, daß es beſſer ſei, unter den Lebendigen als Magd einer Künſtlerin den Shwal nachzutragen, als unter den Todten für die Vortrefflichſte zu gelten (77).“ Der Schatten iſt, wie ſein Name ſchon beſagt, ohne Greifiichkeit. Er iſt zwar ſichtbar und hörbar, allein un¬ faßlich und daher von den materiellen Schranken unbeirrt. Er kommt und geht — überall und iſt, der Zeit nach, kaum an das ihm günſtige Dunkel der Nacht gebunden. Die in's Düſtere malende Vorſtellung wird in ihm das Grabhafte abſpiegeln, wie die Balladen beſonders die Ge¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/364>, abgerufen am 24.11.2024.