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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Das Naturhäßliche.

In der Natur, deren Idee die Existenz in Raum und
Zeit wesentlich ist, kann sich das Häßliche bereits in zahllo¬
sen Formen gestalten. Das Werden, dem Alles in der
Natur unterliegt, macht durch die Freiheit seines Processes
in jedem Augenblick das Uebermaaß und das Unmaaß mög¬
lich, damit eine Zerstörung der reinen, von der Natur an
sich angestrebten Form und damit das Häßliche. Die ein¬
zelnen Naturexistenzen, da sie in ihrem bunten Durcheinan¬
der sich rücksichtslos in's Dasein drängen, hemmen sich oft
in ihrem morphologischen Processe.

Die geometrischen und stereometrischen Formen, Dreieck,
Viereck, Kreis, Prisma, Würfel, Kugel u. s. w. sind in
ihrer Einfachheit durch die Symmetrie ihrer Verhältnisse
eigentlich schön. Als allgemeine Formen in abstracter Rein¬
heit haben sie freilich nur in der Vorstellung des Geistes
eine ideelle Existenz, denn in concreto erscheinen sie nur als
Formen bestimmter Naturgestalten an den Krystallen, Pflan¬
zen und Thieren. Der Gang der Natur ist hier der, aus
der Starrheit geradlinigter und geradflächiger Verhältnisse
zur Schmiegsamkeit der Curve und zu einer wundersamen
Verschmelzung des Geraden und Krummen überzugehen.

Die bloße rohe Masse, so weit sie nur vom Gesetz der
Schwere beherrscht wird, bietet uns ästhetisch einen gleichsam
neutralen Zustand dar. Sie ist nicht nothwendig schön, aber
auch nicht nothwendig häßlich; sie ist zufällig. Nehmen wir
z. B unsere Erde, so würde sie, um als Masse schön zu
sein, eine vollkommene Kugel sein müssen. Das ist sie aber
nicht. Sie ist abgeplattet an den Polen und geschwellt am
Aequator, außerdem auf ihrer Oberfläche von der größten

Das Naturhäßliche.

In der Natur, deren Idee die Exiſtenz in Raum und
Zeit weſentlich iſt, kann ſich das Häßliche bereits in zahllo¬
ſen Formen geſtalten. Das Werden, dem Alles in der
Natur unterliegt, macht durch die Freiheit ſeines Proceſſes
in jedem Augenblick das Uebermaaß und das Unmaaß mög¬
lich, damit eine Zerſtörung der reinen, von der Natur an
ſich angeſtrebten Form und damit das Häßliche. Die ein¬
zelnen Naturexiſtenzen, da ſie in ihrem bunten Durcheinan¬
der ſich rückſichtslos in's Daſein drängen, hemmen ſich oft
in ihrem morphologiſchen Proceſſe.

Die geometriſchen und ſtereometriſchen Formen, Dreieck,
Viereck, Kreis, Prisma, Würfel, Kugel u. ſ. w. ſind in
ihrer Einfachheit durch die Symmetrie ihrer Verhältniſſe
eigentlich ſchön. Als allgemeine Formen in abſtracter Rein¬
heit haben ſie freilich nur in der Vorſtellung des Geiſtes
eine ideelle Exiſtenz, denn in concreto erſcheinen ſie nur als
Formen beſtimmter Naturgeſtalten an den Kryſtallen, Pflan¬
zen und Thieren. Der Gang der Natur iſt hier der, aus
der Starrheit geradlinigter und geradflächiger Verhältniſſe
zur Schmiegſamkeit der Curve und zu einer wunderſamen
Verſchmelzung des Geraden und Krummen überzugehen.

Die bloße rohe Maſſe, ſo weit ſie nur vom Geſetz der
Schwere beherrſcht wird, bietet uns äſthetiſch einen gleichſam
neutralen Zuſtand dar. Sie iſt nicht nothwendig ſchön, aber
auch nicht nothwendig häßlich; ſie iſt zufällig. Nehmen wir
z. B unſere Erde, ſo würde ſie, um als Maſſe ſchön zu
ſein, eine vollkommene Kugel ſein müſſen. Das iſt ſie aber
nicht. Sie iſt abgeplattet an den Polen und geſchwellt am
Aequator, außerdem auf ihrer Oberfläche von der größten

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[15/0037] Das Naturhäßliche. In der Natur, deren Idee die Exiſtenz in Raum und Zeit weſentlich iſt, kann ſich das Häßliche bereits in zahllo¬ ſen Formen geſtalten. Das Werden, dem Alles in der Natur unterliegt, macht durch die Freiheit ſeines Proceſſes in jedem Augenblick das Uebermaaß und das Unmaaß mög¬ lich, damit eine Zerſtörung der reinen, von der Natur an ſich angeſtrebten Form und damit das Häßliche. Die ein¬ zelnen Naturexiſtenzen, da ſie in ihrem bunten Durcheinan¬ der ſich rückſichtslos in's Daſein drängen, hemmen ſich oft in ihrem morphologiſchen Proceſſe. Die geometriſchen und ſtereometriſchen Formen, Dreieck, Viereck, Kreis, Prisma, Würfel, Kugel u. ſ. w. ſind in ihrer Einfachheit durch die Symmetrie ihrer Verhältniſſe eigentlich ſchön. Als allgemeine Formen in abſtracter Rein¬ heit haben ſie freilich nur in der Vorſtellung des Geiſtes eine ideelle Exiſtenz, denn in concreto erſcheinen ſie nur als Formen beſtimmter Naturgeſtalten an den Kryſtallen, Pflan¬ zen und Thieren. Der Gang der Natur iſt hier der, aus der Starrheit geradlinigter und geradflächiger Verhältniſſe zur Schmiegſamkeit der Curve und zu einer wunderſamen Verſchmelzung des Geraden und Krummen überzugehen. Die bloße rohe Maſſe, ſo weit ſie nur vom Geſetz der Schwere beherrſcht wird, bietet uns äſthetiſch einen gleichſam neutralen Zuſtand dar. Sie iſt nicht nothwendig ſchön, aber auch nicht nothwendig häßlich; ſie iſt zufällig. Nehmen wir z. B unſere Erde, ſo würde ſie, um als Maſſe ſchön zu ſein, eine vollkommene Kugel ſein müſſen. Das iſt ſie aber nicht. Sie iſt abgeplattet an den Polen und geſchwellt am Aequator, außerdem auf ihrer Oberfläche von der größten

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/37>, abgerufen am 21.11.2024.