stimmung, um nicht solche Erscheinungen auszuschließen, die nicht direct durch das Böse hervorgerufen werden. Durch das Böse nämlich als ein ihnen selbst inhärirendes, denn Banquo selber z. B. ist ja nicht böse, nicht verbrecherisch, und doch erscheint er. Wir hoben die Ruhelosigkeit des Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Interesse in das Diesseits zurückbannt. Insofern aber das Gespenstische zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das Gebiet des Bösen schlechthin, vielmehr in die früher von uns betrachtete Region des Absurden ein. Das Gespenstische als der Widerschein der innern Zerrissenheit kann ästhetisch eben dadurch schön werden, daß es, wie Lessing richtig sagt, Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬ stellungen des Todes, der Verwesung, der Schuld, des Bösen zusammenhängend, erregt es unsern Abscheu; es ist widrig; aber als mit den ethischen Interessen verknüpft, als die Würde der selbst über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬ keit darstellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder befreiet, wie die Schattengestalt des Comthur in Mozarts Don Juan so unvergleichlich zeigt. Der Wahnsinn hat in seiner Selbstverlorenheit unstreitig etwas Gespenstisches an sich. Der Verrückte ist aber umgekehrt als der Todte an eine Vorstellung entfremdet; das Gespenst nämlich kehrt aus dem Jenseits in das Diesseits zurück; es hat den ungeheuren Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte hingegen lebt noch, ist aber der Wirklichkeit durch seinen Wahn entzogen, ist für die lebendigen Interessen der posi¬ tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬ kespeare's, der das menschliche Herz in allen seinen Höhen und Tiefen gründlichst gekannt hat, gibt uns auch hier die trefflichsten Beispiele. Seine Lady Macbeth, wie sie des
ſtimmung, um nicht ſolche Erſcheinungen auszuſchließen, die nicht direct durch das Böſe hervorgerufen werden. Durch das Böſe nämlich als ein ihnen ſelbſt inhärirendes, denn Banquo ſelber z. B. iſt ja nicht böſe, nicht verbrecheriſch, und doch erſcheint er. Wir hoben die Ruheloſigkeit des Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Intereſſe in das Dieſſeits zurückbannt. Inſofern aber das Geſpenſtiſche zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das Gebiet des Böſen ſchlechthin, vielmehr in die früher von uns betrachtete Region des Abſurden ein. Das Geſpenſtiſche als der Widerſchein der innern Zerriſſenheit kann äſthetiſch eben dadurch ſchön werden, daß es, wie Leſſing richtig ſagt, Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬ ſtellungen des Todes, der Verweſung, der Schuld, des Böſen zuſammenhängend, erregt es unſern Abſcheu; es iſt widrig; aber als mit den ethiſchen Intereſſen verknüpft, als die Würde der ſelbſt über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬ keit darſtellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder befreiet, wie die Schattengeſtalt des Comthur in Mozarts Don Juan ſo unvergleichlich zeigt. Der Wahnſinn hat in ſeiner Selbſtverlorenheit unſtreitig etwas Geſpenſtiſches an ſich. Der Verrückte iſt aber umgekehrt als der Todte an eine Vorſtellung entfremdet; das Geſpenſt nämlich kehrt aus dem Jenſeits in das Dieſſeits zurück; es hat den ungeheuren Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte hingegen lebt noch, iſt aber der Wirklichkeit durch ſeinen Wahn entzogen, iſt für die lebendigen Intereſſen der poſi¬ tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬ keſpeare's, der das menſchliche Herz in allen ſeinen Höhen und Tiefen gründlichſt gekannt hat, gibt uns auch hier die trefflichſten Beiſpiele. Seine Lady Macbeth, wie ſie des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0376"n="354"/>ſtimmung, um nicht ſolche Erſcheinungen auszuſchließen, die<lb/>
nicht direct durch das Böſe hervorgerufen werden. Durch<lb/>
das Böſe nämlich als ein ihnen ſelbſt inhärirendes, denn<lb/>
Banquo ſelber z. B. iſt ja nicht böſe, nicht verbrecheriſch,<lb/>
und doch erſcheint er. Wir hoben die Ruheloſigkeit des<lb/>
Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Intereſſe in<lb/>
das Dieſſeits zurückbannt. Inſofern aber das Geſpenſtiſche<lb/>
zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das<lb/>
Gebiet des Böſen ſchlechthin, vielmehr in die früher von uns<lb/>
betrachtete Region des Abſurden ein. Das Geſpenſtiſche als<lb/>
der Widerſchein der innern Zerriſſenheit kann äſthetiſch eben<lb/>
dadurch ſchön werden, daß es, wie Leſſing richtig ſagt,<lb/>
Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬<lb/>ſtellungen des Todes, der Verweſung, der Schuld, des Böſen<lb/>
zuſammenhängend, erregt es unſern Abſcheu; es iſt widrig;<lb/>
aber als mit den ethiſchen Intereſſen verknüpft, als die<lb/>
Würde der ſelbſt über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬<lb/>
keit darſtellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder<lb/>
befreiet, wie die Schattengeſtalt des Comthur in Mozarts<lb/>
Don Juan ſo unvergleichlich zeigt. Der Wahnſinn hat in<lb/>ſeiner Selbſtverlorenheit unſtreitig etwas Geſpenſtiſches an<lb/>ſich. Der Verrückte iſt aber umgekehrt als der Todte an<lb/>
eine Vorſtellung entfremdet; das Geſpenſt nämlich kehrt aus<lb/>
dem Jenſeits in das Dieſſeits zurück; es hat den ungeheuren<lb/>
Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte<lb/>
hingegen lebt noch, iſt aber der Wirklichkeit durch ſeinen<lb/>
Wahn entzogen, iſt für die lebendigen Intereſſen der poſi¬<lb/>
tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬<lb/>
keſpeare's, der das menſchliche Herz in allen ſeinen Höhen<lb/>
und Tiefen gründlichſt gekannt hat, gibt uns auch hier die<lb/>
trefflichſten Beiſpiele. Seine Lady Macbeth, wie ſie des<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[354/0376]
ſtimmung, um nicht ſolche Erſcheinungen auszuſchließen, die
nicht direct durch das Böſe hervorgerufen werden. Durch
das Böſe nämlich als ein ihnen ſelbſt inhärirendes, denn
Banquo ſelber z. B. iſt ja nicht böſe, nicht verbrecheriſch,
und doch erſcheint er. Wir hoben die Ruheloſigkeit des
Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Intereſſe in
das Dieſſeits zurückbannt. Inſofern aber das Geſpenſtiſche
zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das
Gebiet des Böſen ſchlechthin, vielmehr in die früher von uns
betrachtete Region des Abſurden ein. Das Geſpenſtiſche als
der Widerſchein der innern Zerriſſenheit kann äſthetiſch eben
dadurch ſchön werden, daß es, wie Leſſing richtig ſagt,
Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬
ſtellungen des Todes, der Verweſung, der Schuld, des Böſen
zuſammenhängend, erregt es unſern Abſcheu; es iſt widrig;
aber als mit den ethiſchen Intereſſen verknüpft, als die
Würde der ſelbſt über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬
keit darſtellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder
befreiet, wie die Schattengeſtalt des Comthur in Mozarts
Don Juan ſo unvergleichlich zeigt. Der Wahnſinn hat in
ſeiner Selbſtverlorenheit unſtreitig etwas Geſpenſtiſches an
ſich. Der Verrückte iſt aber umgekehrt als der Todte an
eine Vorſtellung entfremdet; das Geſpenſt nämlich kehrt aus
dem Jenſeits in das Dieſſeits zurück; es hat den ungeheuren
Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte
hingegen lebt noch, iſt aber der Wirklichkeit durch ſeinen
Wahn entzogen, iſt für die lebendigen Intereſſen der poſi¬
tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬
keſpeare's, der das menſchliche Herz in allen ſeinen Höhen
und Tiefen gründlichſt gekannt hat, gibt uns auch hier die
trefflichſten Beiſpiele. Seine Lady Macbeth, wie ſie des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/376>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.