ein heiter-schöner Anblick sein. Der kühne Aufschuß einer Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchsten Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraternisiren scheint, ist schön nicht blos durch die mechanische Bewegung, sondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geschwindigkeit.
Die dynamischen Processe der Natur sind an sich weder schön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬ drücklichkeit gelangt. Cohäsion, Magnetismus, Elektricität, Galvanismus, Chemismus, sind in ihrer Actuosität als sol¬ cher einfach. Ihre Resultate aber können schön sein, wie das Sprühen des elektrischen Funkens, der Zickzackstrahl sei¬ nes Blitzes, das majestätische Rollen des Donners, die Far¬ benverwandlungen bei chemischen Vorgängen u. s. w. Ein großes Feld eröffnen hier die phantastischen Bildungen, welche das Gas in seiner elastischen Beweglichkeit zu ent¬ wickeln vermag. Die große Freiheit derselben bringt eben sowohl schöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform der Gasexpansion ist allerdings die sphärische, nach allen Seiten gleichmäßig ausstrebende. Weil aber das Gas in's Ungemessene sich ausdehnt, so verliert sich die sphärische Ge¬ stalt bald durch die Grenze, die feste Körper ihm entgegen¬ stellen, bald durch andere Gase, mit denen es sich mischt und chaotisch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬ schöpfliches Spiel von Dämmergestalten, die an Alles und an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4).
In der organischen Natur macht die Abgeschlossenheit der Gestalt das Princip ihrer Existenz aus. Hiervon ist die Folge, daß die Schönheit sich aus der träumerischen Zufäl¬ ligkeit losmacht, die ihr in der unorganischen Natur anhaf¬ tet Das organische Gebilde hat sofort einen bestimmten ästhetischen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum ist.
Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 2
ein heiter-ſchöner Anblick ſein. Der kühne Aufſchuß einer Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchſten Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraterniſiren ſcheint, iſt ſchön nicht blos durch die mechaniſche Bewegung, ſondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geſchwindigkeit.
Die dynamiſchen Proceſſe der Natur ſind an ſich weder ſchön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬ drücklichkeit gelangt. Cohäſion, Magnetismus, Elektricität, Galvanismus, Chemismus, ſind in ihrer Actuoſität als ſol¬ cher einfach. Ihre Reſultate aber können ſchön ſein, wie das Sprühen des elektriſchen Funkens, der Zickzackſtrahl ſei¬ nes Blitzes, das majeſtätiſche Rollen des Donners, die Far¬ benverwandlungen bei chemiſchen Vorgängen u. ſ. w. Ein großes Feld eröffnen hier die phantaſtiſchen Bildungen, welche das Gas in ſeiner elaſtiſchen Beweglichkeit zu ent¬ wickeln vermag. Die große Freiheit derſelben bringt eben ſowohl ſchöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform der Gasexpanſion iſt allerdings die ſphäriſche, nach allen Seiten gleichmäßig ausſtrebende. Weil aber das Gas in's Ungemeſſene ſich ausdehnt, ſo verliert ſich die ſphäriſche Ge¬ ſtalt bald durch die Grenze, die feſte Körper ihm entgegen¬ ſtellen, bald durch andere Gaſe, mit denen es ſich miſcht und chaotiſch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬ ſchöpfliches Spiel von Dämmergeſtalten, die an Alles und an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4).
In der organiſchen Natur macht die Abgeſchloſſenheit der Geſtalt das Princip ihrer Exiſtenz aus. Hiervon iſt die Folge, daß die Schönheit ſich aus der träumeriſchen Zufäl¬ ligkeit losmacht, die ihr in der unorganiſchen Natur anhaf¬ tet Das organiſche Gebilde hat ſofort einen beſtimmten äſthetiſchen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum iſt.
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0039"n="17"/>
ein heiter-ſchöner Anblick ſein. Der kühne Aufſchuß einer<lb/>
Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchſten<lb/>
Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraterniſiren<lb/>ſcheint, iſt ſchön nicht blos durch die mechaniſche Bewegung,<lb/>ſondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geſchwindigkeit.</p><lb/><p>Die dynamiſchen Proceſſe der Natur ſind an ſich weder<lb/>ſchön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬<lb/>
drücklichkeit gelangt. Cohäſion, Magnetismus, Elektricität,<lb/>
Galvanismus, Chemismus, ſind in ihrer Actuoſität als ſol¬<lb/>
cher einfach. Ihre Reſultate aber können ſchön ſein, wie<lb/>
das Sprühen des elektriſchen Funkens, der Zickzackſtrahl ſei¬<lb/>
nes Blitzes, das majeſtätiſche Rollen des Donners, die Far¬<lb/>
benverwandlungen bei chemiſchen Vorgängen u. ſ. w. Ein<lb/>
großes Feld eröffnen hier die phantaſtiſchen Bildungen,<lb/>
welche das Gas in ſeiner elaſtiſchen Beweglichkeit zu ent¬<lb/>
wickeln vermag. Die große Freiheit derſelben bringt eben<lb/>ſowohl ſchöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform<lb/>
der Gasexpanſion iſt allerdings die ſphäriſche, nach allen<lb/>
Seiten gleichmäßig ausſtrebende. Weil aber das Gas in's<lb/>
Ungemeſſene ſich ausdehnt, ſo verliert ſich die ſphäriſche Ge¬<lb/>ſtalt bald durch die Grenze, die feſte Körper ihm entgegen¬<lb/>ſtellen, bald durch andere Gaſe, mit denen es ſich miſcht<lb/>
und chaotiſch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬<lb/>ſchöpfliches Spiel von Dämmergeſtalten, die an Alles und<lb/>
an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4).</p><lb/><p>In der organiſchen Natur macht die Abgeſchloſſenheit<lb/>
der Geſtalt das Princip ihrer Exiſtenz aus. Hiervon iſt die<lb/>
Folge, daß die Schönheit ſich aus der träumeriſchen Zufäl¬<lb/>
ligkeit losmacht, die ihr in der unorganiſchen Natur anhaf¬<lb/>
tet Das organiſche Gebilde hat ſofort einen beſtimmten<lb/>
äſthetiſchen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum iſt.<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Roſenkranz</hi>, Aeſthetik des Häßlichen. 2<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[17/0039]
ein heiter-ſchöner Anblick ſein. Der kühne Aufſchuß einer
Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchſten
Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraterniſiren
ſcheint, iſt ſchön nicht blos durch die mechaniſche Bewegung,
ſondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geſchwindigkeit.
Die dynamiſchen Proceſſe der Natur ſind an ſich weder
ſchön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬
drücklichkeit gelangt. Cohäſion, Magnetismus, Elektricität,
Galvanismus, Chemismus, ſind in ihrer Actuoſität als ſol¬
cher einfach. Ihre Reſultate aber können ſchön ſein, wie
das Sprühen des elektriſchen Funkens, der Zickzackſtrahl ſei¬
nes Blitzes, das majeſtätiſche Rollen des Donners, die Far¬
benverwandlungen bei chemiſchen Vorgängen u. ſ. w. Ein
großes Feld eröffnen hier die phantaſtiſchen Bildungen,
welche das Gas in ſeiner elaſtiſchen Beweglichkeit zu ent¬
wickeln vermag. Die große Freiheit derſelben bringt eben
ſowohl ſchöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform
der Gasexpanſion iſt allerdings die ſphäriſche, nach allen
Seiten gleichmäßig ausſtrebende. Weil aber das Gas in's
Ungemeſſene ſich ausdehnt, ſo verliert ſich die ſphäriſche Ge¬
ſtalt bald durch die Grenze, die feſte Körper ihm entgegen¬
ſtellen, bald durch andere Gaſe, mit denen es ſich miſcht
und chaotiſch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬
ſchöpfliches Spiel von Dämmergeſtalten, die an Alles und
an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4).
In der organiſchen Natur macht die Abgeſchloſſenheit
der Geſtalt das Princip ihrer Exiſtenz aus. Hiervon iſt die
Folge, daß die Schönheit ſich aus der träumeriſchen Zufäl¬
ligkeit losmacht, die ihr in der unorganiſchen Natur anhaf¬
tet Das organiſche Gebilde hat ſofort einen beſtimmten
äſthetiſchen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum iſt.
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/39>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.