catur so sprechen, als ob sie eine höchst untergeordnete Leistung der Kunst sei, als ob nur geringere Talente mit ihr sich befassen könnten und als ob die Beschäftigung mit ihr den Geschmack verderben müsse. Diese banale Meinung hat einen Sinn nur in Ansehung der schlechten Caricatur, denn die gute ist wahrlich gerade eben so schwer, wie -- alles Gute und Schöne. Wir müssen bedenken, daß, wie Platon schon im Symposion sagt, der beste tragische Dichter auch der beste komödische ist, d. h. daß die Komik mit der Tragik aus derselben Tiefe des Geistes entspringt und die¬ selbe Kraft erheischt. Die antiken Tragiker dichteten zu ihren Trilogien selber das übliche Satyrdrama. Die Menge der¬ selben ist verloren gegangen. Nur eines, den Euripideischen Kyklopen, haben wir übrig. Es reicht hin, uns zu zeigen, daß die Carikirung die Seele dieser Gattung war. Wer also nicht von der schlechten, sondern von der Caricatur überhaupt geringschätzig denkt, der lasse die Namen der alten Tragiker, der lasse den Namen des Aristophanes und Menander, den Namen des Horaz und Lucian, des Calderon und Shakespeare, des Ariosto und Cervantes, des Rabelais und Fischart, des Swift und Boz, Tiecks und Jean Pauls, Molieres und Be¬ rangers, Voltaires und Gutzkows, der lasse den Namen der Breughel und der Teniers, der Callot und Grandville, der Hogarth und Gavarni bei sich vorübergehen und frage sich dann, ob er die Schöpfung ächter Caricaturen noch für eine so unter¬ geordnete Leistung anzusehen den Muth haben könne? Frei¬ lich ohne idealen Gehalt, ohne Witz, ohne Freiheit, ohne Kühnheit oder Zierlichkeit, ohne humoristische Elasticität, nun freilich da ist die Caricatur nur eine abscheuliche, quälende Frazze und eben so langweilig und unausstehlich, als jedes andere schlechte Kunstwerk.
catur ſo ſprechen, als ob ſie eine höchſt untergeordnete Leiſtung der Kunſt ſei, als ob nur geringere Talente mit ihr ſich befaſſen könnten und als ob die Beſchäftigung mit ihr den Geſchmack verderben müſſe. Dieſe banale Meinung hat einen Sinn nur in Anſehung der ſchlechten Caricatur, denn die gute iſt wahrlich gerade eben ſo ſchwer, wie — alles Gute und Schöne. Wir müſſen bedenken, daß, wie Platon ſchon im Sympoſion ſagt, der beſte tragiſche Dichter auch der beſte komödiſche iſt, d. h. daß die Komik mit der Tragik aus derſelben Tiefe des Geiſtes entſpringt und die¬ ſelbe Kraft erheiſcht. Die antiken Tragiker dichteten zu ihren Trilogien ſelber das übliche Satyrdrama. Die Menge der¬ ſelben iſt verloren gegangen. Nur eines, den Euripideiſchen Kyklopen, haben wir übrig. Es reicht hin, uns zu zeigen, daß die Carikirung die Seele dieſer Gattung war. Wer alſo nicht von der ſchlechten, ſondern von der Caricatur überhaupt geringſchätzig denkt, der laſſe die Namen der alten Tragiker, der laſſe den Namen des Ariſtophanes und Menander, den Namen des Horaz und Lucian, des Calderon und Shakeſpeare, des Arioſto und Cervantes, des Rabelais und Fiſchart, des Swift und Boz, Tiecks und Jean Pauls, Molières und Bé¬ rangers, Voltaires und Gutzkows, der laſſe den Namen der Breughel und der Teniers, der Callot und Grandville, der Hogarth und Gavarni bei ſich vorübergehen und frage ſich dann, ob er die Schöpfung ächter Caricaturen noch für eine ſo unter¬ geordnete Leiſtung anzuſehen den Muth haben könne? Frei¬ lich ohne idealen Gehalt, ohne Witz, ohne Freiheit, ohne Kühnheit oder Zierlichkeit, ohne humoriſtiſche Elaſticität, nun freilich da iſt die Caricatur nur eine abſcheuliche, quälende Frazze und eben ſo langweilig und unausſtehlich, als jedes andere ſchlechte Kunſtwerk.
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catur ſo ſprechen, als ob ſie eine höchſt untergeordnete
Leiſtung der Kunſt ſei, als ob nur geringere Talente mit
ihr ſich befaſſen könnten und als ob die Beſchäftigung mit
ihr den Geſchmack verderben müſſe. Dieſe banale Meinung
hat einen Sinn nur in Anſehung der ſchlechten Caricatur,
denn die gute iſt wahrlich gerade eben ſo ſchwer, wie —
alles Gute und Schöne. Wir müſſen bedenken, daß, wie
Platon ſchon im Sympoſion ſagt, der beſte tragiſche Dichter
auch der beſte komödiſche iſt, d. h. daß die Komik mit der
Tragik aus derſelben Tiefe des Geiſtes entſpringt und die¬
ſelbe Kraft erheiſcht. Die antiken Tragiker dichteten zu ihren
Trilogien ſelber das übliche Satyrdrama. Die Menge der¬
ſelben iſt verloren gegangen. Nur eines, den Euripideiſchen
Kyklopen, haben wir übrig. Es reicht hin, uns zu zeigen,
daß die Carikirung die Seele dieſer Gattung war. Wer alſo
nicht von der ſchlechten, ſondern von der Caricatur überhaupt
geringſchätzig denkt, der laſſe die Namen der alten Tragiker,
der laſſe den Namen des Ariſtophanes und Menander, den
Namen des Horaz und Lucian, des Calderon und Shakeſpeare,
des Arioſto und Cervantes, des Rabelais und Fiſchart, des
Swift und Boz, Tiecks und Jean Pauls, Molières und Bé¬
rangers, Voltaires und Gutzkows, der laſſe den Namen der
Breughel und der Teniers, der Callot und Grandville, der
Hogarth und Gavarni bei ſich vorübergehen und frage ſich dann,
ob er die Schöpfung ächter Caricaturen noch für eine ſo unter¬
geordnete Leiſtung anzuſehen den Muth haben könne? Frei¬
lich ohne idealen Gehalt, ohne Witz, ohne Freiheit, ohne
Kühnheit oder Zierlichkeit, ohne humoriſtiſche Elaſticität, nun
freilich da iſt die Caricatur nur eine abſcheuliche, quälende
Frazze und eben ſo langweilig und unausſtehlich, als jedes
andere ſchlechte Kunſtwerk.
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/435>, abgerufen am 21.11.2024.
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