Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

mal zum höchsten Glanz empor; mit Nestroy eilte es seinem
Untergang zu. Dieser Gegenstand verdiente wohl eine eigene
Abhandlung, die wir hier nicht geben können, wo wir von
der Caricatur nur Abschied zu nehmen, nur ihre Fortbildung
zum Lächerlichen anzudeuten haben. Wir enthalten uns da¬
her weiterer Ausführung und geben nur ein Paar Züge zu
besserem Verständniß. In der "Lindane" soll ein furchtsamer
Pantoffelmacher im Reiche der Feen eine Großthat vollbringen.
Das Geschick hat ihn einmal dazu erlesen, so unbequem und
widrig es ihm fällt, einen Helden zu spielen. Er muß
durch einen Wald gehen. Seine Furchtsamkeit wird carikirt,
aber wie? Vollkommen phantastisch. Er nimmt seinen
Altgesellen und eine Flinte mit. Als sie in den Wald kom¬
men, wird er natürlich sehr bange. Es ist gar keine be¬
stimmte Gefahr vorhanden. Das thut nichts. Der Wald
überhaupt, die Furcht überhaupt sind Grund genug, etwas
zum Schutz gegen mögliche Gefahren zu unternehmen. Der
Geselle muß also schießen. Aber wohin, da sich nirgends
etwas Verdächtiges zeigt. Er schießt auf das Gerathewohl
in die Luft, während der Pantoffelmacher sich grenzenlos
ängstet. Und siehe da -- dies ist nun das Phantastische der
Ausführung -- es fällt etwas aus der Luft herunter. Man
wagt sich näher, den Vogel anzusehen. Der Vogel sieht
aber gar nicht recht wie ein Vogel aus; er hat vier Füße;
er hat auch gar nicht rechte Federn, sondern Borsten; genug,
der Vogel ist ein Schwein! Unmöglich, aber da liegt es
wirklich. Wir lachen natürlich, aber der Pantoffelmacher
fürchtet sich nun um so mehr. Oder in Raimunds "Alpen¬
könig und Menschenfeind" sieht Herr von Rappelkopf durch
den Alpenkönig, der seine Gestalt mit ihm ausgetauscht hat,
sich selber sprechen, handeln, grollen, toben. Aber nun

mal zum höchſten Glanz empor; mit Neſtroy eilte es ſeinem
Untergang zu. Dieſer Gegenſtand verdiente wohl eine eigene
Abhandlung, die wir hier nicht geben können, wo wir von
der Caricatur nur Abſchied zu nehmen, nur ihre Fortbildung
zum Lächerlichen anzudeuten haben. Wir enthalten uns da¬
her weiterer Ausführung und geben nur ein Paar Züge zu
beſſerem Verſtändniß. In der „Lindane“ ſoll ein furchtſamer
Pantoffelmacher im Reiche der Feen eine Großthat vollbringen.
Das Geſchick hat ihn einmal dazu erleſen, ſo unbequem und
widrig es ihm fällt, einen Helden zu ſpielen. Er muß
durch einen Wald gehen. Seine Furchtſamkeit wird carikirt,
aber wie? Vollkommen phantaſtiſch. Er nimmt ſeinen
Altgeſellen und eine Flinte mit. Als ſie in den Wald kom¬
men, wird er natürlich ſehr bange. Es iſt gar keine be¬
ſtimmte Gefahr vorhanden. Das thut nichts. Der Wald
überhaupt, die Furcht überhaupt ſind Grund genug, etwas
zum Schutz gegen mögliche Gefahren zu unternehmen. Der
Geſelle muß alſo ſchießen. Aber wohin, da ſich nirgends
etwas Verdächtiges zeigt. Er ſchießt auf das Gerathewohl
in die Luft, während der Pantoffelmacher ſich grenzenlos
ängſtet. Und ſiehe da — dies iſt nun das Phantaſtiſche der
Ausführung — es fällt etwas aus der Luft herunter. Man
wagt ſich näher, den Vogel anzuſehen. Der Vogel ſieht
aber gar nicht recht wie ein Vogel aus; er hat vier Füße;
er hat auch gar nicht rechte Federn, ſondern Borſten; genug,
der Vogel iſt ein Schwein! Unmöglich, aber da liegt es
wirklich. Wir lachen natürlich, aber der Pantoffelmacher
fürchtet ſich nun um ſo mehr. Oder in Raimunds „Alpen¬
könig und Menſchenfeind“ ſieht Herr von Rappelkopf durch
den Alpenkönig, der ſeine Geſtalt mit ihm ausgetauſcht hat,
ſich ſelber ſprechen, handeln, grollen, toben. Aber nun

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0449" n="427"/>
mal zum höch&#x017F;ten Glanz empor; mit <hi rendition="#g">Ne&#x017F;troy</hi> eilte es &#x017F;einem<lb/>
Untergang zu. Die&#x017F;er Gegen&#x017F;tand verdiente wohl eine eigene<lb/>
Abhandlung, die wir hier nicht geben können, wo wir von<lb/>
der Caricatur nur Ab&#x017F;chied zu nehmen, nur ihre Fortbildung<lb/>
zum Lächerlichen anzudeuten haben. Wir enthalten uns da¬<lb/>
her weiterer Ausführung und geben nur ein Paar Züge zu<lb/>
be&#x017F;&#x017F;erem Ver&#x017F;tändniß. In der &#x201E;Lindane&#x201C; &#x017F;oll ein furcht&#x017F;amer<lb/>
Pantoffelmacher im Reiche der Feen eine Großthat vollbringen.<lb/>
Das Ge&#x017F;chick hat ihn einmal dazu erle&#x017F;en, &#x017F;o unbequem und<lb/>
widrig es ihm fällt, einen Helden zu &#x017F;pielen. Er muß<lb/>
durch einen Wald gehen. Seine Furcht&#x017F;amkeit wird carikirt,<lb/>
aber wie? Vollkommen phanta&#x017F;ti&#x017F;ch. Er nimmt &#x017F;einen<lb/>
Altge&#x017F;ellen und eine Flinte mit. Als &#x017F;ie in den Wald kom¬<lb/>
men, wird er natürlich &#x017F;ehr bange. Es i&#x017F;t gar keine be¬<lb/>
&#x017F;timmte Gefahr vorhanden. Das thut nichts. Der Wald<lb/>
überhaupt, die Furcht überhaupt &#x017F;ind Grund genug, etwas<lb/>
zum Schutz gegen mögliche Gefahren zu unternehmen. Der<lb/>
Ge&#x017F;elle muß al&#x017F;o &#x017F;chießen. Aber wohin, da &#x017F;ich nirgends<lb/>
etwas Verdächtiges zeigt. Er &#x017F;chießt auf das Gerathewohl<lb/>
in die Luft, während der Pantoffelmacher &#x017F;ich grenzenlos<lb/>
äng&#x017F;tet. Und &#x017F;iehe da &#x2014; dies i&#x017F;t nun das Phanta&#x017F;ti&#x017F;che der<lb/>
Ausführung &#x2014; es fällt etwas aus der Luft herunter. Man<lb/>
wagt &#x017F;ich näher, den Vogel anzu&#x017F;ehen. Der Vogel &#x017F;ieht<lb/>
aber gar nicht recht wie ein Vogel aus; er hat vier Füße;<lb/>
er hat auch gar nicht rechte Federn, &#x017F;ondern Bor&#x017F;ten; genug,<lb/>
der Vogel i&#x017F;t ein Schwein! Unmöglich, aber da liegt es<lb/>
wirklich. Wir lachen natürlich, aber der Pantoffelmacher<lb/>
fürchtet &#x017F;ich nun um &#x017F;o mehr. Oder in Raimunds &#x201E;Alpen¬<lb/>
könig und Men&#x017F;chenfeind&#x201C; &#x017F;ieht Herr von Rappelkopf durch<lb/>
den Alpenkönig, der &#x017F;eine Ge&#x017F;talt mit ihm ausgetau&#x017F;cht hat,<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;prechen, handeln, grollen, toben. Aber nun<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0449] mal zum höchſten Glanz empor; mit Neſtroy eilte es ſeinem Untergang zu. Dieſer Gegenſtand verdiente wohl eine eigene Abhandlung, die wir hier nicht geben können, wo wir von der Caricatur nur Abſchied zu nehmen, nur ihre Fortbildung zum Lächerlichen anzudeuten haben. Wir enthalten uns da¬ her weiterer Ausführung und geben nur ein Paar Züge zu beſſerem Verſtändniß. In der „Lindane“ ſoll ein furchtſamer Pantoffelmacher im Reiche der Feen eine Großthat vollbringen. Das Geſchick hat ihn einmal dazu erleſen, ſo unbequem und widrig es ihm fällt, einen Helden zu ſpielen. Er muß durch einen Wald gehen. Seine Furchtſamkeit wird carikirt, aber wie? Vollkommen phantaſtiſch. Er nimmt ſeinen Altgeſellen und eine Flinte mit. Als ſie in den Wald kom¬ men, wird er natürlich ſehr bange. Es iſt gar keine be¬ ſtimmte Gefahr vorhanden. Das thut nichts. Der Wald überhaupt, die Furcht überhaupt ſind Grund genug, etwas zum Schutz gegen mögliche Gefahren zu unternehmen. Der Geſelle muß alſo ſchießen. Aber wohin, da ſich nirgends etwas Verdächtiges zeigt. Er ſchießt auf das Gerathewohl in die Luft, während der Pantoffelmacher ſich grenzenlos ängſtet. Und ſiehe da — dies iſt nun das Phantaſtiſche der Ausführung — es fällt etwas aus der Luft herunter. Man wagt ſich näher, den Vogel anzuſehen. Der Vogel ſieht aber gar nicht recht wie ein Vogel aus; er hat vier Füße; er hat auch gar nicht rechte Federn, ſondern Borſten; genug, der Vogel iſt ein Schwein! Unmöglich, aber da liegt es wirklich. Wir lachen natürlich, aber der Pantoffelmacher fürchtet ſich nun um ſo mehr. Oder in Raimunds „Alpen¬ könig und Menſchenfeind“ ſieht Herr von Rappelkopf durch den Alpenkönig, der ſeine Geſtalt mit ihm ausgetauſcht hat, ſich ſelber ſprechen, handeln, grollen, toben. Aber nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/449
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/449>, abgerufen am 21.11.2024.