(1) S. 5. Wenn wir es recht bedenken, so wird auch hier, wie in so vielen andern Dingen, Lessing den eigentlichen Anfang gemacht haben, nämlich im Laokoon, wo Capitel XXIII. bis XXV. vom Häßlichen und Ekelhaften handeln. Das Verdienst, den Begriff des Häßlichen als ein organisches Moment der Idee des Schönen mit Bewußtsein in die Wissenschaft eingeführt zu haben, gebührt Chr. H. Weiße in seinem: System der Aesthetik; im ersten Theil, Leipzig 1830, S. 163-207.
(2) S. 5. Weiße hatte jedoch die Unidee des Häßlichen im Wesentlichen zu spiritualistisch gefaßt und diese Einseitigkeit, das mo¬ ralische Moment als die Lüge des Gespenstischen, Bösen, Teuflischen vorzugsweise zu berücksichtigen, ging auch auf seine Nachfolger über. Unter diesen stand Arnold Ruge voran in seiner: Neuen Vorschule der Aesthetik; Halle 1837, S. 88-107. Ruge, ein lebhafter Kopf, voll von mancherlei naiven Anschauungen, die er abzulagern begierig war, aufgeregt durch die ihm neue Lectüre Hegelscher Schriften, war in manchen Exemplificationen glücklich, ließ aber in Ansehung der Klarheit viel zu wünschen über. Er sagt S. 93: "Wenn sich der endliche Geist in seiner Endlichkeit gegen seine Wahrheit, den absoluten Geist, festhält und geltend macht, so wird dieser sich selbst genügen wollende Geist als Erkenntniß die Unwahrheit, als Wille, der sich lossagt und in seiner Endlichkeit nur sich beabsichtigt, das Böse, und beides, wenn es zur Erscheinung kommt, das Häßliche." Die Folge dieser engen Umgrenzung ist bei ihm, daß er, wenn er das Häßliche beschreibt, fast nur an die Hoffmann'sche und Heine'sche Poesie denkt. -- Bohtz: Ueber das Komische und die Komödie, Göt¬ tingen 1844, S. 28-51. hat den Begriff des Häßlichen etwas freier und allgemeiner, aber auch noch als den "verkehrten Geist", als die auf "den Kopf gestellte Schönheit" genommen. -- Kuno Fischer ist gänzlich wieder Ruge und Weiße gefolgt in seiner: Diotima oder
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(1) S. 5. Wenn wir es recht bedenken, ſo wird auch hier, wie in ſo vielen andern Dingen, Leſſing den eigentlichen Anfang gemacht haben, nämlich im Laokoon, wo Capitel XXIII. bis XXV. vom Häßlichen und Ekelhaften handeln. Das Verdienſt, den Begriff des Häßlichen als ein organiſches Moment der Idee des Schönen mit Bewußtſein in die Wiſſenſchaft eingeführt zu haben, gebührt Chr. H. Weiße in ſeinem: Syſtem der Aeſthetik; im erſten Theil, Leipzig 1830, S. 163–207.
(2) S. 5. Weiße hatte jedoch die Unidee des Häßlichen im Weſentlichen zu ſpiritualiſtiſch gefaßt und dieſe Einſeitigkeit, das mo¬ raliſche Moment als die Lüge des Geſpenſtiſchen, Böſen, Teufliſchen vorzugsweiſe zu berückſichtigen, ging auch auf ſeine Nachfolger über. Unter dieſen ſtand Arnold Ruge voran in ſeiner: Neuen Vorſchule der Aeſthetik; Halle 1837, S. 88–107. Ruge, ein lebhafter Kopf, voll von mancherlei naiven Anſchauungen, die er abzulagern begierig war, aufgeregt durch die ihm neue Lectüre Hegelſcher Schriften, war in manchen Exemplificationen glücklich, ließ aber in Anſehung der Klarheit viel zu wünſchen über. Er ſagt S. 93: „Wenn ſich der endliche Geiſt in ſeiner Endlichkeit gegen ſeine Wahrheit, den abſoluten Geiſt, feſthält und geltend macht, ſo wird dieſer ſich ſelbſt genügen wollende Geiſt als Erkenntniß die Unwahrheit, als Wille, der ſich losſagt und in ſeiner Endlichkeit nur ſich beabſichtigt, das Böſe, und beides, wenn es zur Erſcheinung kommt, das Häßliche.“ Die Folge dieſer engen Umgrenzung iſt bei ihm, daß er, wenn er das Häßliche beſchreibt, faſt nur an die Hoffmann'ſche und Heine'ſche Poeſie denkt. — Bohtz: Ueber das Komiſche und die Komödie, Göt¬ tingen 1844, S. 28–51. hat den Begriff des Häßlichen etwas freier und allgemeiner, aber auch noch als den „verkehrten Geiſt“, als die auf „den Kopf geſtellte Schönheit“ genommen. — Kuno Fiſcher iſt gänzlich wieder Ruge und Weiße gefolgt in ſeiner: Diotima oder
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(1) S. 5. Wenn wir es recht bedenken, ſo wird auch hier,
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gemacht haben, nämlich im Laokoon, wo Capitel XXIII. bis XXV.
vom Häßlichen und Ekelhaften handeln. Das Verdienſt, den Begriff
des Häßlichen als ein organiſches Moment der Idee des Schönen mit
Bewußtſein in die Wiſſenſchaft eingeführt zu haben, gebührt Chr.
H. Weiße in ſeinem: Syſtem der Aeſthetik; im erſten Theil, Leipzig
1830, S. 163–207.
(2) S. 5. Weiße hatte jedoch die Unidee des Häßlichen im
Weſentlichen zu ſpiritualiſtiſch gefaßt und dieſe Einſeitigkeit, das mo¬
raliſche Moment als die Lüge des Geſpenſtiſchen, Böſen, Teufliſchen
vorzugsweiſe zu berückſichtigen, ging auch auf ſeine Nachfolger über.
Unter dieſen ſtand Arnold Ruge voran in ſeiner: Neuen Vorſchule
der Aeſthetik; Halle 1837, S. 88–107. Ruge, ein lebhafter Kopf,
voll von mancherlei naiven Anſchauungen, die er abzulagern begierig
war, aufgeregt durch die ihm neue Lectüre Hegelſcher Schriften, war
in manchen Exemplificationen glücklich, ließ aber in Anſehung der
Klarheit viel zu wünſchen über. Er ſagt S. 93: „Wenn ſich der
endliche Geiſt in ſeiner Endlichkeit gegen ſeine Wahrheit, den abſoluten
Geiſt, feſthält und geltend macht, ſo wird dieſer ſich ſelbſt genügen
wollende Geiſt als Erkenntniß die Unwahrheit, als Wille, der ſich
losſagt und in ſeiner Endlichkeit nur ſich beabſichtigt, das Böſe,
und beides, wenn es zur Erſcheinung kommt, das Häßliche.“
Die Folge dieſer engen Umgrenzung iſt bei ihm, daß er, wenn er
das Häßliche beſchreibt, faſt nur an die Hoffmann'ſche und Heine'ſche
Poeſie denkt. — Bohtz: Ueber das Komiſche und die Komödie, Göt¬
tingen 1844, S. 28–51. hat den Begriff des Häßlichen etwas freier
und allgemeiner, aber auch noch als den „verkehrten Geiſt“, als die
auf „den Kopf geſtellte Schönheit“ genommen. — Kuno Fiſcher
iſt gänzlich wieder Ruge und Weiße gefolgt in ſeiner: Diotima oder
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. [435]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/457>, abgerufen am 21.11.2024.
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