Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.Achte Betr. Die hohe Würde eingebildeter Ehrenkränkungen einander anfeinden,betrüben und verfolgen wollt? Brüder seyd ihr, ihr Vornehmen, Reiche, Kluge und Weise der Erden -- ihr mögt es wißen wollen oder nicht -- Brüder seyd ihr der Niedrigen, Armen und Ein- fältigen, über die ihr euch so stolz erhebet; und was ihr auch von wahren Vorzügen besitzet, das habt ihr nicht euch selbst, sondern euren Schöpfer zu danken, der euch aus freyer Gnade in solche und keine andere Umstände gesetzt hat. Sehet hier einen Menschen, der unendliche, in ganz eigentli- chen Verstand unendliche Vorzüge vor allen den Menschen hat, die iemahls gelebet haben, noch leben, und ins Künftige leben werden -- den Je- sum mit dem die göttliche Natur des Sohnes Got- tes sich persönlich vereiniget hat -- den Gottmen- schen, der in göttlicher Pracht und Herrlichkeit hätte erscheinen können. Welche großmüthige Her- ablaßung! Welche unbegreifliche Liebe und Erbar- mung! Nicht in göttlicher Pracht, nicht in dem Glanze, darinnen Gott zu erscheinen pflegte, er- schien er unter den Menschen. Er äußerte sich selbst, das ist, er begab sich um-
Achte Betr. Die hohe Würde eingebildeter Ehrenkränkungen einander anfeinden,betrüben und verfolgen wollt? Brüder ſeyd ihr, ihr Vornehmen, Reiche, Kluge und Weiſe der Erden — ihr mögt es wißen wollen oder nicht — Brüder ſeyd ihr der Niedrigen, Armen und Ein- fältigen, über die ihr euch ſo ſtolz erhebet; und was ihr auch von wahren Vorzügen beſitzet, das habt ihr nicht euch ſelbſt, ſondern euren Schöpfer zu danken, der euch aus freyer Gnade in ſolche und keine andere Umſtände geſetzt hat. Sehet hier einen Menſchen, der unendliche, in ganz eigentli- chen Verſtand unendliche Vorzüge vor allen den Menſchen hat, die iemahls gelebet haben, noch leben, und ins Künftige leben werden — den Je- ſum mit dem die göttliche Natur des Sohnes Got- tes ſich perſönlich vereiniget hat — den Gottmen- ſchen, der in göttlicher Pracht und Herrlichkeit hätte erſcheinen können. Welche großmüthige Her- ablaßung! Welche unbegreifliche Liebe und Erbar- mung! Nicht in göttlicher Pracht, nicht in dem Glanze, darinnen Gott zu erſcheinen pflegte, er- ſchien er unter den Menſchen. Er äußerte ſich ſelbſt, das iſt, er begab ſich um-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="106"/><fw place="top" type="header">Achte Betr. Die hohe Würde</fw><lb/> eingebildeter Ehrenkränkungen einander anfeinden,<lb/> betrüben und verfolgen wollt? Brüder ſeyd ihr,<lb/> ihr Vornehmen, Reiche, Kluge und Weiſe der<lb/> Erden — ihr mögt es wißen wollen oder nicht —<lb/> Brüder ſeyd ihr der Niedrigen, Armen und Ein-<lb/> fältigen, über die ihr euch ſo ſtolz erhebet; und<lb/> was ihr auch von wahren Vorzügen beſitzet, das<lb/> habt ihr nicht euch ſelbſt, ſondern euren Schöpfer<lb/> zu danken, der euch aus freyer Gnade in ſolche<lb/> und keine andere Umſtände geſetzt hat. Sehet hier<lb/> einen Menſchen, der unendliche, in ganz eigentli-<lb/> chen Verſtand <hi rendition="#fr">unendliche</hi> Vorzüge vor allen den<lb/> Menſchen hat, die iemahls gelebet haben, noch<lb/> leben, und ins Künftige leben werden — den Je-<lb/> ſum mit dem die göttliche Natur des Sohnes Got-<lb/> tes ſich perſönlich vereiniget hat — den Gottmen-<lb/> ſchen, der in göttlicher Pracht und Herrlichkeit<lb/> hätte erſcheinen können. Welche großmüthige Her-<lb/> ablaßung! Welche unbegreifliche Liebe und Erbar-<lb/> mung! Nicht in göttlicher Pracht, nicht in dem<lb/> Glanze, darinnen Gott zu erſcheinen pflegte, er-<lb/> ſchien er unter den Menſchen.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Er äußerte ſich ſelbſt,</hi> das iſt, er begab ſich<lb/> freywillig ſeines herrlichen Anſehens, <hi rendition="#fr">und nahm<lb/> Knechtsgeſtalt an.</hi> Die allermeiſten Menſchen in<lb/> der Welt wollen mehr ſcheinen, als ſie wirklich ſind,<lb/> und Er, der Hohe und Erhabene, der Herr der<lb/> Welt begab ſich freywillig in ſolche Umſtände, da<lb/> er vor den Augen der Menſchen unendlich weniger<lb/> zu ſeyn ſchien, als er wirklich war. Wer ihn ſa-<lb/> he, ſo wie er in den Tagen ſeines irdiſchen Lebens<lb/> unter Menſchen lebte, wie er im Jüdiſchen Lande<lb/> <fw place="bottom" type="catch">um-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [106/0118]
Achte Betr. Die hohe Würde
eingebildeter Ehrenkränkungen einander anfeinden,
betrüben und verfolgen wollt? Brüder ſeyd ihr,
ihr Vornehmen, Reiche, Kluge und Weiſe der
Erden — ihr mögt es wißen wollen oder nicht —
Brüder ſeyd ihr der Niedrigen, Armen und Ein-
fältigen, über die ihr euch ſo ſtolz erhebet; und
was ihr auch von wahren Vorzügen beſitzet, das
habt ihr nicht euch ſelbſt, ſondern euren Schöpfer
zu danken, der euch aus freyer Gnade in ſolche
und keine andere Umſtände geſetzt hat. Sehet hier
einen Menſchen, der unendliche, in ganz eigentli-
chen Verſtand unendliche Vorzüge vor allen den
Menſchen hat, die iemahls gelebet haben, noch
leben, und ins Künftige leben werden — den Je-
ſum mit dem die göttliche Natur des Sohnes Got-
tes ſich perſönlich vereiniget hat — den Gottmen-
ſchen, der in göttlicher Pracht und Herrlichkeit
hätte erſcheinen können. Welche großmüthige Her-
ablaßung! Welche unbegreifliche Liebe und Erbar-
mung! Nicht in göttlicher Pracht, nicht in dem
Glanze, darinnen Gott zu erſcheinen pflegte, er-
ſchien er unter den Menſchen.
Er äußerte ſich ſelbſt, das iſt, er begab ſich
freywillig ſeines herrlichen Anſehens, und nahm
Knechtsgeſtalt an. Die allermeiſten Menſchen in
der Welt wollen mehr ſcheinen, als ſie wirklich ſind,
und Er, der Hohe und Erhabene, der Herr der
Welt begab ſich freywillig in ſolche Umſtände, da
er vor den Augen der Menſchen unendlich weniger
zu ſeyn ſchien, als er wirklich war. Wer ihn ſa-
he, ſo wie er in den Tagen ſeines irdiſchen Lebens
unter Menſchen lebte, wie er im Jüdiſchen Lande
um-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |