Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Eilfte Betr. Von der wahren Liebe

Daß Gott unsere höchste Liebe und Hochschätzung
verdiene, wird ein ieder eingestehen, der
einen Gott glaubt, und von seinen Werken und
Eigenschaften einige Erkenntnis hat. Es ist un-
natürlich das was vortreflich ist, und was man
selbst für vortreflich halten muß, gering zu schä-
tzen; es ist niederträchtig und schändlich, die grö-
sten Wohlthäter zu verachten, oder gleichgültig
gegen sie zu seyn. Das sagt einem ieden nicht
ganz rohen und fühllosen Menschen seine eigene
Empfindung. Was kann aber vortreflichers, voll-
kommners, erhabeners gedacht werden als Gott?
Alles was wir von Macht, Verstand, Weisheit,
Tugend, Großmuth, Mitleiden, Wohlthätigkeit
und Größe unter Menschen finden und bewundern
können, ist nur Schatte gegen die unaussprechli-
che Größe und Vollkommenheit Gottes. Alle
Schönheiten in der Natur, alles was nur unsere
Augen und Ohren ergötzen, und unser Herz er-
freuen kan, das hat seinen Ursprung von ihm.
Wem haben wir es zu danken, daß Speisen und
Getränke von so mannigfaltiger Art, so viel tau-
sendmahl unsern Geschmack ergötzt, und unsere
leiblichen Kräfte gestärkt haben? Wer hat unsere
Natur so eingerichtet, daß wir die süßen Freuden
der Freundschaft und des geselligen Umgangs em-
pfinden, daß wir unsern Geist mit allerhand nützli-
chen Kenntnißen bereichern, daß wir uns mit un-
sern Gedanken bis zu ihm, unserm Schöpfer hin-
aufschwingen, und solche edle Vergnügungen ge-
nießen können, gegen welche alle Wollust der Sin-
ne für nichts zu achten ist? Von so viel tausend

ange-
Eilfte Betr. Von der wahren Liebe

Daß Gott unſere höchſte Liebe und Hochſchätzung
verdiene, wird ein ieder eingeſtehen, der
einen Gott glaubt, und von ſeinen Werken und
Eigenſchaften einige Erkenntnis hat. Es iſt un-
natürlich das was vortreflich iſt, und was man
ſelbſt für vortreflich halten muß, gering zu ſchä-
tzen; es iſt niederträchtig und ſchändlich, die grö-
ſten Wohlthäter zu verachten, oder gleichgültig
gegen ſie zu ſeyn. Das ſagt einem ieden nicht
ganz rohen und fühlloſen Menſchen ſeine eigene
Empfindung. Was kann aber vortreflichers, voll-
kommners, erhabeners gedacht werden als Gott?
Alles was wir von Macht, Verſtand, Weisheit,
Tugend, Großmuth, Mitleiden, Wohlthätigkeit
und Größe unter Menſchen finden und bewundern
können, iſt nur Schatte gegen die unausſprechli-
che Größe und Vollkommenheit Gottes. Alle
Schönheiten in der Natur, alles was nur unſere
Augen und Ohren ergötzen, und unſer Herz er-
freuen kan, das hat ſeinen Urſprung von ihm.
Wem haben wir es zu danken, daß Speiſen und
Getränke von ſo mannigfaltiger Art, ſo viel tau-
ſendmahl unſern Geſchmack ergötzt, und unſere
leiblichen Kräfte geſtärkt haben? Wer hat unſere
Natur ſo eingerichtet, daß wir die ſüßen Freuden
der Freundſchaft und des geſelligen Umgangs em-
pfinden, daß wir unſern Geiſt mit allerhand nützli-
chen Kenntnißen bereichern, daß wir uns mit un-
ſern Gedanken bis zu ihm, unſerm Schöpfer hin-
aufſchwingen, und ſolche edle Vergnügungen ge-
nießen können, gegen welche alle Wolluſt der Sin-
ne für nichts zu achten iſt? Von ſo viel tauſend

ange-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0168" n="156"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Eilfte Betr. Von der wahren Liebe</hi> </fw><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>aß Gott un&#x017F;ere höch&#x017F;te Liebe und Hoch&#x017F;chätzung<lb/>
verdiene, wird ein ieder einge&#x017F;tehen, der<lb/>
einen Gott glaubt, und von &#x017F;einen Werken und<lb/>
Eigen&#x017F;chaften einige Erkenntnis hat. Es i&#x017F;t un-<lb/>
natürlich das was vortreflich i&#x017F;t, und was man<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t für vortreflich halten muß, gering zu &#x017F;chä-<lb/>
tzen; es i&#x017F;t niederträchtig und &#x017F;chändlich, die grö-<lb/>
&#x017F;ten Wohlthäter zu verachten, oder gleichgültig<lb/>
gegen &#x017F;ie zu &#x017F;eyn. Das &#x017F;agt einem ieden nicht<lb/>
ganz rohen und fühllo&#x017F;en Men&#x017F;chen &#x017F;eine eigene<lb/>
Empfindung. Was kann aber vortreflichers, voll-<lb/>
kommners, erhabeners gedacht werden als Gott?<lb/>
Alles was wir von Macht, Ver&#x017F;tand, Weisheit,<lb/>
Tugend, Großmuth, Mitleiden, Wohlthätigkeit<lb/>
und Größe unter Men&#x017F;chen finden und bewundern<lb/>
können, i&#x017F;t nur Schatte gegen die unaus&#x017F;prechli-<lb/>
che Größe und Vollkommenheit Gottes. Alle<lb/>
Schönheiten in der Natur, alles was nur un&#x017F;ere<lb/>
Augen und Ohren ergötzen, und un&#x017F;er Herz er-<lb/>
freuen kan, das hat &#x017F;einen Ur&#x017F;prung von ihm.<lb/>
Wem haben wir es zu danken, daß Spei&#x017F;en und<lb/>
Getränke von &#x017F;o mannigfaltiger Art, &#x017F;o viel tau-<lb/>
&#x017F;endmahl un&#x017F;ern Ge&#x017F;chmack ergötzt, und un&#x017F;ere<lb/>
leiblichen Kräfte ge&#x017F;tärkt haben? Wer hat un&#x017F;ere<lb/>
Natur &#x017F;o eingerichtet, daß wir die &#x017F;üßen Freuden<lb/>
der Freund&#x017F;chaft und des ge&#x017F;elligen Umgangs em-<lb/>
pfinden, daß wir un&#x017F;ern Gei&#x017F;t mit allerhand nützli-<lb/>
chen Kenntnißen bereichern, daß wir uns mit un-<lb/>
&#x017F;ern Gedanken bis zu ihm, un&#x017F;erm Schöpfer hin-<lb/>
auf&#x017F;chwingen, und &#x017F;olche edle Vergnügungen ge-<lb/>
nießen können, gegen welche alle Wollu&#x017F;t der Sin-<lb/>
ne für nichts zu achten i&#x017F;t? Von &#x017F;o viel tau&#x017F;end<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ange-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0168] Eilfte Betr. Von der wahren Liebe Daß Gott unſere höchſte Liebe und Hochſchätzung verdiene, wird ein ieder eingeſtehen, der einen Gott glaubt, und von ſeinen Werken und Eigenſchaften einige Erkenntnis hat. Es iſt un- natürlich das was vortreflich iſt, und was man ſelbſt für vortreflich halten muß, gering zu ſchä- tzen; es iſt niederträchtig und ſchändlich, die grö- ſten Wohlthäter zu verachten, oder gleichgültig gegen ſie zu ſeyn. Das ſagt einem ieden nicht ganz rohen und fühlloſen Menſchen ſeine eigene Empfindung. Was kann aber vortreflichers, voll- kommners, erhabeners gedacht werden als Gott? Alles was wir von Macht, Verſtand, Weisheit, Tugend, Großmuth, Mitleiden, Wohlthätigkeit und Größe unter Menſchen finden und bewundern können, iſt nur Schatte gegen die unausſprechli- che Größe und Vollkommenheit Gottes. Alle Schönheiten in der Natur, alles was nur unſere Augen und Ohren ergötzen, und unſer Herz er- freuen kan, das hat ſeinen Urſprung von ihm. Wem haben wir es zu danken, daß Speiſen und Getränke von ſo mannigfaltiger Art, ſo viel tau- ſendmahl unſern Geſchmack ergötzt, und unſere leiblichen Kräfte geſtärkt haben? Wer hat unſere Natur ſo eingerichtet, daß wir die ſüßen Freuden der Freundſchaft und des geſelligen Umgangs em- pfinden, daß wir unſern Geiſt mit allerhand nützli- chen Kenntnißen bereichern, daß wir uns mit un- ſern Gedanken bis zu ihm, unſerm Schöpfer hin- aufſchwingen, und ſolche edle Vergnügungen ge- nießen können, gegen welche alle Wolluſt der Sin- ne für nichts zu achten iſt? Von ſo viel tauſend ange-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/168
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/168>, abgerufen am 24.11.2024.