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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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Dreyzehnte Betr. Von der Liebe
Hand noch Fuß regen? Das heist nicht den Neben-
menschen lieben, wenn man nur auf seine eigene
Ehre, Vortheil und Nutzen bedacht ist. Wenn
du dich nicht entschließen kannst, auch alsdann das
Wohl deines Nächsten zu befördern, wenn es mit
deiner Ungemächlichkeit, oder mit einigem Nach-
theil deines Vermögens verbunden ist, wie kanst
du denn sagen, daß Christi Geist und Sinn in dir
sey? Dieser opferte alle Bequemlichkeiten und so
gar sein Leben auf, dich zu retten; und du willt
nicht einmahl eine Kleinigkeit zum Besten deines
Nebenmenschen aufopfern? willt lieber deinen hülfs-
bedürftigen Bruder im Elende verderben laßen, als
einen geringen Aufwand von deinem Vermögen
machen, oder eine kleine Mühe, die dir nicht gleich
vergolten wird, auf dich nehmen? Und bey dem
allen wolltest du dennoch Anspruch auf den Nahmen
eines guten Christen machen?

Sie laßet sich nicht erbittern, wird nicht
leicht aufgebracht. Es giebt Leute von einer so
argwöhnischen und hitzigen Gemüthsart, daß sie
durch ein iedes Wort leicht aufgebracht werden,
und alles für Beleidigung ansehen, was nicht nach
ihrem Wunsch und Sinn ist, wenn auch kein
Mensch die Absicht gehabt hat, sie zu beleidigen.
Etwas ist nun wohl gemeiniglich auf Rechnung des
Temperaments zu schreiben. Aber ein Christ muß
auch seine bösen Temperamentsneigungen zu bekäm-
pfen suchen, und ihnen wenigstens durch göttlichen
Beystand die Herrschaft benehmen. Wer durch
wirkliche oder eingebildete Beleidigungen sogleich
aufgebracht wird, der beweiset eben hiemit, daß

er

Dreyzehnte Betr. Von der Liebe
Hand noch Fuß regen? Das heiſt nicht den Neben-
menſchen lieben, wenn man nur auf ſeine eigene
Ehre, Vortheil und Nutzen bedacht iſt. Wenn
du dich nicht entſchließen kannſt, auch alsdann das
Wohl deines Nächſten zu befördern, wenn es mit
deiner Ungemächlichkeit, oder mit einigem Nach-
theil deines Vermögens verbunden iſt, wie kanſt
du denn ſagen, daß Chriſti Geiſt und Sinn in dir
ſey? Dieſer opferte alle Bequemlichkeiten und ſo
gar ſein Leben auf, dich zu retten; und du willt
nicht einmahl eine Kleinigkeit zum Beſten deines
Nebenmenſchen aufopfern? willt lieber deinen hülfs-
bedürftigen Bruder im Elende verderben laßen, als
einen geringen Aufwand von deinem Vermögen
machen, oder eine kleine Mühe, die dir nicht gleich
vergolten wird, auf dich nehmen? Und bey dem
allen wollteſt du dennoch Anſpruch auf den Nahmen
eines guten Chriſten machen?

Sie laßet ſich nicht erbittern, wird nicht
leicht aufgebracht. Es giebt Leute von einer ſo
argwöhniſchen und hitzigen Gemüthsart, daß ſie
durch ein iedes Wort leicht aufgebracht werden,
und alles für Beleidigung anſehen, was nicht nach
ihrem Wunſch und Sinn iſt, wenn auch kein
Menſch die Abſicht gehabt hat, ſie zu beleidigen.
Etwas iſt nun wohl gemeiniglich auf Rechnung des
Temperaments zu ſchreiben. Aber ein Chriſt muß
auch ſeine böſen Temperamentsneigungen zu bekäm-
pfen ſuchen, und ihnen wenigſtens durch göttlichen
Beyſtand die Herrſchaft benehmen. Wer durch
wirkliche oder eingebildete Beleidigungen ſogleich
aufgebracht wird, der beweiſet eben hiemit, daß

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[200/0212] Dreyzehnte Betr. Von der Liebe Hand noch Fuß regen? Das heiſt nicht den Neben- menſchen lieben, wenn man nur auf ſeine eigene Ehre, Vortheil und Nutzen bedacht iſt. Wenn du dich nicht entſchließen kannſt, auch alsdann das Wohl deines Nächſten zu befördern, wenn es mit deiner Ungemächlichkeit, oder mit einigem Nach- theil deines Vermögens verbunden iſt, wie kanſt du denn ſagen, daß Chriſti Geiſt und Sinn in dir ſey? Dieſer opferte alle Bequemlichkeiten und ſo gar ſein Leben auf, dich zu retten; und du willt nicht einmahl eine Kleinigkeit zum Beſten deines Nebenmenſchen aufopfern? willt lieber deinen hülfs- bedürftigen Bruder im Elende verderben laßen, als einen geringen Aufwand von deinem Vermögen machen, oder eine kleine Mühe, die dir nicht gleich vergolten wird, auf dich nehmen? Und bey dem allen wollteſt du dennoch Anſpruch auf den Nahmen eines guten Chriſten machen? Sie laßet ſich nicht erbittern, wird nicht leicht aufgebracht. Es giebt Leute von einer ſo argwöhniſchen und hitzigen Gemüthsart, daß ſie durch ein iedes Wort leicht aufgebracht werden, und alles für Beleidigung anſehen, was nicht nach ihrem Wunſch und Sinn iſt, wenn auch kein Menſch die Abſicht gehabt hat, ſie zu beleidigen. Etwas iſt nun wohl gemeiniglich auf Rechnung des Temperaments zu ſchreiben. Aber ein Chriſt muß auch ſeine böſen Temperamentsneigungen zu bekäm- pfen ſuchen, und ihnen wenigſtens durch göttlichen Beyſtand die Herrſchaft benehmen. Wer durch wirkliche oder eingebildete Beleidigungen ſogleich aufgebracht wird, der beweiſet eben hiemit, daß er

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/212>, abgerufen am 28.11.2024.