Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.
Beherrschung uns. sündl. Begierden. der ihn beständig in seinem Innern nagt; und solange dieser nicht weggeschaft wird, genießt er nichts mit frohem Gemüthe. Es schlägt ihm eine Hofnung fehl; es gelingt ihm nicht, eine gewiße Absicht zu erreichen, die er sich einmahl zu errei- chen vorgesetzt hat: dieß erfüllet sein Herz mit lau- ter Verdruß und Unmuth: und obgleich das, was er wünschte, zu seiner wesentlichen Glückseeligkeit völlig entbehrlich ist, so zürnt er doch schon deß- wegen mit Gott und Menschen, weil sein Eigen- sinn nicht befriediget worden ist. Und nun sind alle die Güter und äußerlichen Vorzüge, die er wirklich besitzet, nichts in seinen Augen. Er ist bey allen seinen Reichthümern und Ehrenstellen weit elender als der Bettler, weil er doch keine ruhige und vergnügte Stunde hat. Solchen Unruhen und Quaalen sind nicht nur Große und Mächtige ausgesetzt, sondern es ist diese Krankheit unter alle Stände verbreitet. Der Eigensinnige und Stol- ze findet ieden Tag Stof zum Mißvergnügen; kan aus der geringsten Sache etwas großes machen, und wegen der unerheblichsten Kleinigkeit eine Zwietracht erregen, die bis zu tödlichen Beleidi- gungen fortschreitet. Das sind nun lauter solche Uebel, die sich die Menschen selbst machen, aber solche Uebel, die weit empfindlicher und zahlreicher sind, als alles was uns von unvermeidlichen Zu- fällen dieses Lebens begegnet. Die mehresten Men- schen in allen Ständen könnten glücklich und zu- frieden seyn; aber sie selbst bringen sich um alles vernünftige Vergnügen, wozu ihnen Gott so viele Fähigkeiten verliehen hat. Wie wahr ist demnach schon O 3
Beherrſchung unſ. ſündl. Begierden. der ihn beſtändig in ſeinem Innern nagt; und ſolange dieſer nicht weggeſchaft wird, genießt er nichts mit frohem Gemüthe. Es ſchlägt ihm eine Hofnung fehl; es gelingt ihm nicht, eine gewiße Abſicht zu erreichen, die er ſich einmahl zu errei- chen vorgeſetzt hat: dieß erfüllet ſein Herz mit lau- ter Verdruß und Unmuth: und obgleich das, was er wünſchte, zu ſeiner weſentlichen Glückſeeligkeit völlig entbehrlich iſt, ſo zürnt er doch ſchon deß- wegen mit Gott und Menſchen, weil ſein Eigen- ſinn nicht befriediget worden iſt. Und nun ſind alle die Güter und äußerlichen Vorzüge, die er wirklich beſitzet, nichts in ſeinen Augen. Er iſt bey allen ſeinen Reichthümern und Ehrenſtellen weit elender als der Bettler, weil er doch keine ruhige und vergnügte Stunde hat. Solchen Unruhen und Quaalen ſind nicht nur Große und Mächtige ausgeſetzt, ſondern es iſt dieſe Krankheit unter alle Stände verbreitet. Der Eigenſinnige und Stol- ze findet ieden Tag Stof zum Mißvergnügen; kan aus der geringſten Sache etwas großes machen, und wegen der unerheblichſten Kleinigkeit eine Zwietracht erregen, die bis zu tödlichen Beleidi- gungen fortſchreitet. Das ſind nun lauter ſolche Uebel, die ſich die Menſchen ſelbſt machen, aber ſolche Uebel, die weit empfindlicher und zahlreicher ſind, als alles was uns von unvermeidlichen Zu- fällen dieſes Lebens begegnet. Die mehreſten Men- ſchen in allen Ständen könnten glücklich und zu- frieden ſeyn; aber ſie ſelbſt bringen ſich um alles vernünftige Vergnügen, wozu ihnen Gott ſo viele Fähigkeiten verliehen hat. Wie wahr iſt demnach ſchon O 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Beherrſchung unſ. ſündl. Begierden.</hi></fw><lb/> der ihn beſtändig in ſeinem Innern nagt; und ſo<lb/> lange dieſer nicht weggeſchaft wird, genießt er<lb/> nichts mit frohem Gemüthe. Es ſchlägt ihm eine<lb/> Hofnung fehl; es gelingt ihm nicht, eine gewiße<lb/> Abſicht zu erreichen, die er ſich einmahl zu errei-<lb/> chen vorgeſetzt hat: dieß erfüllet ſein Herz mit lau-<lb/> ter Verdruß und Unmuth: und obgleich das, was<lb/> er wünſchte, zu ſeiner weſentlichen Glückſeeligkeit<lb/> völlig entbehrlich iſt, ſo zürnt er doch ſchon deß-<lb/> wegen mit Gott und Menſchen, weil ſein Eigen-<lb/> ſinn nicht befriediget worden iſt. Und nun ſind<lb/> alle die Güter und äußerlichen Vorzüge, die er<lb/> wirklich beſitzet, nichts in ſeinen Augen. Er iſt<lb/> bey allen ſeinen Reichthümern und Ehrenſtellen weit<lb/> elender als der Bettler, weil er doch keine ruhige<lb/> und vergnügte Stunde hat. Solchen Unruhen<lb/> und Quaalen ſind nicht nur Große und Mächtige<lb/> ausgeſetzt, ſondern es iſt dieſe Krankheit unter alle<lb/> Stände verbreitet. Der Eigenſinnige und Stol-<lb/> ze findet ieden Tag Stof zum Mißvergnügen; kan<lb/> aus der geringſten Sache etwas großes machen,<lb/> und wegen der unerheblichſten Kleinigkeit eine<lb/> Zwietracht erregen, die bis zu tödlichen Beleidi-<lb/> gungen fortſchreitet. Das ſind nun lauter ſolche<lb/> Uebel, die ſich die Menſchen ſelbſt machen, aber<lb/> ſolche Uebel, die weit empfindlicher und zahlreicher<lb/> ſind, als alles was uns von unvermeidlichen Zu-<lb/> fällen dieſes Lebens begegnet. Die mehreſten Men-<lb/> ſchen in allen Ständen <hi rendition="#fr">könnten</hi> glücklich und zu-<lb/> frieden ſeyn; aber ſie ſelbſt bringen ſich um alles<lb/> vernünftige Vergnügen, wozu ihnen Gott ſo viele<lb/> Fähigkeiten verliehen hat. Wie wahr iſt demnach<lb/> <fw place="bottom" type="sig">O 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ſchon</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [213/0225]
Beherrſchung unſ. ſündl. Begierden.
der ihn beſtändig in ſeinem Innern nagt; und ſo
lange dieſer nicht weggeſchaft wird, genießt er
nichts mit frohem Gemüthe. Es ſchlägt ihm eine
Hofnung fehl; es gelingt ihm nicht, eine gewiße
Abſicht zu erreichen, die er ſich einmahl zu errei-
chen vorgeſetzt hat: dieß erfüllet ſein Herz mit lau-
ter Verdruß und Unmuth: und obgleich das, was
er wünſchte, zu ſeiner weſentlichen Glückſeeligkeit
völlig entbehrlich iſt, ſo zürnt er doch ſchon deß-
wegen mit Gott und Menſchen, weil ſein Eigen-
ſinn nicht befriediget worden iſt. Und nun ſind
alle die Güter und äußerlichen Vorzüge, die er
wirklich beſitzet, nichts in ſeinen Augen. Er iſt
bey allen ſeinen Reichthümern und Ehrenſtellen weit
elender als der Bettler, weil er doch keine ruhige
und vergnügte Stunde hat. Solchen Unruhen
und Quaalen ſind nicht nur Große und Mächtige
ausgeſetzt, ſondern es iſt dieſe Krankheit unter alle
Stände verbreitet. Der Eigenſinnige und Stol-
ze findet ieden Tag Stof zum Mißvergnügen; kan
aus der geringſten Sache etwas großes machen,
und wegen der unerheblichſten Kleinigkeit eine
Zwietracht erregen, die bis zu tödlichen Beleidi-
gungen fortſchreitet. Das ſind nun lauter ſolche
Uebel, die ſich die Menſchen ſelbſt machen, aber
ſolche Uebel, die weit empfindlicher und zahlreicher
ſind, als alles was uns von unvermeidlichen Zu-
fällen dieſes Lebens begegnet. Die mehreſten Men-
ſchen in allen Ständen könnten glücklich und zu-
frieden ſeyn; aber ſie ſelbſt bringen ſich um alles
vernünftige Vergnügen, wozu ihnen Gott ſo viele
Fähigkeiten verliehen hat. Wie wahr iſt demnach
ſchon
O 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/225 |
| Zitationshilfe: | Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/225>, abgerufen am 04.12.2024. |
