Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
setzt, daß wahre Christen hinreichendes Vermögen
haben, ihre sündlichen Begierden zu beherrschen.
An sich selbst ist dieses gewiß keine leichte Sache.
Der Apostel selbst gebraucht bisweilen Ausdrücke,
mit welchen er deutlich zu verstehen giebt, daß es
den Christen Mühe koste, ihren bösen Lüsten zu wi-
derstehen. Das Fleisch gelüstet wider den Geist,
und der Geist wider das Fleisch -- Welche
aber Christo angehören, die kreutzigen ihr
Fleisch sammt den Lüsten und Begierden.

Gal. 5, 17. 24. Hiermit wird allerdings zuge-
geben, daß der Streit, welchen Christen mit sich
selbst führen, indem sie ihren Lieblingsneigungen
die Stärke zu benehmen suchen, ihnen die schmerz-
haftesten Empfindungen verursache, beynahe eben
so vielen Schmerzen als ein Gekreutzigter empfindet.
Solche Schwierigkeiten finden sich absonderlich im An-
fange des Christenthums, wenn man noch keine Fer-
tigkeit in der Ausübung des Guten erlangt hat.
Wenn ein Mensch bisher gewohnt war, seinen
Neigungen blindlings zu gehorchen, und er soll
nun auf einmahl sich dasienige versagen, was ihm
bisher angenehm war, und seinen Sinnen schmei-
chelt wird sich denn da sein Herz nicht empören?
Die Erfahrung lehrt, wie schwer es uns ankommt,
auch nur in Kleinigkeiten von einer Gewohnheit ab-
zulaßen, die wir nach und nach angenommen ha-
ben. Weit schwerer wird es seyn, solche Gewohn-
heiten abzulegen, die so vest in unsern Seelen ein-
gewurzelt sind, als die Neigungen aus welchen sie
entspringen? Aber was uns im Anfange schwer
war, das wird uns nach und nach immer leichter

wer-

Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
ſetzt, daß wahre Chriſten hinreichendes Vermögen
haben, ihre ſündlichen Begierden zu beherrſchen.
An ſich ſelbſt iſt dieſes gewiß keine leichte Sache.
Der Apoſtel ſelbſt gebraucht bisweilen Ausdrücke,
mit welchen er deutlich zu verſtehen giebt, daß es
den Chriſten Mühe koſte, ihren böſen Lüſten zu wi-
derſtehen. Das Fleiſch gelüſtet wider den Geiſt,
und der Geiſt wider das Fleiſch — Welche
aber Chriſto angehören, die kreutzigen ihr
Fleiſch ſammt den Lüſten und Begierden.

Gal. 5, 17. 24. Hiermit wird allerdings zuge-
geben, daß der Streit, welchen Chriſten mit ſich
ſelbſt führen, indem ſie ihren Lieblingsneigungen
die Stärke zu benehmen ſuchen, ihnen die ſchmerz-
hafteſten Empfindungen verurſache, beynahe eben
ſo vielen Schmerzen als ein Gekreutzigter empfindet.
Solche Schwierigkeiten finden ſich abſonderlich im An-
fange des Chriſtenthums, wenn man noch keine Fer-
tigkeit in der Ausübung des Guten erlangt hat.
Wenn ein Menſch bisher gewohnt war, ſeinen
Neigungen blindlings zu gehorchen, und er ſoll
nun auf einmahl ſich dasienige verſagen, was ihm
bisher angenehm war, und ſeinen Sinnen ſchmei-
chelt wird ſich denn da ſein Herz nicht empören?
Die Erfahrung lehrt, wie ſchwer es uns ankommt,
auch nur in Kleinigkeiten von einer Gewohnheit ab-
zulaßen, die wir nach und nach angenommen ha-
ben. Weit ſchwerer wird es ſeyn, ſolche Gewohn-
heiten abzulegen, die ſo veſt in unſern Seelen ein-
gewurzelt ſind, als die Neigungen aus welchen ſie
entſpringen? Aber was uns im Anfange ſchwer
war, das wird uns nach und nach immer leichter

wer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vierzehnte Betr. Von der nothwend.</hi></fw><lb/>
&#x017F;etzt, daß wahre Chri&#x017F;ten hinreichendes Vermögen<lb/>
haben, ihre &#x017F;ündlichen Begierden zu beherr&#x017F;chen.<lb/>
An &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t die&#x017F;es gewiß keine leichte Sache.<lb/>
Der Apo&#x017F;tel &#x017F;elb&#x017F;t gebraucht bisweilen Ausdrücke,<lb/>
mit welchen er deutlich zu ver&#x017F;tehen giebt, daß es<lb/>
den Chri&#x017F;ten Mühe ko&#x017F;te, ihren bö&#x017F;en Lü&#x017F;ten zu wi-<lb/>
der&#x017F;tehen. <hi rendition="#fr">Das Flei&#x017F;ch gelü&#x017F;tet wider den Gei&#x017F;t,<lb/>
und der Gei&#x017F;t wider das Flei&#x017F;ch &#x2014; Welche<lb/>
aber Chri&#x017F;to angehören, die kreutzigen ihr<lb/>
Flei&#x017F;ch &#x017F;ammt den Lü&#x017F;ten und Begierden.</hi><lb/>
Gal. 5, 17. 24. Hiermit wird allerdings zuge-<lb/>
geben, daß der Streit, welchen Chri&#x017F;ten mit &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t führen, indem &#x017F;ie ihren Lieblingsneigungen<lb/>
die Stärke zu benehmen &#x017F;uchen, ihnen die &#x017F;chmerz-<lb/>
hafte&#x017F;ten Empfindungen verur&#x017F;ache, beynahe eben<lb/>
&#x017F;o vielen Schmerzen als ein Gekreutzigter empfindet.<lb/>
Solche Schwierigkeiten finden &#x017F;ich ab&#x017F;onderlich im An-<lb/>
fange des Chri&#x017F;tenthums, wenn man noch keine Fer-<lb/>
tigkeit in der Ausübung des Guten erlangt hat.<lb/>
Wenn ein Men&#x017F;ch bisher gewohnt war, &#x017F;einen<lb/>
Neigungen blindlings zu gehorchen, und er &#x017F;oll<lb/>
nun auf einmahl &#x017F;ich dasienige ver&#x017F;agen, was ihm<lb/>
bisher angenehm war, und &#x017F;einen Sinnen &#x017F;chmei-<lb/>
chelt wird &#x017F;ich denn da &#x017F;ein Herz nicht empören?<lb/>
Die Erfahrung lehrt, wie &#x017F;chwer es uns ankommt,<lb/>
auch nur in Kleinigkeiten von einer Gewohnheit ab-<lb/>
zulaßen, die wir nach und nach angenommen ha-<lb/>
ben. Weit &#x017F;chwerer wird es &#x017F;eyn, &#x017F;olche Gewohn-<lb/>
heiten abzulegen, die &#x017F;o ve&#x017F;t in un&#x017F;ern Seelen ein-<lb/>
gewurzelt &#x017F;ind, als die Neigungen aus welchen &#x017F;ie<lb/>
ent&#x017F;pringen? Aber was uns im Anfange &#x017F;chwer<lb/>
war, das wird uns nach und nach immer leichter<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wer-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0228] Vierzehnte Betr. Von der nothwend. ſetzt, daß wahre Chriſten hinreichendes Vermögen haben, ihre ſündlichen Begierden zu beherrſchen. An ſich ſelbſt iſt dieſes gewiß keine leichte Sache. Der Apoſtel ſelbſt gebraucht bisweilen Ausdrücke, mit welchen er deutlich zu verſtehen giebt, daß es den Chriſten Mühe koſte, ihren böſen Lüſten zu wi- derſtehen. Das Fleiſch gelüſtet wider den Geiſt, und der Geiſt wider das Fleiſch — Welche aber Chriſto angehören, die kreutzigen ihr Fleiſch ſammt den Lüſten und Begierden. Gal. 5, 17. 24. Hiermit wird allerdings zuge- geben, daß der Streit, welchen Chriſten mit ſich ſelbſt führen, indem ſie ihren Lieblingsneigungen die Stärke zu benehmen ſuchen, ihnen die ſchmerz- hafteſten Empfindungen verurſache, beynahe eben ſo vielen Schmerzen als ein Gekreutzigter empfindet. Solche Schwierigkeiten finden ſich abſonderlich im An- fange des Chriſtenthums, wenn man noch keine Fer- tigkeit in der Ausübung des Guten erlangt hat. Wenn ein Menſch bisher gewohnt war, ſeinen Neigungen blindlings zu gehorchen, und er ſoll nun auf einmahl ſich dasienige verſagen, was ihm bisher angenehm war, und ſeinen Sinnen ſchmei- chelt wird ſich denn da ſein Herz nicht empören? Die Erfahrung lehrt, wie ſchwer es uns ankommt, auch nur in Kleinigkeiten von einer Gewohnheit ab- zulaßen, die wir nach und nach angenommen ha- ben. Weit ſchwerer wird es ſeyn, ſolche Gewohn- heiten abzulegen, die ſo veſt in unſern Seelen ein- gewurzelt ſind, als die Neigungen aus welchen ſie entſpringen? Aber was uns im Anfange ſchwer war, das wird uns nach und nach immer leichter wer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/228
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/228>, abgerufen am 04.12.2024.