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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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Dritte Betr. Daß der Mensch zur Erk.
haftig seyn könne, und daß er nothwendig anders
werden müsse, wenn er sich zu der Glückseeligkeit
ienes ewigen Lebens eine gegründete Hofnung ma-
chen wolle.

Wenn uns demnach unsere eigene Wohlfarth
am Herzen liegt, so müssen wir uns sorgfältig be-
muhen, zu einer richtigen Erkenntnis unserer selbst
zu gelangen. Und wie kan das wohl anders ge-
schehen, als wenn wir, unter eifriger Anrufung
Gottes um Erleuchtung, öftere Untersuchungen mit
uns selber anstellen, und uns eben so strenge beur-
theilen, als wenn wir es mit einem Fremden, oder
wohl gar mit einem Feinde zu thun hätten, deßen
Fehler wir mit der grösten Genauigkeit aufsuchen?
Hier dürfen wir aber nicht bey unserm äußerlichen
Thun und Laßen ganz alleine stehen bleiben -- uns
nicht dabey beruhigen, daß uns die Welt keine Vor-
würfe wegen unserer bisherigen Aufführung machen
kan, und daß wir etwa von unsern Mitbürgern für
rechtschaffene Leute gehalten werden. Es kan ie-
mand einen sehr ordentlichen Lebenswandel führen;
er kan von iedermann geliebt und geehret werden,
und doch noch weit vom Reiche Gottes entfernet
seyn. Die Welt sieht uns nur alsdann, wann uns
der äußerliche Wohlstand, oder unser Ehrgeitz, oder
ein anderer Vortheil bewegt, unsere schlimmen Nei-
gungen zu verbergen, und den Schein der Men-
schenfreundlichkeit, Ehrlichkeit und Unschuld anzu-
nehmen. Wenn wir bisweileu eben den Menschen,
der vor den Augen der Welt in einer so vortheil-
haften Gestalt erscheint in seinen häußlichen Ge-
schäften, nnd da, wo er sich selbst überlaßen ist,

sehen

Dritte Betr. Daß der Menſch zur Erk.
haftig ſeyn könne, und daß er nothwendig anders
werden müſſe, wenn er ſich zu der Glückſeeligkeit
ienes ewigen Lebens eine gegründete Hofnung ma-
chen wolle.

Wenn uns demnach unſere eigene Wohlfarth
am Herzen liegt, ſo müſſen wir uns ſorgfältig be-
muhen, zu einer richtigen Erkenntnis unſerer ſelbſt
zu gelangen. Und wie kan das wohl anders ge-
ſchehen, als wenn wir, unter eifriger Anrufung
Gottes um Erleuchtung, öftere Unterſuchungen mit
uns ſelber anſtellen, und uns eben ſo ſtrenge beur-
theilen, als wenn wir es mit einem Fremden, oder
wohl gar mit einem Feinde zu thun hätten, deßen
Fehler wir mit der gröſten Genauigkeit aufſuchen?
Hier dürfen wir aber nicht bey unſerm äußerlichen
Thun und Laßen ganz alleine ſtehen bleiben — uns
nicht dabey beruhigen, daß uns die Welt keine Vor-
würfe wegen unſerer bisherigen Aufführung machen
kan, und daß wir etwa von unſern Mitbürgern für
rechtſchaffene Leute gehalten werden. Es kan ie-
mand einen ſehr ordentlichen Lebenswandel führen;
er kan von iedermann geliebt und geehret werden,
und doch noch weit vom Reiche Gottes entfernet
ſeyn. Die Welt ſieht uns nur alsdann, wann uns
der äußerliche Wohlſtand, oder unſer Ehrgeitz, oder
ein anderer Vortheil bewegt, unſere ſchlimmen Nei-
gungen zu verbergen, und den Schein der Men-
ſchenfreundlichkeit, Ehrlichkeit und Unſchuld anzu-
nehmen. Wenn wir bisweileu eben den Menſchen,
der vor den Augen der Welt in einer ſo vortheil-
haften Geſtalt erſcheint in ſeinen häußlichen Ge-
ſchäften, nnd da, wo er ſich ſelbſt überlaßen iſt,

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[36/0048] Dritte Betr. Daß der Menſch zur Erk. haftig ſeyn könne, und daß er nothwendig anders werden müſſe, wenn er ſich zu der Glückſeeligkeit ienes ewigen Lebens eine gegründete Hofnung ma- chen wolle. Wenn uns demnach unſere eigene Wohlfarth am Herzen liegt, ſo müſſen wir uns ſorgfältig be- muhen, zu einer richtigen Erkenntnis unſerer ſelbſt zu gelangen. Und wie kan das wohl anders ge- ſchehen, als wenn wir, unter eifriger Anrufung Gottes um Erleuchtung, öftere Unterſuchungen mit uns ſelber anſtellen, und uns eben ſo ſtrenge beur- theilen, als wenn wir es mit einem Fremden, oder wohl gar mit einem Feinde zu thun hätten, deßen Fehler wir mit der gröſten Genauigkeit aufſuchen? Hier dürfen wir aber nicht bey unſerm äußerlichen Thun und Laßen ganz alleine ſtehen bleiben — uns nicht dabey beruhigen, daß uns die Welt keine Vor- würfe wegen unſerer bisherigen Aufführung machen kan, und daß wir etwa von unſern Mitbürgern für rechtſchaffene Leute gehalten werden. Es kan ie- mand einen ſehr ordentlichen Lebenswandel führen; er kan von iedermann geliebt und geehret werden, und doch noch weit vom Reiche Gottes entfernet ſeyn. Die Welt ſieht uns nur alsdann, wann uns der äußerliche Wohlſtand, oder unſer Ehrgeitz, oder ein anderer Vortheil bewegt, unſere ſchlimmen Nei- gungen zu verbergen, und den Schein der Men- ſchenfreundlichkeit, Ehrlichkeit und Unſchuld anzu- nehmen. Wenn wir bisweileu eben den Menſchen, der vor den Augen der Welt in einer ſo vortheil- haften Geſtalt erſcheint in ſeinen häußlichen Ge- ſchäften, nnd da, wo er ſich ſelbſt überlaßen iſt, ſehen

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/48>, abgerufen am 14.06.2024.