Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechste Betr. Die große Seeligkeit
ner allerhöchsten Güte und Erbarmung zuversicht-
lich hoffen, daß er keine Geschöpfe zu ihrer Quaal
hervorbringen, oder daß er sie, nachdem er sie her-
vorgebracht, ohne ihre Schuld unglücklich machen
werde. Nein, so hart und grausam kan er un-
möglich seyn, daß er mit Absicht und Vorsatz Men-
schen oder andere Kreaturen, blos weil es ihm be-
liebet, zu ihrer Marter, zu ihrem Unglück schaffen
sollte. Aber das streitet im Geringsten nicht mit
seiner Weisheit und Güte, wenn er seine Güter
und Wohlthaten verschiedentlich austheilt, wenn
er absonderlich verschiedene Klaßen von vernünfti-
gen Wesen nicht zu einerley Stufe der Glückseelig-
keit erhebt, sondern hierinnen einen Unterschied be-
obachtet, der seinem Entwurf gemäß ist, und mit
der Vollkommenheit des Ganzen am besten überein-
stimmt. Nun hat er uns Menschen, die wir ietzt
eine so niedrige Stufe in der Reihe vernünftiger
Wesen ausmachen, zu einem ganz ausnehmend
großen Glück bestimmt, welches uns erst nach un-
serm Aufenthalt hier auf Erden zu Theil werden
soll. Er hätte unsere Natur so einrichten können,
daß wir nur zu dem Genuß vergänglicher Güter
fähig gewesen wären, wie die Thiere, die keine
Vernunft haben. Er könnte uns hier auf Erden
mit Wohlthaten seegnen, und uns dann auf ewig
vernichten. Aber nein, dieses ietzige Leben ist nach
seiner weisen, gütigen Einrichtung nur der Anfang
eines ewigen Lebens für uns. Er hat uns ein un-
aufhörliches Glück zugedacht, ein Glück, gegen
welches alle vergängliche Güter der Erden ein todter
Schatte sind -- ein Glück, demienigen ähnlich,

wel-

Sechſte Betr. Die große Seeligkeit
ner allerhöchſten Güte und Erbarmung zuverſicht-
lich hoffen, daß er keine Geſchöpfe zu ihrer Quaal
hervorbringen, oder daß er ſie, nachdem er ſie her-
vorgebracht, ohne ihre Schuld unglücklich machen
werde. Nein, ſo hart und grauſam kan er un-
möglich ſeyn, daß er mit Abſicht und Vorſatz Men-
ſchen oder andere Kreaturen, blos weil es ihm be-
liebet, zu ihrer Marter, zu ihrem Unglück ſchaffen
ſollte. Aber das ſtreitet im Geringſten nicht mit
ſeiner Weisheit und Güte, wenn er ſeine Güter
und Wohlthaten verſchiedentlich austheilt, wenn
er abſonderlich verſchiedene Klaßen von vernünfti-
gen Weſen nicht zu einerley Stufe der Glückſeelig-
keit erhebt, ſondern hierinnen einen Unterſchied be-
obachtet, der ſeinem Entwurf gemäß iſt, und mit
der Vollkommenheit des Ganzen am beſten überein-
ſtimmt. Nun hat er uns Menſchen, die wir ietzt
eine ſo niedrige Stufe in der Reihe vernünftiger
Weſen ausmachen, zu einem ganz ausnehmend
großen Glück beſtimmt, welches uns erſt nach un-
ſerm Aufenthalt hier auf Erden zu Theil werden
ſoll. Er hätte unſere Natur ſo einrichten können,
daß wir nur zu dem Genuß vergänglicher Güter
fähig geweſen wären, wie die Thiere, die keine
Vernunft haben. Er könnte uns hier auf Erden
mit Wohlthaten ſeegnen, und uns dann auf ewig
vernichten. Aber nein, dieſes ietzige Leben iſt nach
ſeiner weiſen, gütigen Einrichtung nur der Anfang
eines ewigen Lebens für uns. Er hat uns ein un-
aufhörliches Glück zugedacht, ein Glück, gegen
welches alle vergängliche Güter der Erden ein todter
Schatte ſind — ein Glück, demienigen ähnlich,

wel-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="74"/><fw place="top" type="header">Sech&#x017F;te Betr. Die große Seeligkeit</fw><lb/>
ner allerhöch&#x017F;ten Güte und Erbarmung zuver&#x017F;icht-<lb/>
lich hoffen, daß er keine Ge&#x017F;chöpfe zu ihrer Quaal<lb/>
hervorbringen, oder daß er &#x017F;ie, nachdem er &#x017F;ie her-<lb/>
vorgebracht, ohne ihre Schuld unglücklich machen<lb/>
werde. Nein, &#x017F;o hart und grau&#x017F;am kan er un-<lb/>
möglich &#x017F;eyn, daß er mit Ab&#x017F;icht und Vor&#x017F;atz Men-<lb/>
&#x017F;chen oder andere Kreaturen, blos weil es ihm be-<lb/>
liebet, zu ihrer Marter, zu ihrem Unglück &#x017F;chaffen<lb/>
&#x017F;ollte. Aber das &#x017F;treitet im Gering&#x017F;ten nicht mit<lb/>
&#x017F;einer Weisheit und Güte, wenn er &#x017F;eine Güter<lb/>
und Wohlthaten ver&#x017F;chiedentlich austheilt, wenn<lb/>
er ab&#x017F;onderlich ver&#x017F;chiedene Klaßen von vernünfti-<lb/>
gen We&#x017F;en nicht zu einerley Stufe der Glück&#x017F;eelig-<lb/>
keit erhebt, &#x017F;ondern hierinnen einen Unter&#x017F;chied be-<lb/>
obachtet, der &#x017F;einem Entwurf gemäß i&#x017F;t, und mit<lb/>
der Vollkommenheit des Ganzen am be&#x017F;ten überein-<lb/>
&#x017F;timmt. Nun hat er uns Men&#x017F;chen, die wir ietzt<lb/>
eine &#x017F;o niedrige Stufe in der Reihe vernünftiger<lb/>
We&#x017F;en ausmachen, zu einem ganz ausnehmend<lb/>
großen Glück be&#x017F;timmt, welches uns er&#x017F;t nach un-<lb/>
&#x017F;erm Aufenthalt hier auf Erden zu Theil werden<lb/>
&#x017F;oll. Er hätte un&#x017F;ere Natur &#x017F;o einrichten können,<lb/>
daß wir nur zu dem Genuß vergänglicher Güter<lb/>
fähig gewe&#x017F;en wären, wie die Thiere, die keine<lb/>
Vernunft haben. Er könnte uns hier auf Erden<lb/>
mit Wohlthaten &#x017F;eegnen, und uns dann auf ewig<lb/>
vernichten. Aber nein, die&#x017F;es ietzige Leben i&#x017F;t nach<lb/>
&#x017F;einer wei&#x017F;en, gütigen Einrichtung nur der Anfang<lb/>
eines ewigen Lebens für uns. Er hat uns ein un-<lb/>
aufhörliches Glück zugedacht, ein Glück, gegen<lb/>
welches alle vergängliche Güter der Erden ein todter<lb/>
Schatte &#x017F;ind &#x2014; ein Glück, demienigen ähnlich,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wel-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0086] Sechſte Betr. Die große Seeligkeit ner allerhöchſten Güte und Erbarmung zuverſicht- lich hoffen, daß er keine Geſchöpfe zu ihrer Quaal hervorbringen, oder daß er ſie, nachdem er ſie her- vorgebracht, ohne ihre Schuld unglücklich machen werde. Nein, ſo hart und grauſam kan er un- möglich ſeyn, daß er mit Abſicht und Vorſatz Men- ſchen oder andere Kreaturen, blos weil es ihm be- liebet, zu ihrer Marter, zu ihrem Unglück ſchaffen ſollte. Aber das ſtreitet im Geringſten nicht mit ſeiner Weisheit und Güte, wenn er ſeine Güter und Wohlthaten verſchiedentlich austheilt, wenn er abſonderlich verſchiedene Klaßen von vernünfti- gen Weſen nicht zu einerley Stufe der Glückſeelig- keit erhebt, ſondern hierinnen einen Unterſchied be- obachtet, der ſeinem Entwurf gemäß iſt, und mit der Vollkommenheit des Ganzen am beſten überein- ſtimmt. Nun hat er uns Menſchen, die wir ietzt eine ſo niedrige Stufe in der Reihe vernünftiger Weſen ausmachen, zu einem ganz ausnehmend großen Glück beſtimmt, welches uns erſt nach un- ſerm Aufenthalt hier auf Erden zu Theil werden ſoll. Er hätte unſere Natur ſo einrichten können, daß wir nur zu dem Genuß vergänglicher Güter fähig geweſen wären, wie die Thiere, die keine Vernunft haben. Er könnte uns hier auf Erden mit Wohlthaten ſeegnen, und uns dann auf ewig vernichten. Aber nein, dieſes ietzige Leben iſt nach ſeiner weiſen, gütigen Einrichtung nur der Anfang eines ewigen Lebens für uns. Er hat uns ein un- aufhörliches Glück zugedacht, ein Glück, gegen welches alle vergängliche Güter der Erden ein todter Schatte ſind — ein Glück, demienigen ähnlich, wel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/86
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/86>, abgerufen am 24.11.2024.