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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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dem Versöhner der Menschen.
kommen. Denn zur Erreichung eines großen Ent-
zwecks, müßen große Mittel angewendet werden.
Daher, obgleich Gott so bereitwillig zur Begnadi-
gung der Menschen ist, daß er von ihnen selbst kei-
ne andere Bedingniße verlangt, als Erkenntnis
des Unrechts, Reue, Vertrauen auf seine Barm-
herzigkeit, und einen redlichen Vorsatz der Lebens-
beßerung, so hat es doch seiner Weisheit gefallen,
uns nicht anders als durch Vermittelung seines
Sohnes eine große Seeligkeit angedeyhen zu las-
sen. Die angeführten Worte des Apostels Pauli
enthalten diese Lehre sehr deutlich, und sie verdie-
nen daher eine aufmerksame Betrachtung. Wenn
wir sie aber richtig verstehen wollen, so müßen wir
sie in der Verbindung mit dem Vorhergehenden be-
trachten.

Die Hebräer, an welche dieser Brief zunächst
gerichtet ist, waren zum Theil geneigt, von der
christlichen Religion abtrünnig zu werden, und
zur Jüdischen Religion, in welcher sie waren erzo-
gen worden, wieder zurück zu kehren. Diese Leu-
te waren von Kindheit an gewohnt gewesen, sich
solche Vorstellungen von der Religion zu machen,
die den Sinnen und der Einbildungskraft schmei-
chelten. Unsere iüdische Religion, dachten sie,
hat doch weit deutlichere Merkmahle ihrer Göttlich-
keit, als die christliche. Das Gesetz Mosis ist
durch Engel unter den feyerlichsten Umständen ge-
geben worden, (denn damahls glaubte man durch-
gängig, daß die Engel bey der Gesezgebung auf
Sinai wären beschäftiget gewesen) Moses selbst,
was war er nicht für ein außerordentlich großer

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dem Verſöhner der Menſchen.
kommen. Denn zur Erreichung eines großen Ent-
zwecks, müßen große Mittel angewendet werden.
Daher, obgleich Gott ſo bereitwillig zur Begnadi-
gung der Menſchen iſt, daß er von ihnen ſelbſt kei-
ne andere Bedingniße verlangt, als Erkenntnis
des Unrechts, Reue, Vertrauen auf ſeine Barm-
herzigkeit, und einen redlichen Vorſatz der Lebens-
beßerung, ſo hat es doch ſeiner Weisheit gefallen,
uns nicht anders als durch Vermittelung ſeines
Sohnes eine große Seeligkeit angedeyhen zu laſ-
ſen. Die angeführten Worte des Apoſtels Pauli
enthalten dieſe Lehre ſehr deutlich, und ſie verdie-
nen daher eine aufmerkſame Betrachtung. Wenn
wir ſie aber richtig verſtehen wollen, ſo müßen wir
ſie in der Verbindung mit dem Vorhergehenden be-
trachten.

Die Hebräer, an welche dieſer Brief zunächſt
gerichtet iſt, waren zum Theil geneigt, von der
chriſtlichen Religion abtrünnig zu werden, und
zur Jüdiſchen Religion, in welcher ſie waren erzo-
gen worden, wieder zurück zu kehren. Dieſe Leu-
te waren von Kindheit an gewohnt geweſen, ſich
ſolche Vorſtellungen von der Religion zu machen,
die den Sinnen und der Einbildungskraft ſchmei-
chelten. Unſere iüdiſche Religion, dachten ſie,
hat doch weit deutlichere Merkmahle ihrer Göttlich-
keit, als die chriſtliche. Das Geſetz Moſis iſt
durch Engel unter den feyerlichſten Umſtänden ge-
geben worden, (denn damahls glaubte man durch-
gängig, daß die Engel bey der Geſezgebung auf
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[87/0099] dem Verſöhner der Menſchen. kommen. Denn zur Erreichung eines großen Ent- zwecks, müßen große Mittel angewendet werden. Daher, obgleich Gott ſo bereitwillig zur Begnadi- gung der Menſchen iſt, daß er von ihnen ſelbſt kei- ne andere Bedingniße verlangt, als Erkenntnis des Unrechts, Reue, Vertrauen auf ſeine Barm- herzigkeit, und einen redlichen Vorſatz der Lebens- beßerung, ſo hat es doch ſeiner Weisheit gefallen, uns nicht anders als durch Vermittelung ſeines Sohnes eine große Seeligkeit angedeyhen zu laſ- ſen. Die angeführten Worte des Apoſtels Pauli enthalten dieſe Lehre ſehr deutlich, und ſie verdie- nen daher eine aufmerkſame Betrachtung. Wenn wir ſie aber richtig verſtehen wollen, ſo müßen wir ſie in der Verbindung mit dem Vorhergehenden be- trachten. Die Hebräer, an welche dieſer Brief zunächſt gerichtet iſt, waren zum Theil geneigt, von der chriſtlichen Religion abtrünnig zu werden, und zur Jüdiſchen Religion, in welcher ſie waren erzo- gen worden, wieder zurück zu kehren. Dieſe Leu- te waren von Kindheit an gewohnt geweſen, ſich ſolche Vorſtellungen von der Religion zu machen, die den Sinnen und der Einbildungskraft ſchmei- chelten. Unſere iüdiſche Religion, dachten ſie, hat doch weit deutlichere Merkmahle ihrer Göttlich- keit, als die chriſtliche. Das Geſetz Moſis iſt durch Engel unter den feyerlichſten Umſtänden ge- geben worden, (denn damahls glaubte man durch- gängig, daß die Engel bey der Geſezgebung auf Sinai wären beſchäftiget geweſen) Moſes ſelbſt, was war er nicht für ein außerordentlich großer Pro- F 4

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/99>, abgerufen am 22.11.2024.