sturm ein starker Ast abgerissen, so daß ein tiefes Loch im Stamme entstand.
Der abwärts kommende Bildungssaft trat an dem oberen Wund- rande unter der Rinde hervor und bildete Anfangs kleine aber schnell größer werdende berindete Holzwarzen -- wie ich dies en miniature im vorigen Herbste nach dem Leipziger Hagelwetter an mehreren Baumarten gefunden habe -- welche über die Oeffnung der tiefen Stammwunde frei herabhingen; frei unzweifelhaft, denn der Zapfen zeigt ringsum die ganz gleiche Bildung."
Solche pathologische Gebilde werfen oft ein helles Licht auf den normalen Lebensvorgang. Die bunt durch einander gewundenen Ver- schlingungen der Holzmasse, die an vielen Stellen unregelmäßige ge- schlossene, einander vielfach umschließende Kreise bilden, deuten unwider- leglich auf ein Stauchen und Zertheilen des Cambiumstromes, auf ein Ablenken von dem regelmäßigen geraden Verlaufe, der am gesunden Holze der Eiche zukommt. Dieses Stauchen des Saftstromes war bedingt durch die Aufhebung des ungestörten Verlaufs nach abwärts. Die an der frei hängenden noch kleinen Wulst, die nur an der in der Figur sichtbaren Stelle festhing, rings herum sich bildende Rinde bildete gewissermaßen einen Sack, der eben den zuströmenden Bildungssaft zu diesen Ver- krümmungen nöthigte, wie entgegenstehende Klippen es mit einem Bache thun. Freilich war dies mit einer augenblicklichen Gestaltung, Zellen- werdung, des Saftes verbunden. Die Cambiumbildung hat "sich nach der Decke gestreckt", der Decke, welche die Rinde war.
Eiche, Rüster und Esche, die drei deutschen Holzarten mit den größten Gefäßen (S. 104) geben überhaupt den besten Aufschuß über die Richtung der aus dem Bildungssaft sich gestaltenden Holzelemente. Namentlich die Winkel, wo von etwa armsdicken Aesten Zweige abgehen an alljährlich ausschlagenden Stummeln abgeschnittener Aeste kann man die Folgen eines Stauchens des Saftstroms sehr schön beobachten, wenn man sie bald nach Entfaltung des Laubes schält. Um diese Zeit ist bei der Eiche von dem Frühjahrsholz (S. 105) gerade erst der Kreis großer Gefäße fertig, welche auf dem geschälten Holze wie dicke Adern auf dem Arm eines Alten verlaufen.
Roßmäßler, der Wald. 12
ſturm ein ſtarker Aſt abgeriſſen, ſo daß ein tiefes Loch im Stamme entſtand.
Der abwärts kommende Bildungsſaft trat an dem oberen Wund- rande unter der Rinde hervor und bildete Anfangs kleine aber ſchnell größer werdende berindete Holzwarzen — wie ich dies en miniature im vorigen Herbſte nach dem Leipziger Hagelwetter an mehreren Baumarten gefunden habe — welche über die Oeffnung der tiefen Stammwunde frei herabhingen; frei unzweifelhaft, denn der Zapfen zeigt ringsum die ganz gleiche Bildung.“
Solche pathologiſche Gebilde werfen oft ein helles Licht auf den normalen Lebensvorgang. Die bunt durch einander gewundenen Ver- ſchlingungen der Holzmaſſe, die an vielen Stellen unregelmäßige ge- ſchloſſene, einander vielfach umſchließende Kreiſe bilden, deuten unwider- leglich auf ein Stauchen und Zertheilen des Cambiumſtromes, auf ein Ablenken von dem regelmäßigen geraden Verlaufe, der am geſunden Holze der Eiche zukommt. Dieſes Stauchen des Saftſtromes war bedingt durch die Aufhebung des ungeſtörten Verlaufs nach abwärts. Die an der frei hängenden noch kleinen Wulſt, die nur an der in der Figur ſichtbaren Stelle feſthing, rings herum ſich bildende Rinde bildete gewiſſermaßen einen Sack, der eben den zuſtrömenden Bildungsſaft zu dieſen Ver- krümmungen nöthigte, wie entgegenſtehende Klippen es mit einem Bache thun. Freilich war dies mit einer augenblicklichen Geſtaltung, Zellen- werdung, des Saftes verbunden. Die Cambiumbildung hat „ſich nach der Decke geſtreckt“, der Decke, welche die Rinde war.
Eiche, Rüſter und Eſche, die drei deutſchen Holzarten mit den größten Gefäßen (S. 104) geben überhaupt den beſten Aufſchuß über die Richtung der aus dem Bildungsſaft ſich geſtaltenden Holzelemente. Namentlich die Winkel, wo von etwa armsdicken Aeſten Zweige abgehen an alljährlich ausſchlagenden Stummeln abgeſchnittener Aeſte kann man die Folgen eines Stauchens des Saftſtroms ſehr ſchön beobachten, wenn man ſie bald nach Entfaltung des Laubes ſchält. Um dieſe Zeit iſt bei der Eiche von dem Frühjahrsholz (S. 105) gerade erſt der Kreis großer Gefäße fertig, welche auf dem geſchälten Holze wie dicke Adern auf dem Arm eines Alten verlaufen.
Roßmäßler, der Wald. 12
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ſturm ein ſtarker Aſt abgeriſſen, ſo daß ein tiefes Loch im Stamme
entſtand.
Der abwärts kommende Bildungsſaft trat an dem oberen Wund-
rande unter der Rinde hervor und bildete Anfangs kleine aber ſchnell
größer werdende berindete Holzwarzen — wie ich dies en miniature im
vorigen Herbſte nach dem Leipziger Hagelwetter an mehreren Baumarten
gefunden habe — welche über die Oeffnung der tiefen Stammwunde frei
herabhingen; frei unzweifelhaft, denn der Zapfen zeigt ringsum die ganz
gleiche Bildung.“
Solche pathologiſche Gebilde werfen oft ein helles Licht auf den
normalen Lebensvorgang. Die bunt durch einander gewundenen Ver-
ſchlingungen der Holzmaſſe, die an vielen Stellen unregelmäßige ge-
ſchloſſene, einander vielfach umſchließende Kreiſe bilden, deuten unwider-
leglich auf ein Stauchen und Zertheilen des Cambiumſtromes, auf ein
Ablenken von dem regelmäßigen geraden Verlaufe, der am geſunden Holze
der Eiche zukommt. Dieſes Stauchen des Saftſtromes war bedingt durch
die Aufhebung des ungeſtörten Verlaufs nach abwärts. Die an der frei
hängenden noch kleinen Wulſt, die nur an der in der Figur ſichtbaren
Stelle feſthing, rings herum ſich bildende Rinde bildete gewiſſermaßen
einen Sack, der eben den zuſtrömenden Bildungsſaft zu dieſen Ver-
krümmungen nöthigte, wie entgegenſtehende Klippen es mit einem Bache
thun. Freilich war dies mit einer augenblicklichen Geſtaltung, Zellen-
werdung, des Saftes verbunden. Die Cambiumbildung hat „ſich nach
der Decke geſtreckt“, der Decke, welche die Rinde war.
Eiche, Rüſter und Eſche, die drei deutſchen Holzarten mit den größten
Gefäßen (S. 104) geben überhaupt den beſten Aufſchuß über die Richtung
der aus dem Bildungsſaft ſich geſtaltenden Holzelemente. Namentlich die
Winkel, wo von etwa armsdicken Aeſten Zweige abgehen an alljährlich
ausſchlagenden Stummeln abgeſchnittener Aeſte kann man die Folgen eines
Stauchens des Saftſtroms ſehr ſchön beobachten, wenn man ſie bald nach
Entfaltung des Laubes ſchält. Um dieſe Zeit iſt bei der Eiche von dem
Frühjahrsholz (S. 105) gerade erſt der Kreis großer Gefäße fertig, welche
auf dem geſchälten Holze wie dicke Adern auf dem Arm eines Alten
verlaufen.
Roßmäßler, der Wald. 12
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/201>, abgerufen am 22.12.2024.
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