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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Wärmegrad der Luft ständig geworden ist, obgleich ihr junges zartes Laub
oft genug durch einen Spätfrost vollständig vernichtet wird, so daß als-
dann nach wenigen Stunden der grüne Laubschmuck als häßliche oliven-
braune Leichen an den Trieben hängt, welche bis zu dem schnell er-
folgenden Verdorren einen sehr merkbaren Fäulnißgeruch verbreiten.

Die jungen Triebe der Buche sind in einer auffallend kurzen Zeit
vollendet und zwar in so saftiger Fülle, daß sie einige Tage schlaff über-
hängen. Indem der Trieb schnell erstarkt, verholzt und sich streckt, be-
schreibt er von Blatt zu Blatt immer eine merkliche knieförmige Knickung
(oft noch stärker als an Fig. IX. auf S. 60). Aus der Anfangs meist
horizontalen Richtung erheben sich die Triebe allmälig zu einer mehr
aufrechten. Die hinfälligen Nebenblättchen, die zum Theil die Rolle von
Knospenschuppen gespielt hatten, fallen sofort nach Erstarkung der Blätter
ab -- es ist bei vielen Bäumen (Linde, Rüster, Hornbaum, Erle) das-
selbe -- und im Innern des Baumes vollzieht sich ungesehen der rege
Gestaltungsproceß der Holzbildung, so daß wir an einem jungen vollkommen
runden wüchsigen Stämmchen vor dem Winter eine vorher im März
genau gemessene Stelle merklich dicker finden.

Wir haben jetzt in den Blättern die wesentlichen Ernährer der Pflanze
oder wenigstens die Zubereiter der Nahrung kennen gelernt, der Nahrung,
durch welche der Baum wie jede Pflanze sich lebendig erhält. Dabei
denken wir unwillkürlich an denselben Vorgang im thierischen Körper.
Ich benutze diesen Gedanken, um auf einen sehr bedeutenden Unterschied
aufmerksam zu machen, der im Produkt zwischen der Ernährung eines
Baumes und eines höheren Thieres besteht. Die im Magen eines Pferdes
verdaute, in den blutbereitenden Organen in Blut verwandelte Nahrung
gelangt als solches in den kleinen und großen Kreislauf und durch letzteren
in jeden Körpertheil, welcher daraus ebensowohl bis zur Vollendung des
Wachsthums den Stoff zu seiner Vergrößerung als nachher zu seiner
fortwährenden Erneuerung und Verjüngung nimmt, was wir den Stoff-
wechsel nennen. Noch lange bevor das Pferd erwachsen war, wurde seinem
Körper kein neues Glied hinzugefügt, sondern die gleich bei der Geburt
vorhandenen Körpertheile wachsen nur allmälig immer größer und zwar
nicht in der Weise wie ein Schneeball größer wird, sondern so zu sagen
von innen heraus, innen, außen, überall. Ist dann das Wachsthum voll-

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Wärmegrad der Luft ſtändig geworden iſt, obgleich ihr junges zartes Laub
oft genug durch einen Spätfroſt vollſtändig vernichtet wird, ſo daß als-
dann nach wenigen Stunden der grüne Laubſchmuck als häßliche oliven-
braune Leichen an den Trieben hängt, welche bis zu dem ſchnell er-
folgenden Verdorren einen ſehr merkbaren Fäulnißgeruch verbreiten.

Die jungen Triebe der Buche ſind in einer auffallend kurzen Zeit
vollendet und zwar in ſo ſaftiger Fülle, daß ſie einige Tage ſchlaff über-
hängen. Indem der Trieb ſchnell erſtarkt, verholzt und ſich ſtreckt, be-
ſchreibt er von Blatt zu Blatt immer eine merkliche knieförmige Knickung
(oft noch ſtärker als an Fig. IX. auf S. 60). Aus der Anfangs meiſt
horizontalen Richtung erheben ſich die Triebe allmälig zu einer mehr
aufrechten. Die hinfälligen Nebenblättchen, die zum Theil die Rolle von
Knospenſchuppen geſpielt hatten, fallen ſofort nach Erſtarkung der Blätter
ab — es iſt bei vielen Bäumen (Linde, Rüſter, Hornbaum, Erle) das-
ſelbe — und im Innern des Baumes vollzieht ſich ungeſehen der rege
Geſtaltungsproceß der Holzbildung, ſo daß wir an einem jungen vollkommen
runden wüchſigen Stämmchen vor dem Winter eine vorher im März
genau gemeſſene Stelle merklich dicker finden.

Wir haben jetzt in den Blättern die weſentlichen Ernährer der Pflanze
oder wenigſtens die Zubereiter der Nahrung kennen gelernt, der Nahrung,
durch welche der Baum wie jede Pflanze ſich lebendig erhält. Dabei
denken wir unwillkürlich an denſelben Vorgang im thieriſchen Körper.
Ich benutze dieſen Gedanken, um auf einen ſehr bedeutenden Unterſchied
aufmerkſam zu machen, der im Produkt zwiſchen der Ernährung eines
Baumes und eines höheren Thieres beſteht. Die im Magen eines Pferdes
verdaute, in den blutbereitenden Organen in Blut verwandelte Nahrung
gelangt als ſolches in den kleinen und großen Kreislauf und durch letzteren
in jeden Körpertheil, welcher daraus ebenſowohl bis zur Vollendung des
Wachsthums den Stoff zu ſeiner Vergrößerung als nachher zu ſeiner
fortwährenden Erneuerung und Verjüngung nimmt, was wir den Stoff-
wechſel nennen. Noch lange bevor das Pferd erwachſen war, wurde ſeinem
Körper kein neues Glied hinzugefügt, ſondern die gleich bei der Geburt
vorhandenen Körpertheile wachſen nur allmälig immer größer und zwar
nicht in der Weiſe wie ein Schneeball größer wird, ſondern ſo zu ſagen
von innen heraus, innen, außen, überall. Iſt dann das Wachsthum voll-

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[179/0203] Wärmegrad der Luft ſtändig geworden iſt, obgleich ihr junges zartes Laub oft genug durch einen Spätfroſt vollſtändig vernichtet wird, ſo daß als- dann nach wenigen Stunden der grüne Laubſchmuck als häßliche oliven- braune Leichen an den Trieben hängt, welche bis zu dem ſchnell er- folgenden Verdorren einen ſehr merkbaren Fäulnißgeruch verbreiten. Die jungen Triebe der Buche ſind in einer auffallend kurzen Zeit vollendet und zwar in ſo ſaftiger Fülle, daß ſie einige Tage ſchlaff über- hängen. Indem der Trieb ſchnell erſtarkt, verholzt und ſich ſtreckt, be- ſchreibt er von Blatt zu Blatt immer eine merkliche knieförmige Knickung (oft noch ſtärker als an Fig. IX. auf S. 60). Aus der Anfangs meiſt horizontalen Richtung erheben ſich die Triebe allmälig zu einer mehr aufrechten. Die hinfälligen Nebenblättchen, die zum Theil die Rolle von Knospenſchuppen geſpielt hatten, fallen ſofort nach Erſtarkung der Blätter ab — es iſt bei vielen Bäumen (Linde, Rüſter, Hornbaum, Erle) das- ſelbe — und im Innern des Baumes vollzieht ſich ungeſehen der rege Geſtaltungsproceß der Holzbildung, ſo daß wir an einem jungen vollkommen runden wüchſigen Stämmchen vor dem Winter eine vorher im März genau gemeſſene Stelle merklich dicker finden. Wir haben jetzt in den Blättern die weſentlichen Ernährer der Pflanze oder wenigſtens die Zubereiter der Nahrung kennen gelernt, der Nahrung, durch welche der Baum wie jede Pflanze ſich lebendig erhält. Dabei denken wir unwillkürlich an denſelben Vorgang im thieriſchen Körper. Ich benutze dieſen Gedanken, um auf einen ſehr bedeutenden Unterſchied aufmerkſam zu machen, der im Produkt zwiſchen der Ernährung eines Baumes und eines höheren Thieres beſteht. Die im Magen eines Pferdes verdaute, in den blutbereitenden Organen in Blut verwandelte Nahrung gelangt als ſolches in den kleinen und großen Kreislauf und durch letzteren in jeden Körpertheil, welcher daraus ebenſowohl bis zur Vollendung des Wachsthums den Stoff zu ſeiner Vergrößerung als nachher zu ſeiner fortwährenden Erneuerung und Verjüngung nimmt, was wir den Stoff- wechſel nennen. Noch lange bevor das Pferd erwachſen war, wurde ſeinem Körper kein neues Glied hinzugefügt, ſondern die gleich bei der Geburt vorhandenen Körpertheile wachſen nur allmälig immer größer und zwar nicht in der Weiſe wie ein Schneeball größer wird, ſondern ſo zu ſagen von innen heraus, innen, außen, überall. Iſt dann das Wachsthum voll- 12*

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/203>, abgerufen am 22.12.2024.