Wenn wir an einem recht ruhigen warmen Herbsttage darauf achten wollen, so können wir, unter einem Ahorn oder einer Schwarzpappel stehend, obgleich kein Lüftchen die Blätter bewegt bald hier bald da über uns ein leises Knacken hören. Es ist hervorgebracht durch das Abspringen eines Blattes, welches gleich darauf zu uns nieder schwebt. Schneiden wir namentlich von einem der eben genannten Bäume einen mit zum Abfallen bereiten Blättern versehenen Zweig behutsam ab, so können wir dann die mit breiter Basis ansitzenden Blätter durch die leiseste Be- rührung abstoßen. Schon in den Wochen vorher nimmt die Leichtigkeit immer mehr zu, mit der man das Blatt abbrechen kann, ohne eine eigent- liche Rißwunde zu machen, während man im Sommer ein Baumblatt nur gewaltsam abreißen kann, wobei die uns schon bekannte Blattstielnarbe (S. 59) keineswegs die vorgeschriebene Fläche, ist, in welcher die Trennung stattfindet, was sie, die Blattstielnarbe, eben bei dem herbstlichen Laubfalle ist. Daraus geht hervor, daß die nach dem Abfallen des Blattes zurückbleibende Blattstielnarbe die Fläche ist, in welcher sich vorher all- mälig eine Trennung des Gewebes vorbereitet und ausbildet, während bis dahin wenigstens ein Theil davon ununterbrochen aus dem Triebe in die Blattstielbasis überging, was wir durch die Gefäßbündelspuren (S. 59) angedeutet finden.
Diese Trennung wird durch Bildung einer dünnen Korkschicht bewerk- stelligt, was ich bereits in der Anmerkung auf S. 117 im voraus an- deutete. Wir lernten dort die Korkzellenbildung in ihrer doppelten Eigen- schaft kennen als Mittel dem Absterben anheim gegebene Gewebsmassen gegen die lebend bleibenden Theile abzusperren und dadurch oder in anderer Weise hervorgebrachte Wunden durch Abschluß von äußeren Einflüssen zu heilen. Bei der Bildung der Borke lernten wir und hier sehen wir wiederholt eine Gleichzeitigkeit dieser beiden Funktionen der Korkbildung: die Korkschicht löst das abgelebte Blatt vom Triebe ab und heilt auch im voraus die dadurch entstehende Wunde. Die auf der Blattstielnarbe sitzende und deren Masse bildende Korkschicht sehen wir an dem gespaltenen Eschenzweige an Fig. III. 2 auf S. 60 durch n bezeichnet.
Es ist bekannt, daß lange anhaltende Dürre mitten im Sommer einen wenigstens theilweisen unzeitigen Laubfall bewerkstelligen und daß der erste Nachtfrost denselben wesentlich beschleunigen kann.
Wenn wir an einem recht ruhigen warmen Herbſttage darauf achten wollen, ſo können wir, unter einem Ahorn oder einer Schwarzpappel ſtehend, obgleich kein Lüftchen die Blätter bewegt bald hier bald da über uns ein leiſes Knacken hören. Es iſt hervorgebracht durch das Abſpringen eines Blattes, welches gleich darauf zu uns nieder ſchwebt. Schneiden wir namentlich von einem der eben genannten Bäume einen mit zum Abfallen bereiten Blättern verſehenen Zweig behutſam ab, ſo können wir dann die mit breiter Baſis anſitzenden Blätter durch die leiſeſte Be- rührung abſtoßen. Schon in den Wochen vorher nimmt die Leichtigkeit immer mehr zu, mit der man das Blatt abbrechen kann, ohne eine eigent- liche Rißwunde zu machen, während man im Sommer ein Baumblatt nur gewaltſam abreißen kann, wobei die uns ſchon bekannte Blattſtielnarbe (S. 59) keineswegs die vorgeſchriebene Fläche, iſt, in welcher die Trennung ſtattfindet, was ſie, die Blattſtielnarbe, eben bei dem herbſtlichen Laubfalle iſt. Daraus geht hervor, daß die nach dem Abfallen des Blattes zurückbleibende Blattſtielnarbe die Fläche iſt, in welcher ſich vorher all- mälig eine Trennung des Gewebes vorbereitet und ausbildet, während bis dahin wenigſtens ein Theil davon ununterbrochen aus dem Triebe in die Blattſtielbaſis überging, was wir durch die Gefäßbündelſpuren (S. 59) angedeutet finden.
Dieſe Trennung wird durch Bildung einer dünnen Korkſchicht bewerk- ſtelligt, was ich bereits in der Anmerkung auf S. 117 im voraus an- deutete. Wir lernten dort die Korkzellenbildung in ihrer doppelten Eigen- ſchaft kennen als Mittel dem Abſterben anheim gegebene Gewebsmaſſen gegen die lebend bleibenden Theile abzuſperren und dadurch oder in anderer Weiſe hervorgebrachte Wunden durch Abſchluß von äußeren Einflüſſen zu heilen. Bei der Bildung der Borke lernten wir und hier ſehen wir wiederholt eine Gleichzeitigkeit dieſer beiden Funktionen der Korkbildung: die Korkſchicht löſt das abgelebte Blatt vom Triebe ab und heilt auch im voraus die dadurch entſtehende Wunde. Die auf der Blattſtielnarbe ſitzende und deren Maſſe bildende Korkſchicht ſehen wir an dem geſpaltenen Eſchenzweige an Fig. III. 2 auf S. 60 durch n bezeichnet.
Es iſt bekannt, daß lange anhaltende Dürre mitten im Sommer einen wenigſtens theilweiſen unzeitigen Laubfall bewerkſtelligen und daß der erſte Nachtfroſt denſelben weſentlich beſchleunigen kann.
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Wenn wir an einem recht ruhigen warmen Herbſttage darauf achten
wollen, ſo können wir, unter einem Ahorn oder einer Schwarzpappel
ſtehend, obgleich kein Lüftchen die Blätter bewegt bald hier bald da über
uns ein leiſes Knacken hören. Es iſt hervorgebracht durch das Abſpringen
eines Blattes, welches gleich darauf zu uns nieder ſchwebt. Schneiden
wir namentlich von einem der eben genannten Bäume einen mit zum
Abfallen bereiten Blättern verſehenen Zweig behutſam ab, ſo können wir
dann die mit breiter Baſis anſitzenden Blätter durch die leiſeſte Be-
rührung abſtoßen. Schon in den Wochen vorher nimmt die Leichtigkeit
immer mehr zu, mit der man das Blatt abbrechen kann, ohne eine eigent-
liche Rißwunde zu machen, während man im Sommer ein Baumblatt
nur gewaltſam abreißen kann, wobei die uns ſchon bekannte Blattſtielnarbe
(S. 59) keineswegs die vorgeſchriebene Fläche, iſt, in welcher die
Trennung ſtattfindet, was ſie, die Blattſtielnarbe, eben bei dem herbſtlichen
Laubfalle iſt. Daraus geht hervor, daß die nach dem Abfallen des Blattes
zurückbleibende Blattſtielnarbe die Fläche iſt, in welcher ſich vorher all-
mälig eine Trennung des Gewebes vorbereitet und ausbildet, während
bis dahin wenigſtens ein Theil davon ununterbrochen aus dem Triebe
in die Blattſtielbaſis überging, was wir durch die Gefäßbündelſpuren
(S. 59) angedeutet finden.
Dieſe Trennung wird durch Bildung einer dünnen Korkſchicht bewerk-
ſtelligt, was ich bereits in der Anmerkung auf S. 117 im voraus an-
deutete. Wir lernten dort die Korkzellenbildung in ihrer doppelten Eigen-
ſchaft kennen als Mittel dem Abſterben anheim gegebene Gewebsmaſſen
gegen die lebend bleibenden Theile abzuſperren und dadurch oder in anderer
Weiſe hervorgebrachte Wunden durch Abſchluß von äußeren Einflüſſen zu
heilen. Bei der Bildung der Borke lernten wir und hier ſehen wir
wiederholt eine Gleichzeitigkeit dieſer beiden Funktionen der Korkbildung:
die Korkſchicht löſt das abgelebte Blatt vom Triebe ab und heilt auch im
voraus die dadurch entſtehende Wunde. Die auf der Blattſtielnarbe
ſitzende und deren Maſſe bildende Korkſchicht ſehen wir an dem geſpaltenen
Eſchenzweige an Fig. III. 2 auf S. 60 durch n bezeichnet.
Es iſt bekannt, daß lange anhaltende Dürre mitten im Sommer
einen wenigſtens theilweiſen unzeitigen Laubfall bewerkſtelligen und daß
der erſte Nachtfroſt denſelben weſentlich beſchleunigen kann.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/211>, abgerufen am 22.12.2024.
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