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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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belaubte Trieb zeigt -- fast immer viel kleiner und kümmerlicher als
weiter oben am Triebe und ebenso sind es auch die Knospen in ihrer
Achsel, wie wir Letzteres an Fig. III. 12 (S. 60) sehen, wo die unterste
von den 6 Knospen in hohem Grade gegen die höherstehenden zurückge-
blieben ist und im kommenden Jahre sicher nicht zur Entfaltung gekommen
sein würde. Da aber auch zu der Basis solcher verkümmerten Knospen
sich von dem Triebe, an dem sie stehen, aus dem Gewebe des Triebes
ein zuleitendes Holz- und Markbündel abbiegt, so ist die einstige Auf-
erweckung solcher Knospen gesichert, weil dieses zuleitende Bündel in den
allmälig zuwachsenden Jahreslagen immer mit fortwächst. Man kann
daher an der noch nicht zu sehr rissig gewordenen Borke schon ziemlich
starker Aeste und Stämme die Spuren solcher seit vielen Jahren ruhenden
Knospen auffinden, und von ihrem Vorhandensein noch leichter sich über-
zeugen, wenn man z. B. einen fünfzehnjährigen Eichenzweig im Safte
schält, wo man dann auf der Oberfläche des Holzes eine Menge Höckerchen
finden wird, welche eben diese zuleitenden Bündel, die Nebenaxen schlafender
Knospen sind, deren wenn auch noch so undeutliche Bezeichnung man an
dem entsprechenden Punkte außen an der Rinde auffinden wird. Der am
ungestört fortwachsenden Baume an den ruhenden Knospen und ihren
Axen vorbeiströmende Saft, sucht sie auf dem Wege dieser Axen gewisser-
maaßen auf, wenn durch Schneideln oder Köpfen die kräftig vegetirenden
Triebe ganz oder theilweise entfernt worden waren, die bisher den Saft für
sich in Anspruch nahmen. Wenn es erlaubt ist, hier dieses Gleichniß anzu-
wenden, so sind die ruhenden Knospen entfernte Seitenerben, die erst dann
in ihr Erbrecht eintreten, wenn nächste Erben, die vollkommenen Achsel- und
Endknospen, nicht da sind. Nebenbei ist es selbstverständlich, daß solche
schlafende Knospen (schlafende "Augen" der Gärtner) nicht eigentlich Adven-
tivknospen sind, weil sie aus einer Blattachsel hervorgingen, während die
wahren Adventivknospen aus metamorphosirten Markstrahlen hervorgehen.

Es liegt nun auf der Hand, daß das Ausschlagen durch ruhende
Knospen allen Laubhölzern zukommen muß, weil alle Blätter haben und
in jeder Blattachsel sich eine, wenn auch noch so sehr verkümmert zurück-
bleibende Knospe bildet; ferner versteht es sich von selbst, daß der am
sogenannten Abhiebe und aus den Wurzeln erfolgende Ausschlag nicht
aus ruhenden Knospen, sondern nur aus echten Adventivknospen hervor-

belaubte Trieb zeigt — faſt immer viel kleiner und kümmerlicher als
weiter oben am Triebe und ebenſo ſind es auch die Knospen in ihrer
Achſel, wie wir Letzteres an Fig. III. 12 (S. 60) ſehen, wo die unterſte
von den 6 Knospen in hohem Grade gegen die höherſtehenden zurückge-
blieben iſt und im kommenden Jahre ſicher nicht zur Entfaltung gekommen
ſein würde. Da aber auch zu der Baſis ſolcher verkümmerten Knospen
ſich von dem Triebe, an dem ſie ſtehen, aus dem Gewebe des Triebes
ein zuleitendes Holz- und Markbündel abbiegt, ſo iſt die einſtige Auf-
erweckung ſolcher Knospen geſichert, weil dieſes zuleitende Bündel in den
allmälig zuwachſenden Jahreslagen immer mit fortwächſt. Man kann
daher an der noch nicht zu ſehr riſſig gewordenen Borke ſchon ziemlich
ſtarker Aeſte und Stämme die Spuren ſolcher ſeit vielen Jahren ruhenden
Knospen auffinden, und von ihrem Vorhandenſein noch leichter ſich über-
zeugen, wenn man z. B. einen fünfzehnjährigen Eichenzweig im Safte
ſchält, wo man dann auf der Oberfläche des Holzes eine Menge Höckerchen
finden wird, welche eben dieſe zuleitenden Bündel, die Nebenaxen ſchlafender
Knospen ſind, deren wenn auch noch ſo undeutliche Bezeichnung man an
dem entſprechenden Punkte außen an der Rinde auffinden wird. Der am
ungeſtört fortwachſenden Baume an den ruhenden Knospen und ihren
Axen vorbeiſtrömende Saft, ſucht ſie auf dem Wege dieſer Axen gewiſſer-
maaßen auf, wenn durch Schneideln oder Köpfen die kräftig vegetirenden
Triebe ganz oder theilweiſe entfernt worden waren, die bisher den Saft für
ſich in Anſpruch nahmen. Wenn es erlaubt iſt, hier dieſes Gleichniß anzu-
wenden, ſo ſind die ruhenden Knospen entfernte Seitenerben, die erſt dann
in ihr Erbrecht eintreten, wenn nächſte Erben, die vollkommenen Achſel- und
Endknospen, nicht da ſind. Nebenbei iſt es ſelbſtverſtändlich, daß ſolche
ſchlafende Knospen (ſchlafende „Augen“ der Gärtner) nicht eigentlich Adven-
tivknospen ſind, weil ſie aus einer Blattachſel hervorgingen, während die
wahren Adventivknospen aus metamorphoſirten Markſtrahlen hervorgehen.

Es liegt nun auf der Hand, daß das Ausſchlagen durch ruhende
Knospen allen Laubhölzern zukommen muß, weil alle Blätter haben und
in jeder Blattachſel ſich eine, wenn auch noch ſo ſehr verkümmert zurück-
bleibende Knospe bildet; ferner verſteht es ſich von ſelbſt, daß der am
ſogenannten Abhiebe und aus den Wurzeln erfolgende Ausſchlag nicht
aus ruhenden Knospen, ſondern nur aus echten Adventivknospen hervor-

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[194/0218] belaubte Trieb zeigt — faſt immer viel kleiner und kümmerlicher als weiter oben am Triebe und ebenſo ſind es auch die Knospen in ihrer Achſel, wie wir Letzteres an Fig. III. 12 (S. 60) ſehen, wo die unterſte von den 6 Knospen in hohem Grade gegen die höherſtehenden zurückge- blieben iſt und im kommenden Jahre ſicher nicht zur Entfaltung gekommen ſein würde. Da aber auch zu der Baſis ſolcher verkümmerten Knospen ſich von dem Triebe, an dem ſie ſtehen, aus dem Gewebe des Triebes ein zuleitendes Holz- und Markbündel abbiegt, ſo iſt die einſtige Auf- erweckung ſolcher Knospen geſichert, weil dieſes zuleitende Bündel in den allmälig zuwachſenden Jahreslagen immer mit fortwächſt. Man kann daher an der noch nicht zu ſehr riſſig gewordenen Borke ſchon ziemlich ſtarker Aeſte und Stämme die Spuren ſolcher ſeit vielen Jahren ruhenden Knospen auffinden, und von ihrem Vorhandenſein noch leichter ſich über- zeugen, wenn man z. B. einen fünfzehnjährigen Eichenzweig im Safte ſchält, wo man dann auf der Oberfläche des Holzes eine Menge Höckerchen finden wird, welche eben dieſe zuleitenden Bündel, die Nebenaxen ſchlafender Knospen ſind, deren wenn auch noch ſo undeutliche Bezeichnung man an dem entſprechenden Punkte außen an der Rinde auffinden wird. Der am ungeſtört fortwachſenden Baume an den ruhenden Knospen und ihren Axen vorbeiſtrömende Saft, ſucht ſie auf dem Wege dieſer Axen gewiſſer- maaßen auf, wenn durch Schneideln oder Köpfen die kräftig vegetirenden Triebe ganz oder theilweiſe entfernt worden waren, die bisher den Saft für ſich in Anſpruch nahmen. Wenn es erlaubt iſt, hier dieſes Gleichniß anzu- wenden, ſo ſind die ruhenden Knospen entfernte Seitenerben, die erſt dann in ihr Erbrecht eintreten, wenn nächſte Erben, die vollkommenen Achſel- und Endknospen, nicht da ſind. Nebenbei iſt es ſelbſtverſtändlich, daß ſolche ſchlafende Knospen (ſchlafende „Augen“ der Gärtner) nicht eigentlich Adven- tivknospen ſind, weil ſie aus einer Blattachſel hervorgingen, während die wahren Adventivknospen aus metamorphoſirten Markſtrahlen hervorgehen. Es liegt nun auf der Hand, daß das Ausſchlagen durch ruhende Knospen allen Laubhölzern zukommen muß, weil alle Blätter haben und in jeder Blattachſel ſich eine, wenn auch noch ſo ſehr verkümmert zurück- bleibende Knospe bildet; ferner verſteht es ſich von ſelbſt, daß der am ſogenannten Abhiebe und aus den Wurzeln erfolgende Ausſchlag nicht aus ruhenden Knospen, ſondern nur aus echten Adventivknospen hervor-

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/218>, abgerufen am 18.05.2024.