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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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zwischen ihnen und den Bevorzugten. Nur im Dickicht junger Hölzer
(S. 155), wie es der aufstrebenden Jugend eigen ist, kommt es zum un-
mittelbaren Wettringen, in welchem allmälig die Besiegten zurückbleiben
und entweder ein verkümmertes Dasein lange Zeit fortführen oder zu
Grunde gehen.

Dieses Gegenseitigkeits-Verhältniß übt einen großen Einfluß auf die
Architektur der Bäume aus, und es kann dem aufmerksamen Freunde der
Baumwelt eine überall zu wiederholende Unterhaltung verschaffen, wenn
er sieht, wie auch dadurch die menschliche Gesellschaft dem Walde gleicht,
daß ein Baum auf den andern einen bestimmenden Einfluß ausübt.

Es ist vor Allem von erheblicher Bedeutung bei der Ausprägung
ihrer Architektur, in welcher gegenseitigen Benachbarung die Bäume
stehen, ob nur unter ihres Gleichen oder mit fremden gemischt, ob weit-
läufig oder dicht, oder gar vereinzelt; ob sie mitten im Bestande oder am
Saume desselben, ob sie in ihrem rechten Boden stehen, der ihrer Natur
am meisten zusagt, oder auf einem ungewöhnlich günstigen oder auf einem
ihnen so wenig zusagenden, daß sie auf ihn nur gerathen konnten, weil
sie der Zufall oder unpassende Wahl ihres Erziehers dahin verschlug.
Die größere oder geringere Meereshöhe ihres Standorts, die Lage des-
selben gegen die Himmelsgegenden, seine größere oder geringere Tief-
gründigkeit, alles das und noch Anderes mehr übt einen Einfluß auf den
architektonischen Charakter der Bäume aus.

Wir können hieraus leicht abnehmen, daß eine Eintheilung der
Bäume nach ihrem architektonischen Charakter durch eine Menge einfluß-
reicher Beschränkungen erschwert werden muß. Nichts desto weniger ist
es für unsern Zweck, der zunächst eine genaue Kenntniß des Waldes ist,
nothwendig, hier das Beständige im Wechselnden aufzusuchen.

Wenn wir durch Anwendung des Wortes Architektur den Baum mit
einem Gebäude vergleichen, so haben wir wie bei einem solchen auch am
Baume zwischen einer Gliederung der Haupttheile und einer Ornamentik
zu unterscheiden.

Stamm und Verzweigung bilden das Erstere und in dieser Hinsicht
macht sich zunächst ein großer Unterschied zwischen den Nadelbäumen und
den Laubhölzern darin geltend, daß bei ersteren, mit häufiger Ausnahme
der Kiefern, der Stamm sich strenger durchführt als bei den letzteren, so

zwiſchen ihnen und den Bevorzugten. Nur im Dickicht junger Hölzer
(S. 155), wie es der aufſtrebenden Jugend eigen iſt, kommt es zum un-
mittelbaren Wettringen, in welchem allmälig die Beſiegten zurückbleiben
und entweder ein verkümmertes Daſein lange Zeit fortführen oder zu
Grunde gehen.

Dieſes Gegenſeitigkeits-Verhältniß übt einen großen Einfluß auf die
Architektur der Bäume aus, und es kann dem aufmerkſamen Freunde der
Baumwelt eine überall zu wiederholende Unterhaltung verſchaffen, wenn
er ſieht, wie auch dadurch die menſchliche Geſellſchaft dem Walde gleicht,
daß ein Baum auf den andern einen beſtimmenden Einfluß ausübt.

Es iſt vor Allem von erheblicher Bedeutung bei der Ausprägung
ihrer Architektur, in welcher gegenſeitigen Benachbarung die Bäume
ſtehen, ob nur unter ihres Gleichen oder mit fremden gemiſcht, ob weit-
läufig oder dicht, oder gar vereinzelt; ob ſie mitten im Beſtande oder am
Saume deſſelben, ob ſie in ihrem rechten Boden ſtehen, der ihrer Natur
am meiſten zuſagt, oder auf einem ungewöhnlich günſtigen oder auf einem
ihnen ſo wenig zuſagenden, daß ſie auf ihn nur gerathen konnten, weil
ſie der Zufall oder unpaſſende Wahl ihres Erziehers dahin verſchlug.
Die größere oder geringere Meereshöhe ihres Standorts, die Lage des-
ſelben gegen die Himmelsgegenden, ſeine größere oder geringere Tief-
gründigkeit, alles das und noch Anderes mehr übt einen Einfluß auf den
architektoniſchen Charakter der Bäume aus.

Wir können hieraus leicht abnehmen, daß eine Eintheilung der
Bäume nach ihrem architektoniſchen Charakter durch eine Menge einfluß-
reicher Beſchränkungen erſchwert werden muß. Nichts deſto weniger iſt
es für unſern Zweck, der zunächſt eine genaue Kenntniß des Waldes iſt,
nothwendig, hier das Beſtändige im Wechſelnden aufzuſuchen.

Wenn wir durch Anwendung des Wortes Architektur den Baum mit
einem Gebäude vergleichen, ſo haben wir wie bei einem ſolchen auch am
Baume zwiſchen einer Gliederung der Haupttheile und einer Ornamentik
zu unterſcheiden.

Stamm und Verzweigung bilden das Erſtere und in dieſer Hinſicht
macht ſich zunächſt ein großer Unterſchied zwiſchen den Nadelbäumen und
den Laubhölzern darin geltend, daß bei erſteren, mit häufiger Ausnahme
der Kiefern, der Stamm ſich ſtrenger durchführt als bei den letzteren, ſo

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[212/0236] zwiſchen ihnen und den Bevorzugten. Nur im Dickicht junger Hölzer (S. 155), wie es der aufſtrebenden Jugend eigen iſt, kommt es zum un- mittelbaren Wettringen, in welchem allmälig die Beſiegten zurückbleiben und entweder ein verkümmertes Daſein lange Zeit fortführen oder zu Grunde gehen. Dieſes Gegenſeitigkeits-Verhältniß übt einen großen Einfluß auf die Architektur der Bäume aus, und es kann dem aufmerkſamen Freunde der Baumwelt eine überall zu wiederholende Unterhaltung verſchaffen, wenn er ſieht, wie auch dadurch die menſchliche Geſellſchaft dem Walde gleicht, daß ein Baum auf den andern einen beſtimmenden Einfluß ausübt. Es iſt vor Allem von erheblicher Bedeutung bei der Ausprägung ihrer Architektur, in welcher gegenſeitigen Benachbarung die Bäume ſtehen, ob nur unter ihres Gleichen oder mit fremden gemiſcht, ob weit- läufig oder dicht, oder gar vereinzelt; ob ſie mitten im Beſtande oder am Saume deſſelben, ob ſie in ihrem rechten Boden ſtehen, der ihrer Natur am meiſten zuſagt, oder auf einem ungewöhnlich günſtigen oder auf einem ihnen ſo wenig zuſagenden, daß ſie auf ihn nur gerathen konnten, weil ſie der Zufall oder unpaſſende Wahl ihres Erziehers dahin verſchlug. Die größere oder geringere Meereshöhe ihres Standorts, die Lage des- ſelben gegen die Himmelsgegenden, ſeine größere oder geringere Tief- gründigkeit, alles das und noch Anderes mehr übt einen Einfluß auf den architektoniſchen Charakter der Bäume aus. Wir können hieraus leicht abnehmen, daß eine Eintheilung der Bäume nach ihrem architektoniſchen Charakter durch eine Menge einfluß- reicher Beſchränkungen erſchwert werden muß. Nichts deſto weniger iſt es für unſern Zweck, der zunächſt eine genaue Kenntniß des Waldes iſt, nothwendig, hier das Beſtändige im Wechſelnden aufzuſuchen. Wenn wir durch Anwendung des Wortes Architektur den Baum mit einem Gebäude vergleichen, ſo haben wir wie bei einem ſolchen auch am Baume zwiſchen einer Gliederung der Haupttheile und einer Ornamentik zu unterſcheiden. Stamm und Verzweigung bilden das Erſtere und in dieſer Hinſicht macht ſich zunächſt ein großer Unterſchied zwiſchen den Nadelbäumen und den Laubhölzern darin geltend, daß bei erſteren, mit häufiger Ausnahme der Kiefern, der Stamm ſich ſtrenger durchführt als bei den letzteren, ſo

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/236>, abgerufen am 25.05.2024.